Emma – Das Leben der Lady Hamilton. Gilbert Sinoué

Sie galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Die meist porträtierte war sie ganz sicher. Als „Super-Model des 18. Jahrhunderts“ hat der WDR Lady Hamilton bezeichnet.


Lady Hamilton kam aus einfachsten Verhälnissen, lebte als ausgehaltene Frau, reiste nach Neapel, heiratete den Adeligen Sir William Hamilton, wurde Vertraute einer Königin, verliebte sich in Admiral Nelson, starb einsam und verarmt in England. Was man unbedingt über sie wissen muß: nur mit der Hilfe von Tüchern und wenigen Requisiten stellte sie eine Fülle antiker Figuren nach. Ihr sensibler Ausdruck von Gesicht und Körperhaltung waren in ganz Europa als die „Attitüden der Lady Hamilton“ berühmt. Auch Goethe war fasziniert von ihrer Darstellungskunst.

„Zahllos sind die Legenden, die sich um Lady Hamilton (1765-1815) ranken. Das bigotte 19. Jahrhundert hielt sie für eine Prostituierte, weil sie arm war und sich von einem reichen Mann angeln und heiraten ließ. Auf der weißen Weste des englischen Nationalhelden Nelson war sie der dunkle Fleck. Sicher ist, sie war die prominenteste, die erfolgreichste Aufsteigerin ihrer Zeit, nicht zuletzt wegen ihrer Schönheit die meist porträtierte Frau des 18. Jahrhunderts“, so der Klappentext.

Die Biografie ist gut lesbar geschrieben, sie zeichnet ein gutes Porträt sowohl von Lady Hamilton wie auch von der spannenden Zeitgeschichte. Wo immer die Quellenlage unsicher ist, räumt der Autor dies ein. Wann immer er spekuliert, berichtet er dies.

Emma, Lady Hamilton, zeigt als große Liebende eine weitere Facette: den recht zerschossenen Kriegshelden Nelson – ein Auge und ein Arm fehlen nach Kriegshandlungen gegen Napoleons Truppen im Mittelmeer – päppelt sie gesund. Die beiden verlieben sich heftig, Sir William toleriert ihre Beziehung.

 

 

„Tatsächlich lebten der Liebhaber und seine Geliebte von da an endgültig in ihrer eigenen Welt. Bald verletzten sie alle Regeln, brachen alle Tabus, boten den Konformisten die Stirn, schmähten Tugendwächter und Tugendhafte. Kurz gesagt: Sie haben sich geliebt, sich zu sehr geliebt, sich auch zweifellos zu wenig geliebt, aber im Unterschied zu denjenigen, die den Stab über sie gebrochen haben, haben sie ihr Leben gelebt.“

The unexpected Professor: An Oxford life in books. John Carey

The unexpected professor war ein unerwartetes Vergnügen. Die Autobiographie von John Carey (* 1934), emeritierter Englisch-Professor und Fellow des Merton College, ist in vielerlei Hinsicht ein klassisches Beispiel der Kategorie „Autobiographie eines Oxford-Professors“, aus anderem Blickwinkel betrachtet jedoch fällt sie vollständig aus dem Rahmen.

Wie die meisten Autobiographien beginnt The unexpected professor mit Geburt und Kindheit und arbeitet sich chronologisch voran. Nur Ereignisse, Dinge, Menschen mit Relevanz für die Person des Autoren werden erwähnt. Alle Wertungen, Schwerpunkte, Auslassungen sind subjektiv seine eigenen. Auch die typischen Charakteristika einer Oxford-Professoren-Geschichte sind vorhanden: Understatement und Ironie, eindrucksvolle College-Architektur, viel Portwein, seltsame Gebräuche, exzentrische Kollegen.

Anders ist diese Autobiographie jedoch, da sie eine ungewöhnliche Beziehung in den Mittelpunkt stellt: „something more personal – a history of English literature and me, how we met, how we got on, what came of it“. Das Wort Liebesbeziehung hierfür zu verwenden, ist wahrscheinlich nicht verkehrt.

Normale biographische Details und Anekdoten werden verwendet, da sie begründen, warum Carey wann was gelesen hat und warum er Literatur so interpretiert, wie er sie interpretiert: Auch strukturieren sie seine Lese-Erfahrungen und ergeben die Kapitelfolge: „Grammar School“, „Playing at Soldiers“, „Undergraduate“…. Nicht zuletzt bringt das Biographische dem Leser auch den Menschen John Carey näher, vermittelt seine Austerität, seinen Humor, seine Komplexe, seine Liebenswürdigkeit:
„At about the same time Gill, very courageously, agreed to marry me, and share my worldly goods, which still amounted, in effect, to the Bakelite radio and the electric coffee pot. So quite early in the morning on Ascension Day, 7 May 1959, I bought a bottle of champagne from Christ Church buttery, and (we) drank to one another’s futures beside the round pond in the middle of Tom Quad, while the goldfish gleamed and the waterlilies spread their petals and Mercury, with jets of water dancing round him, stood on one leg on his plinth and pointed to the sky. It was a most un-Carey-like episode. Champagne! In the morning!“

Damit ist dieses Buch eine ganz seltsame, eigenartig faszinierende, für mich sehr einnehmende Mischung aus Lebenserfahrungen und sehr persönlicher Einführung in die englische Literatur, aus Tutorium und Beziehungsgeschichte, aus Großartigem und Bescheidenheit.

Besonders anregend ist, was Carey über einzelne Texte und Autoren (leider fast ausschließlich Männer…) sagt. So erfährt man seine – nicht nur positiven – Gedanken zu John Milton und Samuel Beckett, zu John Donne und George Orwell, zu D.H. Lawrence und Joseph Conrad. Nachvollziehbar werden seine Überlegungen durch viele exzellent gewählte, auch lange Zitate.
Mir selbst war Milton zum Beispiel bisher eher fremd, und ich fand ihn abweisend. Nicht gewusst hatte ich dabei, dass „it has been estimated that, under the Presbyterian Blasphemy Ordinance of 1648, (… he would have been) liable to five death sentences and eight terms of life imprisonment.“ Jetzt bin ich neugierig auf ihn.

Erfrischend auch seine offenen Worte zu der einen oder anderen ungenießbaren wissenschaftlichen Publikation: „A new custom (…) was for authors to preface their terrible tomes with pages of effusive thanks to all those – teachers, academic colleagues, friends, parents, partners, children, childminders, and as like as not the family dog – without whom the volume would never have come into being. I cursed them all fervently in my heart.“

Und dann ist da noch das Schlußkapitel „So, in the End, Why Read?“. Seine Gründe:

  • „… reading opens your mind to alternative ways of thinking and feeling. (…)
  • Book-burners try to destroy ideas that differ from their own. Reading does the opposite. It encourages doubt. (…)
  • Reading distrusts certainty. (…)
  • Reading punctures pomp. (…)
  • Reading is contemptuous of luxury. (…)
  • Reading makes you see that ordinary things are not ordinary. (…)
  • Reading is vast, like the sea, but you can dip into it anywhere and be refreshed.
  • Reading takes you into other minds and makes them part of your own.
  • Reading releases you from the limits of yourself.
  • Reading is freedom.“

Alexander der Große: Sohn der Götter. Alan Fildes und Joann Fletcher

Offensichtlich ein Buch, das man lesen sollte in den heutigen Zeiten, denn Alexander der Große war immer ein Vorbild für Regenten mit großem Anspruch, egal ob sie Cäsar, Napoleon oder anders hießen und heißen. Einen Aspekt wollten sie jedoch nie kopieren: Alexander starb im Alter von nur 32 Jahren.

Die Geschichte Alexanders des Großen ist schnell erzählt. Geburt als Sohn des Makedonenkönigs Philipp II, der schon damit begonnen hatte, aus dem völlig unbedeutenden Makedonien eine Militärmacht zu machen – Erziehung unter anderem durch Aristoteles – durch militärische Eroberung Aufbau des damals größten Weltreichs aller Zeiten (Griechenland, der gesamte nahe und mittlere Osten, Teile Indiens und Afghanistans, Ägypten, Libyen….), erste Rebellionen auch von seinen Freunden und Vertrauten, Tod im Jahr 323 vor unserer Zeitrechnung, Beerdigung in Alexandria. Mit ihm endete eine Epoche. Er begründete mit dem Hellenismus eine neue: kosmopolitisch, griechisch-geprägt, in seinem gesamten Herrschaftsgebiet. Danach übernahmen die Römer.

Die für den Erfolg wichtige mythische Überhöhung gibt es auch: Philipp II. war gar nicht sein Vater, sondern Zeus selbst; seine Mutter war eine Nachfahrin Achills; die Götter waren für ihn, wie die Orakel bestätigten; die Ägypter verehrten ihn sogar als Gott; er selbst fand das wohl recht angemessen und nachvollziehbar.

Und die Machtgeschichte obendrein. Sie ist so, wie solche Machtgeschichten meistens sind. Loyal gegenüber seinen Freunden und gegenüber Gegnern, die sich eines Besseren besannen – erbarmungslos gegenüber illoyalen Freunden und allen anderen, die sich ihm in den Weg stellten – bereit, große Opfer bei Soldaten und Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen.

Immerhin scheint er auch belesen, gebildet, intelligent und intellektuell neugierig gewesen zu sein. Und er hatte nie den Anspruch, eroberten anderen Kulturen seine eigene aufzuzwingen, im Gegenteil, er übernahm auch Sitten von ihnen. Das wiederum machte ihn bei seinen eigenen Makedonen etwas unbeliebt.

Faszinierend ist die Biographie Alexanders des Großen allemal. Er war noch blutjung, als er mit seinen Eroberungen begann. Er besiegte Weltreiche und Hochkulturen. Er kam in ferne, unbekannte Länder, die noch nicht einmal die Götter vorher erreicht hatten. Plus eine ordentliche Portion Sex and Crime.

Das Buch von Fildes und Fletcher ist bunt und ordentlich. Die Biographie wird in Kapiteln abgepackt, die jeweils auf zwei oder drei Seiten passen. Es gibt viele farbige Illustrationen. Die Sätze sind kurz und verständlich. Die Herangehensweise ist deskriptiv. Die Person Alexanders wird dabei als Held und Identifikationsfigur dargestellt (so wie das auch Karl May gemacht hätte), problematisiert und in einen größeren Kontext eingeordnet wird sie nicht. Eigentlich erzählen die beiden nur die antiken Quellen nach. Und eigentlich ist das zu wenig: Alexander selbst war da intellektueller.

Durch Mauern gehen. Marina Abramovic

Wer bisher nicht zu den begeisterten Anhängern der  Performance-Kunst gehört, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Danach wird das Verständnis größer sein, sich vielleicht Faszination vermittelt haben und vielleicht Bedauern entstanden sein, Abramovic nicht in einer ihrer Performances gesehen zu haben.

 

„Durch Mauern gehen“ ist die Autobiografie der Künstlerin Marina Abramovic. Welch eine erstaunlich beeindruckende Frau! Mich überzeugt die Konsequenz der Künstlerin, Kunstwerke zu entwickeln, die die Menschen unmittelbar emotional erreichen. Packen. Erkenntnisse vermitteln, die das Selbst verändern. Eine Kunst zu entwickeln, die nicht über den Kopf, nicht über Rationalität, sondern statt dessen über unmittelbares Erleben funktioniert.

Und hierbei schont sich die Künstlerin nicht

In ihren Performances fließt ihr eigenes Blut, hungert sie, sitzt für Stunden bewegungslos, liegt auf Eis, wäscht blutige Knochen, lässt sie sich durch ihr Publikum mit 72 Gegenständen beschädigen. Einen kleinen Eindruck bietet dieser Film-Clip.

Besonders beeindruckt haben mich diese Arbeiten

Die Serie „8 Lessons on Emptiness with a Happy End“ von 2008:

Marina Abramovic

Die Performance „Balkan Baroque“ von 1997, die die Gewalt auf dem Boden des ehemaligen Jougoslawiens nach Titos Tod thematisert:

Verwandtes Bildergebnis

 

Die Performance „The Artist Is Present“ von 2010: Hier haben sich über 1500 Menschen gegenüber Abramovic in einem New Yorker Museum hingesetzt. Einige nur für Minuten, andere für Stunden. Hierzu aus „Durch Mauern gehen“: „Sehr schnell spürte ich, dass die Leute, sobald sie mir gegenüber Platz genommen hatten, unglaublich bewegt waren. Einigen kamen die  Tränen – und mir ebenfalls. War ich ein Spiegel? Es fühlte sich an, als wäre ich mehr als das. Ich konnte den Schmerz der Menschen sehen und spüren. Ich glaube, die Leute wurden überrascht von dem Schmerz, der in ihnen hochkam. (…) Sie hatten stundenlang darauf gewartet, um mir gegenüber sitzen zu dürfen. Und dann saßen sie auf einmal vor mir. Wurden vom Publikum beobachtet. Wurden gefilmt und fotografiert. Wurden von mir beobachtet. Sie konnten nirgendwohin außer in ihr Inneres. Und genau darum ging es.“

Sehr wohltuend ihr eigener Kommentar über die später siebziger Jahre, in denen Performance-Kunst derart „in“ gewesen war, dass jemand nur auf den Boden spucken und es Performance nennen brauchte…

Vielleicht den besten Eindruck geben die Videos der ins Absurde überzeichneten Tragödie von Bob Wilson „The Life and Death of Marina Abramovic“. Natürlich mit Marina Abramovic. Zwischen zwei Beerdigungen thematisiert das Stück Schmerzen und selbstzugefügte Verletzungen der Titelheldin. Besonders berührend sind die Songs „Why must you hurt yourself“ und „When will I turn to cut the world“.

Zum Hintergrund gibt es unter der Überschrift „Vom Brüllen zum Schweigen“ einen guten Artikel in der Zeit von 2014.

Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung der amerikanischen Original-Ausgabe. Die Sprache wirkte auf mich wie umgangssprachlich diktierter Text, der dann in der Übersetzung noch flacher wurde. Anfangs hat mich dies gestört. Während des Lesens ist dies immer unwichtiger geworden, weil mich die Künstlerin mit der Beschreibung ihrer Kunst in den Bann gezogen hat.

Idole und ihre Mörder. Connie Palmen

100 Seiten zu den Ursachen moderner Morde. Ein knappes, kluges Buch. Es liest sich, als sei es ein Kommentar auf aktuelle Ereignisse in Syrien, in der Türkei, auf Terror-Anschläge in Europa. Ist es nicht … und ist es irgendwie doch.

Der Einstieg: Palmen berichtet von einem Mann, der sie töten wollte. Aus Liebe. Es aber dann doch nicht tat und ihr statt dessen Champagner schickte.

Die Thesen: Palmen führt aus, wie ihrer Meinung nach die Mörder von Idolen/Berühmtheiten nicht mehr zwischen echt und unecht (Fiktion) unterscheiden können, zwischen öffentlichem Schein und Sein. Wesentlicher Grund hierfür sei die Einseitigkeit der Beziehung zwischen Berühmtheit und Fan: ökonomisch wechselseitig, ein gegenseitiges Geben und Nehmen, aber emotional einseitig. Der Fan wird von seinem Idol nicht als Individuum wahrgenommen. Das Idol bringt dem Fan im Krankheitsfall keine Gemüsebrühe ans Bett. Diese Einseitigkeit der emotionalen Beziehung bringt den Fan dazu, das Idol wie ein Symbol und eben nicht wie einen lebendigen Menschen wahrzunehmen.

Der Attentäter tötet in seiner Vorstellung keinen Menschen… „Für eine Philosophie des modernen Mordes muß man auf die Terminologie der Fiktion zurückgreifen. Mörder können ihre Opfer nicht als echte Personen sehen. In ihren Augen ermorden sie eine Figur aus ihrem idiosynkratischen Filmszenario, Theaterstück oder Roman, ein Symbol, eine Ikone. Alles, nur nicht einen leibhaftigen Menschen.“ Hierauf basiert inhaltlich auch der sehr viel treffendere Original-Titel „Iets wat niet bloeden kann“, Das, was nicht bluten kann.

Palmen führt aus, dass in ihren Augen die fanatische Verfolgung einer idealen Vorstellung vom richtigen Leben zur Verachtung anderer Menschen führen kann. Dies gelte für Glaubensfanatiker, Abstinenzler, Geizhälse und andere in gleicher Weise: „Die selbst auferlegten Beschränkungen und die daraus erwachsende einseitige Sichtweise treten an die Stelle des Denkens, der Reflexion, der Erinnerung, des Schmerzes, der Selbsterkenntnis und der Unterhaltung realer Beziehungen. (…) Der Fanatiker widmet sich einem  Projekt oder Ziel nicht um dessen Bedeutung willen, sondern weil er sein eigenes Bedürfnis danach, sich mit etwas verbunden zu fühlen und sich dem völlig zu widmen, befriedigen möchte. Über seinen Fanatismus hinaus braucht der Fanatiker nichts und niemanden, um sich überlegen zu fühlen.“

In der Regel können besondere Situationen, in denen einer der beiden eine Rolle – öffentlicher Schein – spielt, gut verstanden werden, da sie sich in einem bestimmten, eng definierten Raum abspielen, so Palmen. Sie führt als Beispiele Psychiater, Nonnen, Huren und Schauspieler an. Als deren Produkte seelische Betreuung, Glaube, Sex und Spiel. In der modernen Medienkultur jedoch fehlt laut Palmen diese Form der räumlichen Abgrenzung: „Personen des öffentlichen Lebens unterhalten die gleiche Beziehung zur Gesellschaft wie der Psychiater, die Nonne, die Hure und der Schauspieler, nämlich eine ökonomisch wechelseitige und symbolisch einseitige. Auch sie tun dies ohne Ansehen der Person. Der Politiker, der Popstar, die Fernsehgröße, der Künstler und der Schriftsteller liefern ein Produkt gegen Bezahlung, und dieses Produkt ist an eine symbolische Persönlichkeit oder ein Image gekoppelt (…) Und weil definierende und schützende Grenzen fehlen, empfinden wir (sie) als vogelfrei.“

Bespiele für moderne Morde, die Palmen in ihrem Buch heranzieht, sind diejenigen von John F. Kennedy, John Lennon, Pim Fortuyn und Gianni Versace sowie die Attentate auf Andy Warhol und Ronald Reagan, ebenso die Selbsttötungen von Marilyn Monroe und Elvis Presley.

Das Buch ist 2004 in den Niederlanden erschienen. Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung von Hanni Ehlers. Die Sprache kommt derart einfach daher, dass es fast passiert, den Grad der Komplexität bei den Inhalten zu übersehen.

Jedem Leser und jeder Leserin von Zeitungsartikeln und Büchern, die sich mit moderner Gewalt beschäftigen, sollte ihre Zeit für diese 100 Seiten von Connie Palmen nicht zu schade sein.

Josiah Wedgwood – Entrepreneur to the Enlightenment. Brian Dolan

Wedgwood? Das sind doch diese kitschigen englischen Väschen und Tellerchen, oder?

„Wedgwood“ war einmal DAS Porzellan (eigentlich Keramik) für Europa, für Amerika, für Russland. Königinnen und Zarinnen, Adelige und Wohlhabende in fast aller Herren Länder wollten Wedgwood. Und waren bereit, sehr viel Geld dafür zu zahlen. Wie kam das?

Das Buch von Brian Dolan zeichnet nach, wie ein Junge aus einer eher ärmlichen Familie zu einem hochgeachteten, berühmten und reichen Töpfer werden konnte, der fast 300 Menschen in seinem Werk beschäftigte.

Wer war Josiah Wedgwood?

Josiah Wedgwood (1730 – 1795) war ein englischer Töpfer und Geschäftsmann, Gründer der Wedgwood Company. Er gilt als Erfinder der industriellen Fertigung von Töpferwaren  durch Arbeitsteilung und auf diese Weise stark reduzierten Produktionskosten. Seine Erfindungen weckten Begeisterung bei Kunden und wurden rasend schnell – wo immer möglich – von seinen Konkurrenten kopiert.

Was zeichnte Josiah Wedgwood aus?

Wedgwood glaubte als Mitglied einer reform-protestantischen Minderheit daran, dass die Erforschung der Natur ihre tiefe Würdigung als Gottes Schöpfung darstellt. Er sah unternehmerischen Erfolg als Verantwortung zur Förderung des Gemeinwesens.

Erfindertum

Wegdwood war nicht nur ein hervorragender Töpfer, er war auch ein systematischer, kreativer Erfinder. In den Nächten experimentierte er mit Metallen, um unterschiedliche Glasur-Effekte zu erzielen, mit Brenntemperaturen, Ton-Zusammensetzungen und neuen Formen. Seine Experimente hielt er in seinen Notizbüchern in Code fest.

Marketing-Geschick

Fast scheint Wedgwood geahnt zu haben, was seine Klientel wünschen können müsste. Alle Ansatzpunkte verfolgte er mit Methoden, die sehr modern wirken. Schaufenster-Gestaltung, Produkt-Zyklen und Testimonials bekannter Personen: All dies setzte er ein.

Glück

Wedgwood hatte Glück – und hat dieses am Schopf gepackt: Seine Frau Sarah Wedgwood sah sich als Unternehmer-Frau, er fand in der Lunar Society Freunde, die eine bessere Ausbildung genossen hatten und seine Ideale teilten, er erfüllte die ausgefallenen Wünsche mächtiger Kunden.

Meilensteine

Helles Steingut in der Farbe von Porzellan

Wedgwood erfand eine Glasur, die – bis dahin in einzigartiger Weise – Geschirr fast weiß und ebenmäßig glatt aussehen ließ. Die Keramik wirkte fast wie Porzellan. Hiervon ließ sich auch Königin Charlotte begeistern. Danach die russische Zarin.

Jasper-Ware

 Eine sehr erfolgreiche Erfindung Wedgwoods war ein durchgefärbter, matter Ton. Auf diesen konnte er außerdem hauchdünne weiße Schichten aufbringen. Beliebt waren Kannen, Tassen, Schmuck, aber auch Schuhschnallen aus diesem Material.

Dekorative Vasen

Wedgwood nutzte die Begeisterung der Adligen und akademisch Gebildeten für die Antike, indem er klassizistische Motive verwendete. Außerdem: Als er bemerkte, wie groß die Leidenschaft für antike Vasen wurde und wieviel Geld Sammler für diese ausgaben, hatte er die brilliante Idee, extrem hochwertige dekorative Vasen herzustellen. Sein Coup war die Kopie einer römischen Glasvase, die sogenannte Portland Vase (Foto rechts). Wedgwoods Kopien von dieser waren eine Sensation. Mehr Publicity geht nicht.

Buchbeschreibung: „An intriguing examination of the life and times of Josiah Wedgwood, potter to the Queen, and an Enlightenment pioneer. Brian Dolan combines the remarkable story of Josiah Wedgwood, the English potter whose works are among the finest examples of ceramic art, with the story of the 18th-century world of industry, fashion and connoisseurship.“

Ein tolles Buch!

Outsider II. Brian Sewell

Den ersten Teil der Autobiographie von Brian Sewell, einem sehr einflussreichen britischen Kunsthistoriker und -kritiker, hatte ich schon an anderer Stelle besprochen. Damit es nicht bei einem halben Leben bleiben muss, folgt dieses Mal der zweite Teil, von Sewell auch so betitelt: „Outsider II, always almost, never quite“.

Diese Fortsetzung fängt für mein Empfinden etwas schwach, umständlich und langweilig an. Wahrscheinlich hat sich auch Sewell beim Schreiben ziemlich gequält,  bis endlich Kapitel 8 hinter ihm lag, in dem er sich mit der Blunt-Affäre und seiner eigenen Rolle darin beschäftigt. Ein Autobiograph, der sich volle, ungeschönte Wahrhaftigkeit beim Schreiben als Maßstab gesetzt hat, kann an diesem Kapitel nur scheitern. Und das sah Sewell sicherlich kommen. Scheitern tut er und das Kapitel auch, aber nicht kläglich, sondern durchaus anständig.

Blunt, hier im Bild, war ein Miglied der sogenannten „Cambridge Five“, die als Mitglieder des britischen Geheimdienstes und auch der CIA bis in die 50er Jahre die Sowjetunion mit Informationen versorgten und als erfolgreichste Agenten in westlichen Nachrichtendiensten gelten. Der Roman „Dame, König, As, Spion“ von John le Carré, den wahrscheinlich viele gelesen haben,  befasst sich ebenfalls mit der Affäre.

Sewell war ein Student von Blunt am Courtauld-Institut und danach ein Freund, der auch nach Blunts Enttarnung auf beträchtliches eigenes Risiko weiter zu ihm hielt, ohne mit der Sowjetunion und Blunts Spionage-Tätigkeit zu sympathisieren. Sewells eigene Karriere als Kunsthändler war anschließend irreparabel beschädigt.

Gerne gelesen habe ich die Biographie allerdings erst nach diesem Kapitel, wenn er über seine Zeit als Kunstkritiker schreibt, über sein schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter, über seine Erfahrungen mit dem Fernsehen und auch über seinen zunehmend klapperigen und kranken Körper, dessen Herz nach und nach seinen Dienst verweigert. Dies sind die Kapitel, in dem die ungeschönte Offenheit Sewells am Besten zur Wirkung kommt.

Wie immer hält Sewell seine Garantie für gute Zitate und Anekdoten. Als Kunstkritiker des London Evening Standard machte sich Sewell wenig Freunde, hatte aber eine Zeit lang einen Herausgeber, der ihm den Rücken freihielt. Dieser Herausgeber schrieb, als sich der Stabschef des Erzbischofs von Canterbury beschwerte:
„Brian Sewell is indeed intemperate … In recent months I have dealt with outraged correspondences about his column from assorted Zionists, art dealers, Scots, Jews and so on. If there is any section of society he has so far failed to take on, I am sure that he will soon remedy the deficiency. It is probably fair to say that dogs are the only people for whom he feels unqualified enthusiasm … I am sure the Archbishop is quite grown-up enough to take the view that if the likes of Brian Sewell are capable of stoking up fires too hot for him to bear, then he is likely to find the going very tough in the afterlife.“

Sylvia Plath und Ted Hughes: Du sagst es. Connie Palmen

Eine Frau beißt einen Mann in die Wange bis das Blut läuft.

Ist das Liebe?

So jedenfalls lernt sich im Buch von Connie Palmen eines der berühmtesten Liebespaare der modernen Literatur kennen.

Das Buch ist der fiktive Bericht einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, einer Ehe, einer Selbsttötung: aus der Sicht des männlichen Protagonisten, Ted Hughes. Hughes selbst hat in der Realität zur Beziehung zwischen Plath und ihm  geschwiegen. Im Archiv befindet sich allerdings eine versiegelte Kiste, die laut Testament erst 2023 geöffnet werden kann…

Warum ist diese Konstellation interessant?

Nach Plath’s Suizid im Jahr 1963 galt sie als Märtyrerin, Hughes als Verräter. Ihre Beziehung wurde in den Medien und von ihren Freunden immer wieder thematisiert, dabei mit großem Detailreichtum an die Öffentlichkeit gebracht.

Funktioniert die Fiktion?

Das Buch ist auf den ersten Blick eines: verblüffend überzeugend. Man nimmt Palmen die Stimme ab, die sie Hughes in den Mund legt.

„Es dauerte nicht lange, bis sie mir so vertraute, dass ich allmählich Risse in der Rüstung ihrer trügerischen Aufgeregtheit anbringen konnte. Weil sie auf meine Stimme reagierte wie ein neugeborenes Lamm auf das Blöken des Mutterschafs, konnte ich sie nach zwei missglückten Versuchen vollständig in Hypnose versetzen. Verdauung, Blutkreislauf, Atmung und schließlich ihre Träume – ich konnte sie mit meiner Stimme lenken.“

Dann, während des Weiterlesens, kommt die Frage auf, ob denn wirklich Sylvia Plath derart kindlich, so verängstigt, so hysterisch gewesen sein kann.

Noch später überzeugt mich dann der subtile Weg, auf welchem Palmen thematisiert, wie wenig Hughes seine Affairen infrage stellt und seine Rolle als Vaterfigur und Gottvater. Palmen läßt ihn fest davon ausgehen, dass dies seine Rollen in der Beziehung zu seiner Frau waren, ebenso selbstverständlich, dass seine Verhältnisse zu anderen Frauen notwendig waren.

Wer war Sylvia Plath?

Sie war eine amerikanische Schriftstellerin, geboren 1932, gestorben 1963. Als Plaths Hauptwerk gilt ihre Lyrik, insbesondere der nachgelassene Band „Ariel“ sowie ihr Roman „Die Glasglocke“. Ihre Werke werden zumeist im Kontext ihrer Lebensgeschichte gesehen und gelten als Bekenntnisliteratur. Ihr literarischer Erfolg setzte nach ihrem Suizid mit der Veröffentlichung nachgelassener Gedichte sowie der US-Publikation ihres Romans in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren ein. Plath wurde zu einer Symbolfigur der Frauenbewegung stilisiert und ihre Lebensgeschichte als Spiegelbild der Rolle der Frau in der Gesellschaft verstanden.

Tot geboren

Diese Gedichte leben nicht: eine traurige Diagnose.
Ihre Zehen und Finger sind richtig ausgebildet,
ihre kleinen Stirnen vor Konzentration gewölbt.
Sie haben es nie geschafft, umherzugehen wie Leute,
doch nicht etwa aus Mangel an Mutterliebe.

Ich begreife nicht, was aus ihnen geworden ist!
In Form und Zahl und allen Teilen sind sie gelungen.
Sie liegen so lieb in der Pökelflüssigkeit!
Sie lächeln und lächeln und lächeln mich an.
Und trotzdem füllen sich die Lungen nicht,
fangen die Herzen nicht an zu schlagen.

Sie sind keine Schweine, nicht einmal Fische,
obwohl sie etwas Schweinisches und Fischiges an sich haben –
es wäre besser, sie wären am Leben und wären diese Tiere.
Doch sie sind tot, und ihre Mutter ist halb tot vor Qual,
und sie starren nur dumm und sprechen nicht von ihr.

(Sylvia Plath, Stillborn, in der Übersetzung von Johannes Beilharz)

… und wer Ted Hughes?

Ted Hughes, 1930 bis 1998 war ein englischer Dichter und Schriftsteller. Er veröffentlichte angesehene Gedichtbände – der bedeutendste war „Crow“. Von 1984 bis zu seinem Tod war Hughes der von der britischen Königin berufene Nationaldichter Englands.

Last Letter

What happened that night, inside your hours
Is as unknown as if it never happened.
What accumulation of your whole life,
Like effort unconscious, like birth
Pushing through the membrane of each slow second
Into the next, happened
Only as if it could not happen
As if it was not Happening.

(Ted, Hughes, Strophe aus Last Letter, Informationen und Video zur Entdeckung des Gedichts auf dieser Seite…)

 

Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung des niederländischen Originals. Mehr zur Autorin Connie Palmen hier…

Frauen der 1920er: Flappers – Six Women of a Dangerous Generation. Judith Mackrell

Ein wunderbares Buch über die 20er Jahre! Klug, wissensreich, spannend, anrührend und  – all dies und außerdem auf eine ungewöhnliche Weise erzählt.

Weshalb wurden in den Goldenen 20ern in New York fast täglich neue Cocktails  erfunden? Die Antwort hierauf und auf viele andere Fragen bietet „Flappers“ (Auflösung auch am Ende des Beitrags).
Das Buch ist so gut wie sein Cover. Am Beispiel von sechs Frauen, zeigt Mackrell wie Frauen nach dem 1. Weltkrieg begannen, neue, eigene Wege zu gehen, wodurch sie ermutigt wurden und welche Erfolge sie hatten. Und wie ihr Leben später weiter ging als die Zwanziger Jahre vorbei waren.

Ein Flapper ist das englische Äquivalent der Garsonne: Flappers were a generation of young Western women in the 1920s who wore short skirts, bobbed their hair, listened to jazz, and flaunted their disdain for what was then considered acceptable behavior. Flappers were seen as brash for wearing excessive makeup, drinking, treating sex in a casual manner, smoking, driving automobiles, and otherwise flouting social and sexual norms. Flappers had their origins in the liberal period of the Roaring Twenties, the social, political turbulence and increased transatlantic cultural exchange that followed the end of World War I, as well as the export of American jazz culture to Europe.“ So Wikipedia.

http://images.npg.org.uk/264_325/9/5/mw175095.jpghttp://media.artsblog.it/m/mos/mostre-torino-2015/tamara-de-lempicka-torino-palazzo-chiablese-06.jpghttp://www.dumbofeather.com/wp-content/uploads/2011/04/N_Cunard.jpg

Mackrell stellt dieses sechs Frauen in den Mittelpunkt ihres Buchs: Diana Cooper, Nancy Cunard, Tamara de Lempicka, Tallulah Bankhead (hier Eindrücke aus Movie Legends), Zelda Fitzgerald und Josephine Baker (Tanz-Video). Für sie alle waren die Zwanziger eine Zeit außergewöhnlicher individueller Entwicklungsmöglichkeiten. Als eine Gruppe von Frauen sind sie repräsentativ für ihre Zeit. Sie waren ambitioniert, waren (zeitweise) äußerst erfolgreich, lebten einen Teil ihres Lebens in Paris und genossen einen hohen Bekanntheitsgrad.

Über diese sechs Frauen schrieben bereits zu Lebzeiten Buchautoren und Journalisten, Fotografen, Filmemacher und Bildhauer machten ihre Gesichter bekannt. So wurden sie zu Vorbildern und Rollenmodellen für Tausende von jungen Frauen: „All these women lived many of their private moments on the public stage. Having made their names as writers, painters or performers, as well as popular celebrities, the things they said and did, the clothes they wore, were routinely reported in the press and had a widespread impact on other women. Yet stylish, talented and extraordinary as these six were, to imagine their lives now one has to look past the glamour and glare of their fame.“

https://agnautacouture.files.wordpress.com/2015/10/zelda-sayre-fitzgerald1.jpg

Möglich wurde dieser große Bekanntheitsgrad erst durch das sich schnell verbreitende Kino und die Werbung, die sich zum ersten Mal an eine große Zahl junger Frauen mit eigenem Einkommen richtete. Die Erzählform des Buchs besteht in sechs Kurzbiografien, die erklären, wie es sechs junge Frauen geschaft haben, ungewöhnliche Entscheidungen zu treffen. Danach kommen wieder sechs Kurzbiografien, die zeigen, wie ihr Leben weiterging. Eine Auswahl aus den vielen Faken, die die Autorin wie nebenbei für ein besseres Verständnis der Zeit mitliefert:

  • Morphium wurde als Stärkungs- und Beruhigungsmittel zunächst während des 1. Weltkriegs den Soldaten an der Front geschickt. Wie ein Medikament wurde es dann auch von zivilen Personen genutzt.
  • Haschisch wurde in den 20ern als Party-Droge oft in Kugelform verwendet und in Cocktails aufgelöst.
  • Cocktails wurden in New York täglich neu erfunden, um durch ihre intensiv schmeckenden Zutaten den unangenehmen Geschmack des schwarz-gebrannten Alkohols zu überdecken. Es herrschte ja Prohibition.

Und nach den Goldenen Zwanzigern? „This book ends on the cusp of the old and the new decade. It was the point at which the experimental party spirit of the Twenties was coming into collision with economic crisis, with the extreme politics of communism and fascism and the gathering clouds of war. And just as this moment heralded the the winding down of the jazz age, so too it marked the end of the flapper era.“

Einfach toll und sehr lesenswert!

Mutter Teresa. Christian Feldmann und Leo Maasburg

Die beiden Bücher „Die Liebe bleibt – Das Leben der Mutter Teresa“ von Christian Feldmann und „Mutter Teresa – Die wunderbaren Geschichten“ von Leo Maasburg sind Auflagen früherer Ausgaben: Anlass der ergänzten und bearbeiteten Neuauflagen ist die Heiligsprechung von Mutter Teresa in 2016.

 

 

Was ist eine Heiligsprechung?

Mutter Teresa wurde 2003 zunächst selig, 2016 dann heilig gesprochen. Eine Heiligsprechung ist ein kirchenrechtliches Verfahren der katholischen Kirche, in welchem der Papst die Gewissheit erklärt, dass ein Toter sich in seligmachender Gottesschau befindet und deshalb als Heiliger bezeichnet und verehrt werden kann. Der Nachweis eines Wunders ist die Voraussetzung. Zu Heiligen darf gebetet werden, um ihre Fürsprache bei Gott zu erhalten. Bei Mutter Teresa wurde durch Papst Johannes Paul II als Wunder anerkannt, dass eine Inderin, die an Krebs erkrankt war, durch Auflegen eines Bildes von Mutter Teresa geheilt wurde.

Eine beeindruckende und eine umstrittene Figur?

Mutter Teresa beeindruckte die Öffentlichkeit weltweit dadurch, dass sie seit den 1950er Jahren in Kalkutta, Indien, für die Ärmsten der Armen Sterbehäuser, Frauenhäuser und Kinderhäuser gegründet hat. Sie selbst war sich nicht zu schade, ebenfalls arm zu sein und schmutzige Arbeiten zu verrichten. Ihr Mut und ihre Unerschrockenheit Macht und Gefahr gegenüber war entwaffnend. In gewisser Weise folgte ihr Leben für die Armen dem Zitat Jesu aus Matth. 25, 31ff: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Aus ihrer Liebe zu Christus leitete Mutter Teresa ihr Engagement für die Armen ab.

Dennoch ist Mutter Teresa eine umstrittene Figur: Man warf ihr verhehrende hygienische und soziale Zustände in den Sterbehäusern von (z.B. Spritzen, die mehrfach verwendet wurden, Verweigerung von Schmerzmitteln, Unterkühlung und Hunger der Patienten). Ebenso einen Mangel an Transparenz im Umgang mit Spendengeldern. Ein gewichtiger Vorwurf ist außerdem die Frage nach ihrer Motivation: Wollte sie Leiden mildern oder war Missionierung letztlich ihr Ziel? Gute Hintergrundinformation bietet ein Artikel der Zeit.

Mutter Teresa: Die wunderbaren Geschichten von [Maasburg, Leo]

Was leisten die Bücher nicht?

Keines der Bücher diskutiert die Frage, warum moderne Menschen auf der ganzen Welt durch Mutter Teresa angesprochen und beeindruckt sind. Beide Bücher diskutieren nicht, welches Verständnis von „Armenarbeit“ heute sinnvoll sein kann und welche ethischen wie praktischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Keines geht auf kritische Distanz zu ihr.

Wie gehen sie vor?

Beide Bücher sind aus einer verehrenden Perspektive geschrieben. Beide nutzen eine Kapitelstruktur, in der Themen lose zusammengefasst sind, so dass eine prinzipiell chronologische Erzählweise eingehalten werden kann. Beide bleiben eng am Subjekt ihres Buchs. Feldmann ist Journalist; er schreibt aus meiner Sicht die erträglichere Sprache. Außerdem wechseln biografischer Text und Auszüge aus dem Gebet-Buch Mutter Teresas ab. Maasburg ist Priester. In dieser Rolle hat er Mutter Teresa häufig begleitet. In seinem Buch berichtet er über Situationen, in denen er sie erlebt hat. Er schildert seine Wahrnehmungen, seine Gedanken und Gefühle. Sein Buch ist dadurch eine Art Anhäufung von Anekdoten. Leicht lesbar und eingängig sind beide Bücher.