Gedichte. Li Bai

Alte chinesische lyrische Dichtung steht in einem sehr guten Ruf. So ähnlich wie alte chinesische Tuchzeichnungen. Nur lesen tut sie kaum einer. Genauso wie die Tuschzeichnungen in den Museen, die sie haben, eher ein Schattendasein fristen. Hochkultur eben. Oder besser: Zu-Hoch-Kultur.

Höher als Li Bai wird’s dabei kaum. Er gehört in eine Blütezeit der alten chinesischen Dichtung, die Tang-Dynastie, wurde geboren 701, starb 762. Neben seinem Kollegen und Zeitgenossen Du Fu war Li Bai eindeutig der Star der Szene. Wie viele seiner nachgeborenen Dichterkollegen gilt er als dem Alkohol sehr zugeneigt (irgendwoher muss die Inspiration ja kommen); auch ihm wird angedichtet, dass er, eben ein Genie, seine Gedichte innerhalb kürzester Zeit ohne Korrekturen zu Papier brachte. Bemerkenswert auch: Von Li Bai gibt es noch Originalhandschriftliches. Bei Betrachtung seiner Kalligraphie kann etwas an den Alkoholgerüchten dran sein…

Chinesische Dichtung geht eigentlich nur in chinesisch. Die Sprache ist extrem verkürzt, voller Anspielungen und voller Interpretationsspielraum.  Fast jede Übersetzung beseitigt notwendigerweise dieses Offene, Schwingende, Unbestimmte, da so etwas in den meisten anderen Sprachen, gerade im präzisen Deutschen, kaum geht.

Andererseits werden die Übertragungsschwierigkeiten auch gerne ins Mythisch-Heroische überhöht. Ein Beispiel hierfür, und zugleich ein Beispiel-Gedicht von Li Bai, findet sich in der deutschsprachigen Wikipedia. Es ist eine sehr typische vierzeilige Strophe (und gehört damit zum Typ Jueju für diejenigen, die es genau wissen wollen) mit Reimen zwischen den Zeilen 1, 2 und 4.

Das Gedicht heißt „yesi“, zu deutsch etwa „Nachtgedanken“:
„床前明月光
疑是地上霜
舉頭望明月
低頭思故“

In der Umschrift kann man die Reime gut erkennen:
„chuáng qián míng yuè guāng
yǐ shì dì shàng shuāng
jǔ toú wàng míng yuè
dī toú sī gù xiāng

Kryptisch wird es bei der sogenannten Übertragung, die völlig unsinnig den Eindruck vermittelt, als hätte Li Bai frei von jeglicher Syntax geschrieben:
„Bett – vor – hell – Mond – Strahl
zweifeln – ist – Erde – auf – Frost
heben – Kopf – blicken – hell – Mond
senken – Kopf – denken – alt – Heimat.“

Tatsächlich würde eine wörtliche Übersetzung etwa lauten:
Vor dem Bett heller Mondstrahl
So als wäre auf dem Boden Reif
Ich hebe den Kopf und sehe den hellen Mond
Ich senke den Kopf und denke an die Heimat.

Gut ist der Wikipedia-Beitrag, weil man auch sieht, wie lässig viele Übersetzer mit dem Original umgehen, z.B. der in Wikipedia zitierte Vincenz Hundhausen:
„Vor meinem Bette spielt ein weißes Licht.
Ist es der Morgen schon? Ich weiß es nicht.
Und wie ich zweifelnd hebe mein Gesicht,
seh’ ich den Mond, der durch die Wolken bricht.
Da muß ich mich zurück aufs Lager senken
und heimatlos an meine Heimat denken.“

Bei der Rückübersetzung ins Chinesische müsste man schon ein Genie sein, um wieder ein Gedicht wie das von Li Bai zu bekommen. Zeigt: Chinesische Dichtung ist besser als so mancher ihrer Nachdichter….
Und vor Mißbrauch ist man ja wirklich fast nirgends sicher, siehe die Li Bai Cocktail Hours von 18 bis 20 Uhr:

Wer sich trotzdem traut, findet auf unserer China-Seite den einen oder anderen Literatur-Tipp zu chinesischer Dichtung. Fast alles von Li Bai wurde von Erwin Ritter von Zach im frühen 20. Jahrhundert (gut) übersetzt. Es lohnt sich mehr als ein Cocktail.

Die Reise nach Indien. E.M. Forster

Edward Morgan Forster ist zwischenzeitlich eher durch die Verfilmungen seiner Romane als durch diese selbst bekannt. Den schwelgerisch-schwülstigen Filmen von James Ivory sei Dank.

Wie meistens jedoch sind die Bücher besser, falls es sich nicht um Verschreibungen gleichnamiger Filme handelt. Das Buch „A passage to India“, 1924 erschienen, gewinnt um Längen: Der Film kam erst 1984, 60 Jahre später, in die Kinos. Und bevor ich diesem Film unrecht tue: Er ist von David Lean gedreht worden, nicht James Ivory, und das macht einen Unterschied.

Forster (1879 – 1970), ist eine durchaus schillernde Persönlichkeit, zeitweise Mitglied des Bloomsbury Circle, homosexuell, intellektuell, später Honorary Fellow am King’s College in Cambridge, immer wieder einer der Favoriten für den Literaturnobelpreis. Vieles, worüber er schrieb, kannte er aus eigener Anschauung. So war er – wichtig für diesen Roman – zweimal selbst in Indien, das zweite Mal als Privatsekretär des Maharajah von Dewas.

„A passage to India“ nimmt sich Zeit. Kein Buch sich überschlagender Handlung. Statt dessen ein Buch des Beobachtens, Zuhörens, Nachdenkens, Wirken-Lassens. Forster verwendet Sorgfalt und Subtilität auf die Beschreibung der Menschen und ihrer Beziehungen zueinander. Man erfährt viel über das Innenleben der handelnden Personen.

Vor allem ist „A passage to India“ natürlich ein Buch über den britischen Kolonialismus in Indien. Die Personen des Romans werden alle dadurch einsortiert, wie sie zum jeweils anderen Land stehen und wie sie über den real existierenden Kolonialismus denken. Fast alle Facetten werden dabei abgedeckt, so gibt es zum Beispiel jeweils bei Briten und Indern die Naiven, die Arrangierten, die Opportunisten, die Zyniker, die Von-Außen-Beobachtenden.
Für mich macht dies, neben dem unauffälligen Humor Forsters, einen wesentlichen Teil des Reizes dieses Romans aus.

Eine typische Passage, es spricht Ronny Heaslop, ein junger Amtsrichter in Indien, zu seiner Mutter und seiner Verlobten:
„‚There’s no point in all this. Here we are, and we’re going to stop, and the country’s got to put up with us (…). Oh, look here,‘ he broke out, rather pathetically, ‚what do you and Adela want me to do? Go against my class, against all the people I respect and admire out here? Lose such power as I have for doing good in this country because my behaviour isn’t pleasant? You neither of you understand what work is, or you’d never talk such eyewash. (…) I am out here to work, mind, to hold this wretched country by force. I’m not a missionary or a Labour Member, or a vague sentimental sympathetic literary man. I’m just a servant of the Government; it’s the profession you wanted me to choose myself, and that’s that. We’re not pleasant in India, and we don’t intend to be pleasant. We’ve something more important to do.'“

Ein Kritiker hat einmal über Forster geschrieben:
„E. M. Forster is for me the only living novelist who can be read again and again and who, after each reading, gives me what few writers can give us after our first days of novel-reading, the sensation of having learned something.“

Klingt wie eine Empfehlung.

The remains of the day. Kazuo Ishiguro

Ab und zu lesen wir von diesem Blog dann sogar dieselben Bücher. Im vorherigen Beitrag war es noch dieselbe Autorin, aber ein anderes Buch. Jetzt wieder der identische Titel. Und wieder ist Kazuo Ishiguro an der Reihe mit seinem bekanntesten Werk „The remains of the day“.

Dem positiven Fazit meiner Vor-Besprecherin kann ich mich anschließen. Ein wirklich und richtig gutes Buch, rundherum zu empfehlen. Überaus lesbar, wirklich nicht seicht, für jeden zugänglich.

Allerdings lässt mich der Roman sehr bedrückt zurück. Mr Stevens, der Butler und Ich-Erzähler, hat letztlich sich selbst, seine eigene Person, seine Seele, sein Leben aufgegeben zugunsten einer Rolle, eines Jobs, seiner Profession als Butler. Absichtlich, da seiner Meinung nach nur der ein ausgezeichneter Butler sein kann, der ganz diese Rolle lebt.

Das ist sogar noch radikaler, als ein Mönchsgelübde abzulegen. Und das ist weit verbreitet in der heutigen Leistungsgesellschaft, in der dem Beruf häufig unbedingter Vorrang vor dem Privatleben eingeräumt wird/werden soll.

Für Stevens heißt das, dass er keine sozialen Beziehungen hat, dass er nur über die sehr gepflegte, aber doch formalisierte Butlersprache verfügt. Seinen Vater zum Beispiel spricht er in der dritten Person Singular an. Als dieser im Obergeschoss im Sterben liegt, hat er keine Zeit für ihn – die Pflicht geht vor, es sind gerade Gäste da. Der entzündete Zeh eines Gasts hat Vorrang vor dem tödlichen Schlaganfall des eigenen Vaters.

Ganz funktioniert das nicht mit dem Aufgeben der eigenen Person. Stevens stehen dann doch die Tränen in den Augen. Aber es ist ein Triumph seines Butler-Seins, dass er dem nicht nachgibt, dass er Haltung bewahrt, sich sonst nichts anmerken lässt.

An den wenigen Tagen der bis dahin einzigen Reise seines Lebens, die den zeitlichen Horizont der Romanhandlung bilden, kommt er ernsthaft ins Grübeln. Er fasst sogar den Vorsatz, sich zu ändern, mehr Humor und menschliche Wärme zu zeigen.

Aber dann geht’s doch schief, menschliche Wärme und Humor werden zu Funktionen der Butler-Profession, die berufliche Rolle gewinnt über sein Leben, über das, was von seinem Leben übrig ist:
„It occurs to me, furthermore, that bantering is hardly an unreasonable duty for an employer to expect a professional to perform. I have of course already devoted much time to developing my bantering skills, but it is possible I have never previously approached the task with the commitment I might have done. Perhaps, then, when I return to Darlington Hall (…) I will begin practising with renewed effort. I should hope, then, that by the time of my employer’s return, I shall be in a position to pleasantly surprise him.“

Humor als Pflicht. Nicht komisch mehr, tragisch.

Der Maler der fließenden Welt. Kazuo Ishiguro

Ich mag Roman-Autoren, die erste Sätze schreiben können. Kazuo Ishiguro in seinem zweiten Roman, „An Artist of the Floating World“, gehört ganz deutlich dazu:
„If on a sunny day you climb the steep path leading up from the little wooden bridge still referred to around here as ‚the bridge of hesitation‘, you will not have to walk far before the roof of my house becomes visible between the tops of two gingko trees.“

Vorsichtig, eventuell, Zögern – Vergangenheit, Tradition, Kontinuität und Veränderung – steiler Weg, Brücke – Ich-Erzähler, wir und die anderen – Asien – Dinge, die erst nach und nach sichtbar werden. Viele, eigentlich alle Akzente werden gesetzt, die kennzeichnend und wesentlich sind für den gesamten Roman.

Der Guardian zählt diesen Roman zu den 100 besten in englischer Sprache, bevor Ishiguro den Literatur-Nobelpreis bekommt, damals im Jahr 2015, Platz 94. Die anderen, bekannteren Bücher von Ishiguro tauchen auf der Liste nicht auf. Also der beste Roman von ihm?

Beurteilen kann ich das nicht, da dies der erste Roman ist, den ich von Ishiguro gelesen habe. Meine Kollegin in diesem Blog fand einen anderen, „The remains of the day„, ebenfalls ausgezeichnet. Vielleicht ist er aber tatsächlich besonders:

  • dieser englische Autor mit japanischem Hintergrund schreibt über Japan
  • sein exquisiter und sparsamer Stil erinnert an die ebenfalls exquisite Sparsamkeit japanischer Kunst, ohne dadurch nicht mehr ausgezeichnet Englisch zu sein.

Der Inhalt

Passabel, aber zugleich viel zu platt und zu konkret zusammengefasst im deutschen Klappentext: „In den dreißiger Jahren hat der Maler Masuji Ono seine Kunst in den Dienst der japanischen Expansionspolitik gestellt. Jetzt, nach dem Krieg, ist sein damaliger Hurrapatriotismus anrüchig geworden, und als seine Tochter heiraten will, wird seine politische Vergangenheit zur Belastung für die Familie. Seine Lebensbeichte offenbart ein heilloses Geflecht von Schuld und Irrtum und ist ein Läuterungsprozess, nach dem er nicht mehr derselbe sein wird wie zuvor.“

Das Buch ist wirklich viel, viel besser, als diese Inhaltsangabe vermuten lassen würde.

Was mich besonders beeindruckt

Die phänomenale Konsistenz zwischen dem Charakter des Ich-Erzählers und der Sprache, in der er erzählt. Die Fähigkeit, auch schreckliche Ereignisse deutlich werden zu lassen, ohne dabei konkret und plakativ zu werden. Der vignettenhafte Blick auf nur wenige Personen in einem kurzen Zeitfenster, der ein ganzes Land und eine ganze Epoche erscheinen lässt.

Und was bedrückt

Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schafft keine einzige der Personen im Buch, egal auf welcher Seite sie standen, egal aus welcher Generation. Am besten gelingt dies vielleicht noch dem Ich-Erzähler, aber auch er kommt nur bis zu dem etwas vagen Satz:
„Our nation, it seems, whatever mistakes it may have made in the past, has now another chance to make a better go of things. One can only wish these young people well.“

Und die jüngste Generation, vertreten durch den Enkel des Ich-Erzählers, begeistert sich zwar für amerikanische Rollenmuster wie Cowboys und Popeye. Chauvinismus und eine Neigung zu Traditionen aus der Vorkriegszeit sind aber bei diesem Kind, das noch keine 10 Jahre alt ist, bereits angelegt und entwickeln sich.

Erstaunlich

Ein solches wirklich großartiges Buch wie dieses bekommt man als Taschenbuch für unter 10 €. Dafür kann man nicht ins Kino gehen.

Gaudy night. Dorothy L. Sayers

Ein Novum in diesem Blog, passend zum Beginn eines neuen Jahres: Das erste Mal, dass wir ein Buch das zweite Mal besprechen. „Gaudy night“ von Dorothy L. Sayers ist allerdings auch ein Roman – oder vielleicht doch nur ein Krimi? -, der diese Aufmerksamkeit rechtfertigt.

Vorweg
Ich bin bestimmt kein eingefleischter Fan von Sayers. In der Tendenz finde ich

  • ihre Romane zu lang für den Plot
  • die Autorin zu sehr darauf erpicht, deutlich zu machen, wie gebildet sie ist
  • und die Zitate, die sie gerne an den Kapitelanfang stellt, irgendwie erstaunlich ungeeignet.

Alles trifft auch auf „Gaudy night“ zu.

Aber dennoch
… ertappe ich mich dann doch immer wieder dabei, einen dieser Romane zu lesen. Mir gefällt schon, dass die Autorin sehr gut mit Sprache umgehen kann und dies offenkundig genießt. Auch sind ihre Charaktere erfreulich mehrschichtig, tiefgründig, vieldimensional. Zusätzlich geht Sayers so emanzipiert mit allen traditionellen Krimi-Rezepten um, dass sie ganz neue Perspektiven für diese damals (und heute) als un-literarisch verrufene Gattung auftut.

Vor allem unterstellt Sayers ihren Leserinnen und Lesern, dass sie mit komplexer Sprache, komplexen Gesprächen und Überlegungen, komplexer Handlung und komplexen Personen umgehen wollen und können. Sayers unterstellt eine intelligente und aufgeklärte Leserschaft. Und das schmeichelt einem dann ja doch ein wenig, wenn man sich ins erste Kapitel stürzt.

Und „Gaudy night“ an sich?
Ein Krimi ist dieser Roman wirklich nur am Rande und zwischendurch. Viel eher handelt es sich um eine Liebesgeschichte. Oder alternativ ein differenziertes, nuanciertes Werk darüber, ob akademische Bildung und ein akademischer Beruf etwas für Frauen sind.

Darin enthalten auch Dichtung, genau in der Mitte des Romans ein kurzes Sonett:
„Here, then, at home, by no more storms distrest,
Folding laborious hands we sit, wings furled;
Here in close perfume lies the rose-leaf curled,
Here the sun stands and knows not east nor west,
Here no tide runs; we have come, last and best,
From the wide zone through dizzying circles hurled,
To that still centre where the spinning world
Sleeps on its axis, to the heart of rest.“

Und Abhandlungen, zum Beispiel über die männliche Hemdbrust traditionellen Stils:
„‚Hard-boiled or soft-boiled?‘
‚Hard, I think.‘
This question had no reference to Dr. Threep’s politics or economics, but only to his shirt-front. Harriet and the Dean had begun to collect shirt-fronts. Miss Chilperic’s ‚young man‘ had started the collection. He was extremely tall and thin and rather hollow-chested; by way of emphasising this latter defect, he always wore a soft pleated dress-shirt, which made him look (…) like the scooped-out rind of a melon. By way of contrast, there had been an eminent and ample professor of chemistry (…) who had turned up in a front of extreme rigidity, which stood out before him like the chest of a pouter pigeon (…). A third variety of shirt fairly common among the learned was that which escaped from the centre stud and gaped in the middle; and one never-to-be-forgotten happy day a popular poet had arrived (…) whereby, at every gesticulation (and he had used a great many) his waistcoat had leapt in the air allowing a line of shirt, adorned with a little tab, to peep out, rabbit-like, over the waistline of the confining trouser. On this occasion, Harriet and the Dean had disgraced themselves badly.“

Insgesamt
… sollte man dieses Buch tatsächlich gelesen haben, und sei’s in Übersetzung.

Meine Bücher des Jahres 2017

Andere Medien machen das ja auch: Listen erstellen zum Ende eines Jahres. Das lässt sich auf Halde produzieren, so dass man an und zwischen den Feiertagen nicht arbeiten muss oder zumindest nicht in Stress gerät.

Diese Liste ist anders. Sie lag nicht auf Halde, sondern wird jetzt in diesem Moment gerade frisch produziert. Außerdem ist sie kurz.

Meine Bücher des Jahres 2017 also.

Mit Abstand an der Spitze ein echter Außenseiter:

  • Der „Tractatus theologico-politicus“ von Baruch Spinoza.
    Auch im Rückblick mehrerer Monate bin ich immer noch beeindruckt von der Intelligenz, Unbestechlichkeit und dem Mut des Autoren. Finden seine Thesen höchst bemerkenswert und zum großen Teil sehr relevant für die heutige Zeit. Und bin fasziniert von der Klarheit seiner Sprache und Argumentation.
    Ergänzend hierzu – als Starter oder Abrunder – das Buch über dieses Buch von Nadler über „A book forged in hell
  • The most perfect thing: inside (and outside) a bird’s egg“ von Tim Birkhead
    Mein Sachbuch des Jahres. Viel Erstaunliches und Wissenswertes über etwas völlig Alltägliches: Das Vogel-Ei. Flott geschrieben von einem Experten.
  • Death of an avid reader“ von Frances Brody
    Meine Krimi-Entdeckung des Jahres. Zwar sind die neuesten ihrer Bücher nicht mehr ganz so gut – wahrscheinlich ist der Zeitdruck zu groß? – aber spannend, intelligent geschrieben, klassischer-Krimi-formatiert sind sie alle. Und im Unterschied zu vielen anderen thematisiert diese Autorin, ohne damit zu einer Problem-Schriftstellerin zu werden, auch die traumatisierten Folgen eines Weltkriegs.
  • The caravanersvon Elizabeth von Arnim
    Ein echter Klassiker, wirklich allerbeste Unterhaltungsliteratur mit tiefen Einsichten über den deutschen männlichen Charakter.
  • One crimson thread von Mícheál Ó Siadhail
    Jetzt muss ich etwas schummeln, denn diesen Gedichtband habe ich bereits 2016 gelesen. Ich finde aber, dass er auch für 2017 seine Spitzenposition auf meiner Liste verdient. Sehr berührend. Großartig geschrieben.

Die Autoren im Überblick:


Ein frohes neues Bücherjahr!

NEU: Jane Austen – die besten Bücher über sie

Neu in Buch-und-Sofa

Unter „Die besten Bücher…“, unserer Zusammenstellung von guten Büchern zu bestimmten Themen, gibt es nun auch Empfehlungen von Büchern über Jane Austen.

Jane Austen and Representations of Regency England

Hat Jane Austen nur romantische Liebesgeschichten geschrieben?

Hat sie nicht. Der Wert des Geldes, die Rolle von Krieg, die Wahlmöglichkeiten von Frauen und vieles andere mehr sind ebenfalls ihre Themen. Kluge und nachdenkliche Bücher zu ihrem Werk zeigen, wie komplex, professionell, humorvoll, wie boshaft die Autorin schreib.

War Jane Austen eine weltfremde Dame der höheren Gesellschaft?

War sie nicht. Das Image der zurückgezogenen, feinen, bescheidenen, religiösen und ganz in der weiblichen Rolle aufgehenden Frau war eines, an dem nach Austens Tod ihre Verwandten heftig gefeilt haben.

Weshalb heute noch Jane Austen lesen?

Aus formalen wie aus historischen Gründen. Und aus reinem Vergnügen. Ihre Texte sind von außerordentlicher Qualität, sie hat Erzähl-Methoden erfunden, die wir heute für selbstverständlich halten. Ihre Texte spiegeln eine interessante historische Phase. Jane Austen lesen macht Spaß.

Unsere Buch-Besprechungen zu Jane Austen gibt es hier…

Im Gehen. Ilse Helbich

Der kleine Gedicht-Band ist Ilse Helbichs erster und wird wohl ihr letzter bleiben.

Im Gehen: Gedichte

Die Autorin wurde 1923 in Wien geboren. Im Alter von 80 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Roman. „Im Gehen“ ist ein kleines Buch über das Fortgehen, über das Aus-dem-Leben-Gehen, ein paar Blicke über die Schulter sind kostbaren Erinnerungen gewidmet.

„Wenn ich jetzt in einem Schubkarren säße und

einer schöbe mich den dämmrigen Weg entlang.

Rollen und Rütteln

und Wiegen.

Blätter streicheln die Wange.

Ich möchte gerne wissen, wer

mich schweigend dahin fährt,

aber ich wende den Kopf nicht.

Er ist ja da.

Mein schwieriges Gehen.“

Die Gedichte wirken erstaunlich modern. Hin und wieder scheint ein Wort wie ein Stock in die Speichen geworfen zu sein: Es knirscht dann für mein Gefühl im Gedicht.

„Man kennt Ilse Helbich als kluge, unsentimentale Chronistin des hohen Lebensalters, als die Autorin präziser und gleichwohl poetischer Erinnerungen, unabhängig und unerschrocken das Leben dort dokumentierend, »wo sich ein Jenseits ins Dasein mogelt« (Susanne Mayer, Die Zeit). Sie hat aber auch, Mitte der 70er Jahre beginnend, immer wieder Gedichte geschrieben – aus denen sie nun erstmals eine Auswahl an die Öffentlichkeit bringt. Es sind »frühe Gedichte« (1975 bis Mitte der 80er Jahre) und solche, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind und also ihr aktives Schriftstellerinnen-Leben begleitet haben“. (Quelle Dorschl Literaturverlag)

Vor einiger Zeit habe ich „Das Haus“ von Helbich gelesen und diesen autobiografisch gefärbten Text sehr genossen: klug, aber nicht altersweise.

„Es ist gesagt, was zu sagen war. Das Andere, das jetzt ist, entzieht sich den Worten.“ So endet „Im Gehen“.

Weitere Bücher zu Alter, Moder für nicht mehr junge Damen und über Sterben und Tod empfehlen wir bei Buch-und-Sofa in unserer Rubrik „Älter werden“.

Der ewige Gärtner. John le Carré

James Bond für den anspruchsvolleren Leser (und bei James Bond werden ja schon eher LesER angesprochen). Spionage- und Wirtschaftsromane auch für die Leserin. John le Carré ist seit längerer Zeit ein Autor mit Bestseller-Garantie, eine Perle für den Buchhandel in absatzschwächeren Zeiten.

Für mich war es der erste le Carré-Roman, den ich gelesen habe. „Bestseller“-Schlagzeilen und -Listen schrecken mich meistens ab, die will/muss ich nicht lesen, das machen ja schon die anderen. Es war daher auch ein Zufall, der mich mit diesem Buch zusammenbrachte. Mir gefiel der Einband in einem Secondhand-Buchgeschäft; der Preis reduzierte das Risiko; auch fand ich den Buchtitel „The constant gardener“ ansprechend.

Also gekauft, dann gelesen, jetzt die Besprechung.

Der Autor
John le Carré, Brite, wurde in den frühen 30er Jahren geboren. Nach einer Zeit, in der er selbst für den britischen Geheimdienst gearbeitet hatte, wurde er durch Spionageromane berühmt. Titel sind z.B. „Der Spion, der aus der Kälte kam“ oder „Dame, König, As, Spion“.

Der ewige Gärtner
Vielleicht nicht der typischste seiner Romane, denn Spionage steht nicht im Vordergrund des Geschehens.

Statt dessen geht es dieses Mal um die Machenschaften der pharmazeutischen Industrie, die – zumindest in diesem Roman – Medikamente in Ländern der dritten Welt an Menschen testet, kritische Nebenwirkungen unter den Teppich kehrt und noch kritischere Personen aus dem Weg schafft. Verstrickt in diesen Skandal sind eigentlich alle, die in diesem Roman vorkommen, außer natürlich den „Guten“. Und das ist vor allem das Ehepaar, das im Zentrum des Romans steht: Tessa Quayle, die in diesem Skandal auf eigene Faust ermittelt und öffentlich macht – sie wird denn auch recht schnell (quasi vor Seite 1) auf unangenehme Weise ermordet. Ihr Ehemann Justin, der ihren Ermittlungen nachreist, um ihr wieder nahezukommen, und zum Schluss auch stirbt, offensichtlich ebenfalls ermordet, aber zumindest halb tat man seiner suizidalen Absicht dabei wohl auch einen Gefallen.

Die Handlung wirkt ein wenig reißerisch und gut-menschig mit ihrem gegen die Pharma-Industrie (und gegen Kolonialismus, Sexismus, Rassismus, …) erhobenen Zeigefinger. Andererseits – siehe diverse öffentlich gewordene Skandale bei Pfizer und anderen Unternehmen – scheint die Realität immer wieder noch reißerischer und bedrückender als der Roman.

Am Besten gefallen mir die Passagen des Buchs, in denen das britische Establishment eine Rolle spielt. Die britische High Commission in Nairobi, die Chefs Eton- und Oxford-erzogen. Die Ironie und der Sarkasmus von le Carré ein wenig zu stark nach Klischee, aber gut gemacht und gut geschrieben.

Ein Beispiel für den Stil von le Carré:
„Justin Quayle buried his much-murdered wife in a beautiful African cemetery called Langata under a jacaranda tree between her stillborn son Garth and a five-year-old Kikuyu Boy who was watched over by a plaster-cast kneeling angel with a shield declaring he had joined the Saints. Behind her lay Horatio John Williams of Dorset, with God, and at her feet Miranda K. Soper, loved for ever.“

Werde ich weitere Bücher von le Carré, dem Besteller-Autor lesen? Vielleicht, und das ist doch dann ein ziemlich positives Fazit.

The Remains of the Day. Kazuo Ishiguro

Der Roman des britischen Nobelpreis-Gewinners von 2017 ist ein schönes, komisches, trauriges Porträt der britischen Gesellschaft.

Der Inhalt von „The Remains of the Day“

1989 erschienen, geht die erzählte Zeit im Roman noch weiter zurück in die Vergangenheit: Ein alternder Butler erhält in den 1950er Jahren die Gelegenheit zu einer Reise. Auf dem Weg von und zu den verschiedenen Stationen seiner Reise, erinnert er sich an die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Der Butler Stevens reflektiert seine großen beruflichen Erfolge und versucht zu beschreiben, was für ihn das Ideal des wirklich großen Butlers ausmacht, dem er immer versucht hat zu entsprechen.

Erst am Ende des Romans, als Stevens aufs Meer schaut und darauf wartet, wie nach dem Sonnenuntergang die Lichter angehen, wird ihm klar, wie sehr er in seinem bisherigen Leben die eigenen Gefühle nicht wahrhaben wollte und ihnen schon gar nicht sprachlichen Ausdruck geben konnte.

Was vom Tage übrig blieb

Die Sprache

In einer Radio-Rezension hatte ich gehört, die Sprache Ishiguros sei wie eine Mischung aus Jane Austen und Marcel Proust. Stimmt. Wunderbar flüssig lesbar, präzise, gibt sie die formelle, sprachliche Variante einer vergangenen Upper Class wieder: „As I say, I have never in all these years thought of the matter in quite this way; but then it is perhaps in the nature of coming away on a trip such as this that one is prompted towards such surprising new perspectives on topics one imagined one had long ago thought through thoroughly.“ Erstaunlich…

Der ganze Roman ist aus der Perspektive des Butlers in Form eines inneren Monologs geschildert. Hin und wieder lockern berichtete Dialoge diese Erzählweise auf.

Übersetzung und Verfilmungen

Wer sich zu englischer Lektüre im Original nicht wirklich hingezogen fühlt, sollte diesen Roman unbedingt in Übersetzung lesen: Der Titel der deutschen Übersetzung lautet „Was vom Tage übrig blieb“. Als Alternative bietet sich die Verfilmung aus dem Jahr 1993 an von James Ivory mit Anthony Hopkins und Emma Thompson.

 Bildergebnis für Kazuo Ishiguro

Der Autor

Kazuo Ishiguro OBE ist ein britischer Schriftsteller japanischer Herkunft. Sein dritter und berühmtester Roman „Was vom Tage übrigblieb“ wurde 1989 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Er wurde ebenso verfilmt wie der 2005 erschienene Roman „Alles, was wir geben mussten“. Im Jahr 2017 erhielt Ishiguro den Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Die Schwedische Akademie würdigte ihn als einen Schriftsteller, „der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“. (Quelle Wikipedia)