Warum hasst ihr uns so? Mona Eltahawy

Der Untertitel sagt besser, worum es geht: „Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt“. Allerdings ist der Originaltitel besser und weniger reißerisch: „Headscarves and Hymens. Why the Middle East Needs a Sexual Revolution“.

Das Buch von Mona Eltahawy enthält eine Vielzahl belastender Themen in unaufgeregter Sprache. Die Argumentation der Autorin ist sehr nachvollziehbar in ihrer Klarheit.

Inhalte von „Warum hasst ihr uns so?“

Eltahawy schildert anhand vieler Beispiele, wie im Nahen Osten Frauen als Personen im öffentlichen Leben zurückgedrängt und in der Wahrnehmung der Gesellschaften auf „Jungfernhäutchen“ und „Schleier“ reduziert werden. Beide – so Eltahawy – Symbole für die mangelnde Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung von Frauen in diesen Ländern. Die Themen ihres Buchs sind

  • Einführung zur Verknüpfung von Religion, Sexualität und Frauenfeindlichkeit in „Warum sie uns hassen“
  • Zur Rolle von Frauen in den Revolutionen der vergangenen Jahre in „Schwarzer Schleier, weiße Flagge“
  • Alltäglichkeit häuslicher Gewalt in „Die erhobene Hand“
  • Unterdrückung weiblicher Sexualität in „Der Gott der Jungfräulichkeit“
  • Erziehung, Erwartungen der Familien und Alltag von Frauen in Ländern des Nahen Ostens in „Zu Hause“
  • Beispiele von Unterdrückung und Aufbegehren dagegen in „Wege durch die Wüste“
  • Biografischer Rahmen, Unterstützung durch andere Frauen in „Sprich für dich“

Inhaltliche Aussagen

Eltahawy schildert, wie Frauen in der islamischen Welt darin gehindert werden, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Wie sie täglich die Zielscheibe von verbaler und körperlicher Gewalt werden, die von ihren Gesellschaften als angemessen akzeptiert wird. Die Autorin begründet dies mit tiefliegender Frauenfeindlichkeit einerseits und mit dem kulturell perfektionierten Trick, Opfer zu Schuldigen zu machen.

Wenig Verständnis zeigt Eltahawy für westliche Kommentatoren, die das Argument der „Kultur“ nutzen, um nicht allzu genau sein zu müssen. So werden Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Selbstbestimmung relativiert. Plötzlich sollen sie nicht mehr gelten für Frauen in der islamischen Welt. Sie plädiert für Klarheit, die nicht durch scheinbare kulturelle Toleranz getrübt ist: Auch die Tötung einer Frau aus der islamischen Welt ist Mord, auch die Schläge ihres Mannes sind Gewalt.

Die Sprache, in welcher über kulturelle Besonderheiten gesprochen wird, kritisiert sie als verschleiernd:

  • Beispiel 1: Im öffentlichen Diskurs wird häufig das Wort „Kinderhochzeit“ benutzt. Statt den rechtlichen Tatbestand zu benennen als sexualisierte Gewalt gegen  Kinder, Vergewaltigung und Pädophilie.
  • Beispiel 2: Immer noch wird beschönigend über „Beschneidung von Mädchen“ gesprochen, statt über weibliche Genitalverstümmelung.

Die Autorin

Mona Eltahawy ist eine ägyptisch-US-amerikanische Journalistin. Sie beschreibt sich als eine säkulare radikale feministische Muslimin. Im Zentrum Eltahawys journalistischer Arbeit steht die Kritik an der Misogynie in der arabischen Welt: „Wir müssen eine Verbindung ziehen zwischen häuslicher Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe, weiblicher Genitalverstümmelung und sexueller Gewalt auf der Straße und all diese Dinge beim Namen nennen, nämlich als Verbrechen gegen Frauen. (…) Es ist Zeit für eine Abrechnung mit unserer Kultur und Religion, mit unseren Militärführern und Islamisten – den zwei Seiten derselben Medaille.“

Und sie fliegt doch. Dave Goulson

Diese „Kurze Geschichte der Hummel“ ist ein Buch voller Geschichten, Anekdoten, Naturbeobachtungen und wissenschaftlichem Wissen über die Hummel.

Das Wichtigste: es ist ein unterhaltsames, sehr gut lesbares Buch, ganz in der Tradition bester britischer Sachbücher.

Das Zweitwichtigste: Jede Leserin und jeder Leser sollte sofort den eigenen Garten durch Hummel-freundliche Pflanzen bereichern, um auf diese Weise den Hummeln Nahrung zu bieten und ihr Aussterben zu verhindern.

Das Aussterben der Hummeln

Seit dem Ende des 2. Weltkriegs sind viele Hummelarten auf der Welt seltener geworden oder verschwunden. Das ist unglücklich, da Hummeln zusammen mit Schmetterlingen viele unserer Nutzpflanzen bestäuben. Da jedoch die Wildblumen-Wiesen in Europa immer weniger geworden sind, fehlt den Hummeln die Nahrung. Hummeln brauchen mehrere Tausend Blüten pro Tag während des Hummel-Sommers. Ihre Hauptnahrungsquelle sind Wildblumen, die auf Magerwiesen spezialisiert sind. Keine Magerwiesen, keine Wildblumen, keine Hummeln, keine Bestäubung.

Inhalte von „Und sie fliegt doch“

Das Buch von Dave Goulson erzählt von der Evolution und der Lebensweise von Hummeln, ihrer Genetik und Fortpflanzung, Krankheiten und Parasiten und beschreibt das Hummeljahr. Eingestreute Berichte von seinen Forschungsprojekten verdeutlichen, wie wenig wir über die Hummel wissen. Auf jeder der 311 Seiten des Buchs wird die ungeheure Faszination deutlich, die Goulson von Kind an für Hummeln verspürt hat. Besprechung durch „Spektrum“ hier.

Heute hat sich – so der Autor – weltweit die kommerzielle Besteubung von Nutzpflanzen in großem Stil durch gezüchtete Hummelvölker durchgesetzt: „Wenn Sie das nächste Mal Heinz Tomatenketchup auf Ihre Portion Pommes spritzen, denken Sie einmal über das Wesen der modernen Welt nach. Ihr Ketchup wurde höchstwahrscheinlich in den Niederlanden hergestellt und zwar aus spanischen Tomaten; die Bestäubung fand durch türkische Hummeln statt, die ihrerseits in einem Betrieb in der Slovakei gezüchtet wurden. (…) Denken Sie vielleicht auch einmal daran, dass jede von Ihnen verzehrte Gurke, Aubergine, Stangenbohne, schwarze Johannisbeere und Paprika von einer Hummel bestäubt wurde.“

Pflanzen für Hummeln

Die Blüten von Weißdorn, Brombeeren und Raps locken die kleinsten Hummelarten an; die Blüten von Skabiosen-Flockenblumen und Ackerbohnen die größten. Weiß- und Rotklee, Natternkopf, Lavendel, Beinwell, Stockrose und Lupine finden Hummeln generell attraktiv. Nach der Winterruhe sind Salweiden für Hummeln eine wichtige Nahrungsquelle. Wer viel Platz hat, kann und sollte eine Wildblumenwiese anlegen, die nur einmal im Jahr gemäht und nicht gedüngt wird. Bei Kräuterallerlei und im NRD-Ratgeber finden sich Informationen zu Pflanzen, die Hummeln lieben.

Außerdem wurde durch Goulson ein Verein ins Leben gerufen, der es sich zur Aufgabe macht, Großbritannien zu einem Hummel-freundlicheren Land zu machen; der Bumblebee Conservation Trust, BBCT.

Whistler and his Mother. Sarah Walden

Der Maler James McNeill Whistler (1834-1903) hätte niemals auch nur geahnt, dass eines seiner Werke zum bekanntesten Bild in Amerika werden würde, gewürdigt von einem breiten Publikum und abgebildet auf einer Briefmarke. Gewollt hätte er das wohl in dieser Weise auch nicht.

Die Briefmarke zeigt das Bild von Whistlers Mutter leicht vereinfacht: da sitzt sie und schaut nach links. Ins Leere. Dieses Schauen ins Leere war vermutlich für die Grafiker der Briefmarke derart unerträglich, dass diese am linken Briefmarkenrand eine Vase mit Blumen dazu erfanden.

Was war nun mit der Leere, der Berühmtheit und mit Whistlers „Mutter“ überhaupt?

In ihrem Buch beschreibt Walden den Künstler als brillianten Eklektizisten, der sich – ohne besonders intellektuell oder gebildet zu sein – aus den verschiedensten Quellen Anregungen holte und diese zu einem neuen hamonischen Ganzen verarbeitete. Sie beschreibt ihn auch als einen schlechten Handwerker, der die technischen, materiellen Grundlagen von Malerei kaum beherrschte. Hierzu ist Walden besonders autorisiert, da sie es war, die das Bild der Mutter für den Louvre aufwändig restaurierte.

Whistlers Bild gelangt nach seinem Tod  zu ungeheurer Berühmtheit in den USA, da es als die Quintessenz von Mutterliebe, Patriotismus und amerikanischem Protestantismus gesehen wurde. Es hing endlos reproduziert in amerikanischen Wohnungen, fand später – bis heute – seinen Weg auf Postkarten, T-Shirts und in Comics. Zu dieser Zeit war das Bild stark gelblich verfärbt und besaß eine weiche, warme Ausstrahlung.

Was Whistler wollte

Der originale Titel des Bildes gibt einen Hinweis darauf, was Whistler gewollt haben könnte: nicht „Mother“ hieß es, Whistler nannte sein Bild „Arrangement in Grey and Black“. Die rauhe Textur der Leinwand, die tiefen flüssigen Schwarztöne in Kombination mit Blau und Weiß, die unbestimmten Umrisse waren ihm wichtig. In einigen Aspekten wie der Komposition und der Suche nach tintigem, tiefem, weichem Schwarz ließ er sich durch japanische Kunst anregen. Das Bild war laut Walden ganz und gar anders als es damalige Sehgewohnheiten erwarteten. Nüchtern, kalt und vibrierend und vor allem erschreckend modern.

Die Such nach dem Original

Sarah Walden beschreibt wie Whistler mit unsicheren Malmethoden experimentierte, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Wie sich bereits kurz nach der Fertigstellung 1871 die Wirkung der Farben veränderte und Whistler immer wieder neue Farbaufträge ergänzte, die die ursprüngliche Oberfläche veränderten. Nachdem Frankreich das Bild gekauft hatte, ließ Whistler es neu rahmen. Danach wurde die Oberfläche durch Hitze geglättet. Der hierdurch ausgelöste chemische Prozess bewirkte die Verbindung von Originalfarbe und Übermalungen. Unumkehrbar. Walden skizziert in ihrem Buch die Überlegungen dazu, wie viel oder wie wenig eine Restauratorin leisten kann, damit möglichst viel von demjenigen erhalten werden kann, was ein Künstler intendiert hatte. Und Restauratoren nicht ein völlig neues Bild erschaffen mit neuer Farbe und einer neuen Wirkung auf die Betrachtenden, die ursprünglich nicht beabsichtigt war.

Der Klappentext: „James McNeill Whistler was the most flamboyant and controversial painter of his generation. Oscar Wilde, Proust, Monet and Manet belonged to his circle of friends (…). With his mistresses, quick wit and flawed genius, he let a chaotic life. He turned out his long-standing girlfriend when his mother came from America to live with him in Chelsea. (…) Then suddenly, from this uneasy co-habitation a touching masterpiece appeared. Alongside Leonardo´s Mona Lisa and Botticelli´s Birth of Venus it became one of the best known female images in the world.“

Die autoritäre Revolte – Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Volker Weiß

In diesem Buch geht es um die Fragen

  • Was ist die „neue“ Rechte in Deutschland?
  • Wodurch unterscheidet sie sich von der „alten“ Rechten?
  • Welches sind die handelnden Personen?
  • Welche weltanschaulichen Positionen vertritt die „neue“ Rechte?

Volker Weiß zeigt in seinem Buch die Entwicklung des rechten Denkens in Deutschland und arbeitet hierbei auch die aktuellen Strategien und Methoden der rechtspopulistischen Bewegungen heraus. „Ein aufklärerisches Buch, das die Dürftigkeit der neuen Bewegungen schonungslos entlarvt“, so der Klappentaxt. Das Buch ist gut verständlich, in Teilen packend geschrieben. Es unterstellt nur hin und wieder ein großes Vorwissen über die rechte Szene; an diesen Stellen wird die Nachvollziehbarkeit im Detail etwas erschwert.

Aussagen

Dreh- und Angelpunkt ist aus Sicht Weiß‘, ob weltanschaulich universale Grundrechte wie die Gleichheit der Menschen angenommen werden oder die fundamentale Verschiedenheit zu Grunde gelegt wird. Nach seinen Ausführungen sind demokratische, westliche Gesellschaften durch Ersteres geprägt, während rechte Weltanschauungen Ungleichheit ins Zentrum ihrer Argumentation rücken. Die Kombination von „Boden“, „Volk“ und daraus „natürlich“ erwachsender „Kultur“ bildet die rechte  Argumentationsbasis. Weiß leitet aus diesem Befund ab, wie zwiespältig die Haltung der rechten Szene zum Islam ist, der in Form von Einwanderern nach Deutschland bekämpft wird, jedoch im Rahmen von martialischen Männlichkeitsphantasien durchaus auch bewundert wird. Demnach, so Weiß‘ Fazit, ist der echte Feind der Rechten heute der Westen als Verfechter universeller Menschenrechte: „Angewand auf die doppelte Frontlage, in der sich die gesamte deutsche Rechte wähnt, bedeutet das: Die moralische Vernichtung der „eigenen“ Kultur haben die Deutschen nicht durch islamische Einwanderer erlitten. Diese sind vielmehr nur eine Folge der Niederlage, die der „Amerikanismus“ 1945 dem Reich des „Eigenen“ bereitete und mit dem Kulturwandel von 1968ff. besiegelte.“

Deutlich schildert Volker Weiß in seinem Buch die gewaltverherrlichenden und frauenfeindlichen Vorstellungen am rechten Rand der Rechten. Dem Mann der Gegenwart, so deren Position, drohe die doppelte Entfremdung: zunächst durch die Zivilisation von seinen natürlichen Eigenschaften als Rudelmitglied und anschließend durch die zivilisationsgestärkte Frau von seinen natürlichen Eigenschaften als Mann: „Die sicherste Art zu Überleben böte eine loyale Kampfgemeinsachft in Form einer „Gang“. (…) Am besten sei es, in diesen autonomen Kleinstordnungen schon jetzt die noch herrschenden zivilisatorischen Normen außer Kraft zu setzen (…). Dies betrifft vor allem die Gleichberechtigung der Geschlechter, in der Donovan (Vertreter eines hypermaskulinen Neotribalismus und neuen Barbarentums) ohnehin nur Angriffe auf männliche Grundrechte sieht: „die Natur ist eben ungerecht“.“

Buch-Kapitel in „Die autoritäre Revolte“

  • Die „Neue Rechte“ – Eine Familienaufstellung
  • Armin Mohler – Die Erfindung der Tradition
  • Der Weg zur AfD – Die Sammlung der Kräfte
  • Provokationen von rechts – Politik des Spektakels
  • Konservativ-Subversive Aktionen – Vom Geist auf die Straße
  • Untergang und Rettung – Aufstand des „geheimen Deutschland“
  • „Abendland“ – Kurze Geschichte eines Mythos
  • Der Feind in Raum und Gestalt – Islam, Amerika und Universalismus
  • Vom „Wahrheitskern“ neurechter Politik – Autoritärer Populismus

Weiterführende Links

Das Buch verfügt über ein vielfältiges Quellen-Register und eine umfangreiche Bibliografie, beide enthalten Einträge zur AfD, zu Pegida und zur Identitären Bewegung.

Südafrika: Cape Dutch Homesteads. David Goldblatt, Margaret Courtney-Clark

Südafrika: Cape Dutch Homesteads von David Goldblatt und Margaret Courtney-Clark. Wunderschön sind die Kap-holländischen weißen Häuser wie sie in der Landschaft liegen, von großen Bäumen umgeben und eingebettet in Weingärten.

Cape Dutch Homesteads

Gebaut von Sklaven

So schön, dass man darüber fast vergessen könnte, dass diese Häuser, gebaut zwischen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und 1800 als die Briten die Macht am Kap übernahmen, durch Sklaven gebaut wurden und der Wohlstand ihrer Besitzer durch die Arbeit von Sklaven entstand.

Architektur am Kap

Die Architektur dieser Häuser ist etwas ganz besonderes: in ihnen verschmelzen kulturelle Einflüssen aus den Niederlanden und aus Indonesien und Indien. Später hinterließen auch Ideen des europäischen Klassizismus ihre architektonischen Spuren an diesen Häusern. Es waren in der Regel malaiische Handwerker, die die schönen weißen Giebel formten; sie waren berühmt für ihr Geschick. Die Abtrennung zwischen formellem und informellem Wohnbereich zum Beispiel, der Screen, wurde aus Asien übernommen.

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Das wunderbare Buch von 1981 ist schon etwas älter und fasst den damaligen Forschungsstand knapp sowie gründlich zusammen. Sein großen Charme liegt darin, dass Goldblatt und Courtney-Clarke Fotografen sind, deren wunderbar stimmungsvolle Fotos durch einen gut verständlichen Text von John Kench ergänzt werden.  Das Buch enthält ausführliche Porträts von neun Häusern, in welchen deren wechselvolle Geschichte und heutige Bewohner vorgestellt werden, außerdem eine Einleitung und ein Nachwort mit dem thematischen Schwerpunkt Restaurierung.

Vergehendes Erbe

Um 1900 gab es noch 3000 Häuser dieser Art. Heute sind es nur noch etwas 300, die ein gutes Bild davon geben, wie damals in der Kap-Region von den „freien Bürgern“ gebaut und gelebt wurde. Die etwa 150jährige Geschichte dieser erstaunlichen Architekturen vermitteln die vielen Fotos sowie der ausgezeichnete Text anschaulich.

London: City of Sin – London and its Vices. Catharine Arnold

London ist die Stadt der Sünde, Paris dagegen die Stadt der Liebe. „City of Sin“ erzählt die Geschichte der Prostitution in London von römischer Zeit bis in die Gegenwart.

Viele Details sind wissenswert und interessant. Wie zum Beispiel, dass für die römischen Bordelle regelmäßig Schiffsladungen junger Frauen aus dem ganzen römischen Reich an der Themse anlegten. Oder, dass zunächst die Gegend rund um die heutige Southwark Cathedral das „Rot-Licht-Viertel“ war, später Covent Garden, danach Haymarket. Oder, dass das Geschäft mit der Prostitution Jahrhunderte lang in Frauenhänden lag, was sich erst änderte, als ein Gesetz es Prostituierten verbot, sich zu mehreren unter einem Dach aufzuhalten; damit war der Schutz der Gemeinschaft weg und der Zuhälter wurde nötig. Oder, dass im Mittelalter Bischöfe und Könige Bordelle besaßen und gut an ihnen verdienten.

Arnold beschreibt in ihrem Buch, was getan wurde im Geschäftsfeld Prostitution. Sie erklärt weniger, warum. 333 Seiten über das immer wiederkehrende Was sind dann auch ein bisschen ermüdend… – Ja, Arnold bietet kleine Ansätze von Einbettungen in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. So, wenn sie die Leidenschaft der adligen Kunden für Flagellation auf deren frühe Lust-Schmerz-Erfahrungen in Public Schools zurückführt. Aber diese Ansätze sind insgesamt zu zaghaft, zu unsystematisch und zu wenig fundiert.

Außerdem nutzt sie im wesentlichen Quellen von männlichen Personen, während die Stimmen derjenigen, die einen großen Teil der Dienstleistung erbrachten, kaum vorkommen. Die Reflexion derjenigen, die sich prostituierten, ihre Bewertung der eigenen  Lebensumstände und ihres Gewerbes kommt in meinen Augen zu kurz. Eine gute Bewertung des Buchs bietet ein Artikel des Guardian: “ (…) Post-Belle de Jour, this revelation seems far less spicy than it might once have done, but it does add an interesting dimension to Arnold’s book, in that a history of London as locus for the pleasures of the flesh is largely a history of prostitution. Sex and commerce have been intimately entwined in the capital since the earliest accounts, and this thorough, chronological tour of London’s demimonde from the Romans to the present shows that while fashions in public morals may come and go, human nature remains reassuringly predictable when it comes to sexual adventures. (…)“

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Arnold geht chronologisch- von römischen Lupanarium bis zum Swinging London – vor, bildet hierbei thematische Schwerpunkte: Sie berücksichtigt weibliche und männliche Prostituierte, Kinder, homosexuelle Praktiken und „Perverse Pleasures and Unnatural Lusts“, Bordelle und den Straßen Strich.

Catharine Arnold hat Bücher über das Globe-Theater, Irrenhäuser und Gefängnisse veröffentlicht.

No Voice from the Hall – Early Memories of a Country House Snooper. John Harris

Dieses Buch erzählt die Geschichte englischer Herrenhäuser, denen das Schicksal nicht hold war. Es berichtet von Häusern, die es mittlerweile nicht mehr gibt oder nur noch in extrem veränderter Form.

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Herrenhäuser in England

Ist England nicht das Land voller wunderbarer Herrenhäuser? Ja, das ist es. Dennoch wurden in den späten 1950er Jahren jede Woche zwei bis drei Häuser zerstört. Jede Woche. Und nicht einfach die architektonisch und historisch unbedeutenden. Es waren Häuser gebaut von bekannten Architekten für wichtige Familien. Häuser gefüllt mit geschnitzten Treppen, Marmorkaminen, Stuckdecken, Kronleuchter, Möbeln, Porzellan… und umringt von Gärten oder Parks.

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Harris erzählt, wie er als Junge dazu kam, mit seinem Onkel verlassene Herrenhäuser zu besichtigen. Wie dies zu einer Leidenschaft wurde, weiter angeheizt durch Kenntnisse im Handel mit Antiquitäten sowie die Arbeit für Nikolaus Pevsners ambitionierte Nachschlagewerke zur Architektur Englands.

„Up, over and in“: Country House Snooping

Er erzählt auch vom schmerzlichen Zauber, die Reste dieser „houses in distress“ zu entdecken, und von seiner Wut über die verantwortungslose, oft willkürliche Zerstörung. Das Buch enthält kleine Essays, die diese Entdeckungsgeschichten des Autors beschreiben: über den Zaun, durch den Stacheldraht, durchs Fenster: „When I turned to look at the door (…)  the most bizarre item in this bizarre room was a huge nineteenth-century gilt picture frame, missing its picture, that had been buckled into a corner.“

Cover

Welche Schicksalsschläge hatten die Häuser in Not gebracht?

Viele Häuser wurden im 1. Weltkrieg von ihren Besitzern für humanitäre, seltener militärische Zwecke zur Verfügung gestellt. Im 2. Weltkrieg wählte die britische Regierung gezielt Häuser für militärische Zwecke aus, z. B. für die Unterbringung von Soldaten oder von Kriegsgefangenen. Die Schäden, die diese Nutzung angerichtet hatten, waren derart weitreichend, dass die ihnen gegenüber stehende geringe Kompensation eine Restaurierung für die Besitzer häufig unmöglich machte. Dazu kamen hohe Erbschaftssteuern in der Nachkriegszeit, vandalierende Jugendliche,  Regen, Schimmel…

Erst die Ausstellung „Destruction of the Country House“ von 1974, organisiert von John Harris und Marcus Binney, rief der englischen Öffentlichkeit ins Bewusstsein, in welchem Ausmaß sie dabei war, ihr architektonisches Erbe zu zerstören.

Good Hope – South Africa and the Netherlands from 1600. Martine Gosselink

Diese Geschichte Südafrikas ist etwas ganz Besonderes: sie bietet einen einfachen Einstieg ins Thema, verständliche Texte und interessante Bilder. Sie ist umfassend und fundiert, leistet eine multiperspektivische Annäherung.  Aus meiner Sicht ist „Good Hope“ ein durch und durch modernes Buch in Aufmachung, Themen und Inhalten. Erstaunlich gut. Verblüffend gut lesbar.

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Das Buch räumt auf mit dem Mythos eines leeren Landes, das durch die Holländer besiedelt wurde. Es erklärt, dass Sklaverei von Anfang an eine tragende Säule der Gesellschaft in Südafrika war. Eine besondere Leistung liegt darin, nachvollziehbar zu erklären, wie organisatorische Regelungen ganz unterschiedlicher Art zu verschiedenen Zeiten im Zusammenleben zwischen Weißen und Nicht-Weißen die Voraussetzung für Ausbeutung waren. „Good Hope“ macht deutlich, wie Europäer bereit waren, zu ihrem eigenen Vorteil jenseits von christlichem Glauben und Moral dem Antrieb der Gewinnmaximierung zu folgen. Und dies unabhängig von ihren jeweiligen Herkunftsländern. Link zum Video hier.

Aufbau von „Good Hope“

Das Buch ist chronologisch aufgebaut, beginnt mit der Bevölkerung Südafrikas, bevor Europäer sich dort niederließen, und endet in der heutigen Zeit. Viele kurze Texte sind in 21 thematische Kapitel sortiert. Jeder dieser Kurztexte ist in sich abgeschlossen. Deshalb kann man das Buch gut nach eigenen Vorlieben kreuz und quer lesen. Es hat 375 Seiten, hiervor zeigen über die Hälfte Abbildungen. Eine Fülle von Autorinnen und Autoren aus Südafrika und den Niederlanden eröffnet den Lesern den Blick auf historische, kulturelle und politische Aspekte.Bildergebnis für Good Hope South Africa and the Netherlands from 1600

Kapitel von „Good Hope“ (Auswahl)

  • The world the Dutch invaded: pre-colonial South Africa
  • Home from home: the colonists settle in
  • Slavery in South Africa
  • The early Muslim comminity
  • State, church and the people: the Dutch role in apartheid
  • Afrikaans: a language on the move

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Der Untertitel legt nahe, dass es nur um diejenigen Bereiche der gemeinsamen Geschichte geht, die Südafrika und die Niederlande teilen. Ja und nein. Ja, diese Beziehung von 1600 bis heute ist der inhaltliche Fokus des Buchs. Nein, denn auch andere Bereiche werden ausreichend deutlich erklärt, so z. B. die Rolle Englands in Südafrika oder die wechselvolle Geschichte von Transvaal, der Goldrausch und die Entdeckung von Diamanten.

„In the geopolitical flux of the twenty-first-century world it is intriguing to think about how colonial communities changed metropolitical societies. Some historians and political theorists have observed the profound influence that colonies and settlements in far-flung places have had on European countries, their knowledge, cultures, worldviews and power structures.“

„Good Hope“ ist durch das niederländische Rijksmuseum 2017 als Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung herausgegeben worden. Material zur Ausstellung auf der Seite des Museums hier. Editiert wurde das Buch von Martine Gosselink, Maria Holtrop und Robert Ross.

Die Gärten der Finzi-Contini. Giorgio Bassani

In Ferrara gibt es eine Grünanlage, die in der Innenstadt als gepflegter Park mit repräsentativer Villa beginnt, sich dann ausweitet, auf der einen Seite in einen großen jüdischen Friedhof übergeht und auf der anderen in ein Feld voller Kleingärten, Sandhaufen, alter Bäume und Unkraut. Dahinter kommen mehr oder weniger schöne Gärten, in denen alte Häuser stehen. Dies alles ist angeblich das Gebiet der früheren Gärten der Familie Finzi-Contini.

Blick in die Vergangenheit: „Die Gärten der Finzi-Contini“

„Die Gärten der Finzi-Contini“ ist ein melancholisches Buch. Es erzählt im Rückblick eine Geschichte, in der die Vergangenheit wertvoll ist, weil die Zukunft ungewiss ist. In der alte Gegenstände ihren Wert haben, weil nichts ihnen ihre Geschichte rauben kann, egal, was die Zukunft bringen wird: „Sie schwieg, fast ohne sich zu rühren. „Sieh dir dagegen das (verrottete) Paddelboot an (…) und bewundere bitte, mit wie großer Ehrlichkeit, Würde und welch moralischem Mut es aus dem Verlust jeglicher Funktion alle nötigen Konsequenzen gezogen hat. Auch die Dinge sterben, mein lieber Freund. Und wenn sie also sowieso sterben müssen, dann ist es besser, man lässt sie in Ruhe. Außerdem ist es auch besserer Stil, findest du nicht?““

Liebesgeschichte und Geschichte der Juden in Ferrara

Bassani entfaltet das Motiv einer verlorenen Jugendliebe in einer bestimmten historischen Situation: Sein Erzähler gehört zum jüdischen Bürgertum Ferraras, nach Bassanis Darstellung gutsituierter Mittelstand oder Großbürgertum. Sie hatten schon lange das Ghetto verlassen und pflegten ihre religiösen Bräuche fast wie eine Art Huldigung an die Tradition. Die Rassendiskriminierung kommt für die jüdische Bourgeoisie in Bassanis Roman deshalb überraschend. 1938 wurden alle Schulen für jüdische Schüler wie Lehrer gesperrt und ein Rassengesetz trat in Kraft, welches Juden vom gesamten öffentlichen Leben ausschloss und ihre Bürgerrechte einschränkte. Hier setzt „Die Gärten der Finzi-Contini“ an.

Il giardino dei Finzi Contini [IT Import]

Die Sprache

Bassani erzählt in einer unaufgeregten Sprache, fast lakonisch, aus der Perspektive des männlichen Ich-Erzählers. Dieser erzählt äußerliche Begebenheiten, schildert Dialoge und berichtet über seine Gefühle. Sich selbst bleibt er dabei auch im Rückblick ein Rätsel.

„Das war an einem Dienstag. Ich könnte nicht erklären, warum ich mich wenige Tage darauf, am Samstag der gleichen Woche, dazu entschloss, gerade das Gegenteil von dem zu tun, was mein Vater wünschte. Ich möchte die Möglichkeit ausschließen, dass dabei der übliche Widerspruch eine Rolle spielte, der einen Sohn mechanisch zum Ungehorsam veranlasst. Was plötzlich in mir die Lust erweckte, meinen Schläger und meine Tennissachen aus der Schublade hervorzuziehen, in der sie über ein Jahr gelegen hatten, war vielleicht nur der strahlend schöne Tag gewesen, diese leichte, zärtliche Luft eines ungewöhnlich sonnigen Nachmittags zu Beginn des Herbstes.“

Bildergebnis für Giorgio Bassani

Der Autor Giorgio Bassani

Giorgio Bassani ( 1916-2000) wuchs in einer liberalen jüdischen Arztfamilie in Ferrara auf. 1935 begann er ein Studium der Literaturwissenschaften in Bologna, das er trotz der italienischen Rassegesetze von 1938 mit einer Dissertation beenden konnte. Er wurde zum politischen Widerstandskämpfer. Nach einem Gefängnisaufenthalt verbracht er den größten Teil seines Lebens in Rom als Schriftsteller und Publizist.

Bellissima – Feminine Beauty and the Idea of Italy. Stephen Gundle

Die Schönheit italienischer Frauen: hier ist das Spektrum der Assoziationen weit. Von den leichtbekleideten Frauen im italienischen Fernsehen über Sophia Loren bis hin zu den Frauengesichtern des Quattrocentro. Was immer das Herz begehrt… Aber, schöne Frauen UND die Idee von Italien? Das ist ein ungewöhnlich interessanter Ansatz.

Stephen Gundle beschreibt in seinem Buch, wie das Ideal der schönen Italienerin im Lauf der Jahrhunderte für ganz unterschiedliche Zwecke derer genutzt wurde, die es propagierten: politische Einheit, Tradition, Wohlstand nach Kriegsjahren, Modernität, Marketing, Sex. Er skizziert sowohl die inner-italienischen Trends wie auch den Blick nordeuropäischer Reisender und des westlichen Filmpublikums der 50er und 60er Jahre.

Gesamtpaket: Schönes Italien, schöne Italienerinnen

Die Idee von speziell italienischer, weiblicher Schönheit hat nach seinen Ausführungen im wesentlichen eine integrative Funktion.  Im Zusammendenken von Italien, Kultur, Kunst und weiblicher Schönheit spendete letztere auch Trost in einer als unübersichtlicher und komplexer wahrgenommenen Welt: „One of the most striking features of Italian feminine beauty is continuity or (…) the semblance of continuity. A crucial part of the appeal of this cultural configuration lies in the fact that the beautiful Italian woman is considered to be timeless (…). From the time of the Grand Tour, northern Europeans looked to the peninsula and its women, hoping to find there a sense of the wholeness that they were convinced had disappeared from their own countries.“

Schönheitswettbewerbe als Praxistest für Ideale

Besonders interessant ist Gundles Ansatz, über die Veranstaltung, Verdammung und mediale Verwertung von Schönheitswettbewerben seit den 30er Jahren die widersprüchlichen Anforderungen an das Ideal der italienischen Schönheit innerhalb der Gesellschaft zu zeigen. Alleine das Bildmaterial hierzu ist faszinierend.

Verbüffend, doch ebenso interessant wie nachvollziehbar sind seine Ausführungen zur beliebtesten italienischen Porn-Queen, Moana Pozzi, die nach ihrem frühen Tod eine Art säkulare Heilige wurde…

Kapitel von „Bellissima“

  • Italy, the Land of Beauty
  • The Blonde Aura of Queen Margherita
  • The Rise of the Professional Beauty
  • Fascism and the Allure of the Female Image
  • Beauty and National Identity after the Second World War
  • Catholics, Communists and Beauty Contests
  • The Female Film Stars of the 1950s
  • Mass Consumption and Ideals of Beauty
  • Emancipation, Eroticism and Nostalgia
  • Beauty and Ethnicity in the Era of Globalisation
  • The Return of the „Bella Italiana“

Schönheitsideal und Kulturgeschichte

Good Reads zu „Bellissima“: Feminine beauty has been more associated with national cultural identity in Italy than in any other country. From the time of Dante and Petrarch, ideals of beauty have informed artists’ work. This intriguing and gloriously illustrated book investigates the many debates this topic has provoked in modern Italy.“

Der Autor thematisiert explizit das Ideal weiblicher, italienischer Schönheit als Wunschvorstellung von Männern. Auch sprachlich berücksichtigt er diesen Aspekt: konsequent formuliert er mit großer Sensibilität, dass sich der männliche Blick auf den weiblichen Körper richtet. Dort, wo Frauen selbst die Initiative zur Selbstdarstellung und Selbstreflexion nutzten, berücksichtigt er diese Belege. Erstaunlicherweise – oder auch eben nicht – entdeckte die katholische Kirche alleine sehr schnell, dass der unbekleidete weibliche Körper, der für Marketingzwecke eingesetzt wird, nicht unbedingt eine Wertschätzung von Frauen ausdrückt.

„Bellissima“ ist reichbebildert und verfügt über eine umfangreiche Bibliografie.