Outsider: always almost, never quite. Brian Sewell

Mir war bisher gar nicht aufgefallen, dass Brian Sewell, ein 2015 verstorbener englischer Kunsthistoriker, äußere Ähnlichkeiten mit Loriot hat.

Darum geht es hier aber nicht.

Brian Sewell, enfant terrible der englischen Kunstkritik und Schrecken aller Promotoren zeitgenössischer Kunst, hat eine Autobiographie geschrieben, die in zwei Bänden erschienen ist und deren ersten Teil ich gerade gelesen habe. Der Untertitel passt ausgezeichnet: „Always almost, never quite“.

Am Einband lag es nicht, dass ich dieses Buch gekauft habe. Entscheidend war, dass ich ausgezeichnete und in jeder Hinsicht idiosynkratische DVDs mit/von ihm gesehen habe, insbesondere die Reihe über die „Grand Tour“, und auch etliche seiner Kunstkritiken in diesem Blog besprochen habe. Für all diejenigen, die gut gesprochenes Englisch mögen, ist er auch ein akustisch-ästhetischer Gewinn. Ein Kommentator des Guardian beschreibt es so: „(…) he sounds, as I duly noted, like a dowager duchess carefully recalling a large turd she was once mistakenly served during tea at Claridge’s.“

Soviel zum Drumherum.

Der erste Band umfasst die Zeit von seiner Geburt 1931 bis zu seinem Ausstieg bei Christie’s 1967. Der Klappentext gibt eine recht gute Zusammenfassung: „Outsider is the life of a child, boy, adolescent, student and young man in London between the Great Depression of the 30s and the sudden prosperity and social changes of the 60s, affected by the moral attitudes of the day, by the Blitz, post-war austerity and the new freedoms of the later 50s that were resisted with such obstinacy by the old regime. It is about education in the almost forgotten sense of the pursuit of learning for its own sake. It is about the imposed experiences of school and National Service and the chosen experience of being a student at the Courtauld Institute under Johannes Wilde and Anthony Blunt. It is about sex, pre-pubertal, in adolescence and in early adulthood, and the price to be paid for it. It is about art and the art market in the turbulent years of its change from the pursuit of well-connected gentleman to the professional occupation of experts.“

So etwas wie diese Autobiographie habe ich noch nicht gelesen. Was für ein unmittelbares, direktes, ungeschöntes und vorbehaltloses Panorama der Zeit! Was für ein Selbstbewusstsein, sich selbst so ins Auge zu sehen und das Gesehene und Erlebte aufzuschreiben. Den Anspruch, den er als Kunsthistoriker und -kritiker hatte, wendet er auch auf seine Memoiren an: „(…) if I did not tell the whole truth it would not be truth at all. (…) approaching my eightieth year and old enough to be neither embarrassed nor ashamed, I no longer feel the need for reticence.“

Seine Erfahrungen im Courtauld-Institut und bei Christie’s sind faszinierend und bringen einen ins Grübeln. „Macht und Mensch“ ist immer wieder eine ungünstige Kombination, auch in der scheinbar erhabenen und zivilisierten Arena der Hochkultur, zumal wenn sie durch grundsätzliche Interessenkonflikte noch virulenter gemacht wird.

Seine Ausflüge ins sehr Private sind bestimmt nichts für jeden Leser. Dessen war sich Sewell bewusst:
„I have dug deep into indiscretion and some may say that I have dug deeper into prurience; perhaps I have, but again it is for the benefit of readers who are troubled by their private natures and feel that they alone are driven so. I have no doubt that many who admire me – my ‚doting elderlies‘, as an old woman friend once dubbed them – will be disgusted. So be it – truth is nothing if not whole.“

Der Guardian hat aber für mich recht, wenn er in seiner – auch sonst sehr lesenswerten – Rezension schreibt: „Outsider is a delicious read.“

Helene Schjerfbeck – Die Malerin aus Finnland. Barbara Beuys

Da bleibt einem ja doch der Atem weg: Ein Ölbild gemalt von der 18jährigen Helene Schjerfbeck, es zeigt einen verwundeten Soldaten im Schnee liegend. Sehr beeindruckend! Helene Schjerfbeck? Hatte ich vorher noch nie gehört.

 

Keine Bilder von ihr hatte ich vor Augen. Und das trotz einer Ausstellung in der Schirn vor einigen Jahren…

Das Verdienst dieser Biografie von Barbara Beuys ist es, eine ganz beeindruckende Malerin auch in Deutschland bekannter zu machen. Schjerfbeck hat von 1862 bis 1946 gelebt. Sie hat in Finnland, anderen skandinavischen Ländern und  Frankreich viele Preise gewonnen.

Bildergebnis für helene schjerfbeck

 

Die Malerin: toll.

Die Biografie: nicht so sehr. Aber vielleicht liegt das auch an meinen eigenen Ansprüchen an gute Biografien. Ich möchte gerne mehr als ein erzähltes Leben, von den Eltern bis zum Grab. Mehr als Anekdoten aus dem Leben. Mehr als Zitate aus Briefen. Barbara Beuys hat eine sehr gut lesbare, interessante Biografie geschrieben, die sich gut wegschmökern läßt. Sie gibt außerdem einen guten Zugang zur finnischen Geschichte. Wer von uns ist hierin schon ganz firm? Weitere Informationen zur Malerin bietet auch FemBio.

Bildergebnis für helene schjerfbeck

Dass meine Lieblingsbiografien eher von Lyndall Gordon geschrieben sind, ist eine andere Sache. Aber empfehlen kann ich doch sehr – und sei es nur des Kontrastes wegen – ihre Biografien zu Viginia Woolf und zu Henry James.

front cover of Virginia Woolf: A Writer's Life,

Andrea Palladio: The architect in his time. Bruce Boucher

Andrea Palladio – so lässt sich argumentieren – ist der einflussreichste Architekt der westlichen Welt. Mit dieser Aussage startet Bruce Boucher sein Buch über einen Menschen, der von 1508 – 1589 gelebt hat, und dessen Werk.

Erstaunlich und erfreulich viele Gebäude von Palladio sind noch im Veneto und in Venedig erhalten. Vielen ging es die meiste Zeit ihres Bestehens sehr gut, da sie immer wertgeschätzt wurden. Hierzu gehören seine Kirchen in Venedig, die Basilica in Vicenza oder auch die sehr berühmte Villa Rotonda. Etliche – wie die Villa Poiana und die Villa Saraceno – haben sehr von seinem 500. Geburtstag vor acht Jahren profitiert, wurden wieder in einen guten Zustand versetzt und sind nun auch der Öffentlichkeit zugänglich. Einige allerdings warten noch auf Geld und Zuwendung und trotzen tapfer Verfall und Erosion.

Palladio hat sehr substanziell gearbeitet: Seinen Beruf hat er richtig gelernt und mit einer Ausbildung zum Steinmetz begonnen. Die Architektur der Antike hat er studiert sowohl in der Literatur durch Vitruv, aber auch vor allem in der Realität durch Aufenthalte vor allem in Rom, Tivoli, Palestrina. Die Werke seiner Zeitgenossen und unmittelbaren Vorgänger hat er besucht. Er hat sich ein exzellentes Netzwerk an Kontakten zu allen, die Rang und Namen im Veneto hatten, aufgebaut und gepflegt. Seine Gebäude sind sehr sorgfältig und haltbar gebaut. Und er hat seine „Quattro libri“ publiziert.

Dann kam auch noch Glück in Gestalt von Inigo Jones dazu, der die Quattro Libri nach England brachte und damit den internationalen Palladianismus startete.

Einige Gebäude sind auf den ersten Blick beeindruckend. Ikonen der Architektur sind sicherlich die schon genannte Villa Rotonda, die Villa Malcontenta oder auch die Villa Cornaro. Andere Gebäude wirken von außen eher spröde, fast spartanisch, ja sogar erschreckend modern – man betrachte nur die Villa Poiana. Aber spätestens, wenn man in seine Räume hineingeht, ist man beeindruckt von den Proportionen, der einfachen Raffiniertheit seiner Konstruktionen, der offenkundigen Bewohnbarkeit selbst von palastartigen Gebäuden.

Bouchers Buch, erschienen in einer aktualisierten und transportablen Version im Jahr 1998, ist eine Bereicherung. Es ist überaus fundiert biographisch, sozialgeschichtlich, historisch wie architekturhistorisch. Die zahlreichen Fotografien sind spezifisch für dieses Buch entstanden. Und er kann schreiben, so dass auch komplexe Sachverhalte nachvollziehbar werden und sich recht flott lesen. Ein Beispiel:
„Palladio’s contact with classical architecture in the 1540s left him dissatisfied with hand-me-down copies, and even with his first publication, L‘Antichità di Roma, he explained his wish to ‘see with my own eyes and measure everything with my own hands.’ (…) Early evidence of this critical stance can be seen in three drawings of capitals and entablatures from Roman triumphal arches (…). All three were copied from earlier sources and show the capital with its entablature moldings rendered in perspective. Obviously the capitals did not please Palladio because in each case he covered the received version with a second piece of paper on which a more accurate capital has been drawn. In other cases, like a beautiful study of three antique bases, the original ink drawing is supplemented by further measurements and sketches made by the architect some years later.”

Für diejenigen, die sich noch auf andere Art mit Palladio beschäftigen wollen, möchte ich noch ein Buch von Witold Rybczynski empfehlen:

Am besten jedoch macht man sich auf ins Veneto, um die Gebäude von Palladio dort zu sehen und zu erfahren. Vielleicht mit dem Buch von Boucher – in Englisch oder in Deutsch – im Handgepäck.

Ich bin eine freie Frau. Francoise Giroud

„Ich bin eine freie Frau“ von Francoise Giroud ist ein autobiografischer Text. Er blieb lange unveröffentlicht. Interessant sind die Agumente dafür.

 

Der Text sei peinlich, seine Qualität sei außerordentlich schlecht, eine Veröffentlichung würde dem Image der Autorin schaden.

Worum geht es? Nach dem ersten Versuch einer Selbsttötung wird die Autorin im letzten Moment gerettet. Im Krankenhaus unternimmt sie einen zweiten Versuch; auch dieser scheitert. Daraufhin beschließt sie, den Umstand, zu leben, zu akzeptieren: „Die Grenzen meiner Freiheit kenne ich. Ich habe sie an dem Tag erfahren, als ich meinem Leben ein Ende setzen wollte, um dem KZ zu entkommen, in das ich mich selbst eingesperrt hatte und aus dem ich nicht mehr herausfand. Das ist mir merkwürdigerweise nicht gelungen, obwohl alles gut organisiert war. Über den eigenen Tod zu bestimmen, über den Zeitpunkt und die Umstände, ist doch der reinste Ausdruck von Freiheit. Er blieb mir verwehrt.“

Wer war Francoise Giroud? Sie lebte von 1916 bis 2003 und war eine der bekanntesten Journalistinnen Frankreichs. Giroud war Chefredakteurin von Elle und gründete das Nachrichten-Magazin L´Express zusammen mit Jean-Jacques Servan-Schreiber. Unter ihren vielen Büchern sind Biografien über Jenny Marx, Cosima Wagner und Alma Mahler.

Warum die Versuche, dem Leben ein Ende zu setzten? Körperliche Arbeitsüberlastung, der Tod der Mutter, ein Unfall des Sohnes und dann die Trennung von ihrem Partner Servan-Schreiber, der eine Ehe mit einer jüngeren Frau anstrebte, um mit dieser eine bürgerlich-akzeptable Familie zu gründen. Wie diese biografischen Eckpunkte zusammenwirkten, Girouds Leben für sie selbst nicht mehr lebenswert erscheinen zu lassen, erzählt das Buch.

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…und ist der Text peinlich? Das Buch ist ein Porträt der Pariser Gesellschaft der sechziger Jahre. In dieser war Giroud eine äußerst bekannte, gut vernetzte Figur. Im Text reflektiert sie ihre Herkunft aus dem bürgerlichen Milieu im Kontrast zu ihren eher linken politischen Einstellungen. Sie thematisiert weiterhin die langjährige Liebes- und Arbeitsbeziehung zu einem Partner, mit welchem sie nicht verheiratet war, und spricht über die Abtreibung des gemeinsamen Kindes – damals gesetzlich verboten. Diese Kombination war der Sprengstoff. Aus meiner Sicht ist „Ich bin eine freie Frau“ ein sehr gut lesbares, kluges Buch, geschrieben in lakonischer Sprache.

„Wenn man unbedingt ein Flugzeug steuern will, ohne sich mit einem Fallschirm zu belasten, muss man das Risiko in Kauf nehmen und darf sich nicht beklagen, wenn man hinausgeschleudert wird und sich das Kreuz bricht. Ich beklage mich nicht. Ich war immer bereit, den Preis für meine Freiheit zu zahlen.“

Einen schönen Beitrag zum Buch hat das Deutschlandradio gesendet. Hier die Informationen…

The Islander. Tomás O’Crohan

Wieder ein (recht) unbekannter Klassiker, der mir in einem Buchladen in der Nähe von Clonmacnoise in Irland in die Finger gekommen ist: „The Islander“ von Tomás O’Crohan.

In Deutschland ist dieses Buch am bekanntesten durch die Übersetzung, die die Irland-Liebhaber und -Bekanntmacher Annemarie und Heinrich Böll aus der englischen Übersetzung unter dem etwas weinerlich-süsslichen-rudi-schuricke-artigen Titel „Die Boote fahren nicht mehr aus“ erstellt haben.

Übersetzung einer Übersetzung? Das Original ist in irischer Sprache verfasst: An tOileánach, und der Autor schreibt sich eigentlich auch anders: Tomás Ó Criomhthain. Bis 2012 gab es auch nur eine englische Übersetzung aus den 1930er Jahren eines „bereinigten“ Textes, denn das vollständige Original galt als zu bodenständig und zu direkt.

Tomás O’Crohan lebte von 1855 bis 1937 auf Great Blasket Island an der Südwestküste Irlands als Bauer und Fischer, war verheiratet und hatte zehn Kinder, von denen die meisten früh starben.
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Great Blasket Island ist seit 1953 unbewohnt, und hatte auch kaum mehr als 150 Bewohner in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dennoch stammen immerhin drei Schriftsteller von dort: Tomás O’Crohan, Maurice O’Sullivan und Peig Sayers.

Das Buch von O’Crohan beschreibt in einer Art von autobiographischer Materialsammlung sein Leben auf der Insel – ungeschminkt, mit einer sehr klaren und einfachen, im irischen Original durchaus auch poetischen Sprache. „Einfach“ heißt in diesem Zusammenhang ganz eindeutig nicht „platt“, sondern dreidimensional und reflektiert, ohne Hochglanz, ohne Fassadenblenderei, sehr selbstbewußt, sehr eigenständig, bei aller Ferne des Erzählten von einer sehr unmittelbaren Nähe und Greifbarkeit. Sein Stil wurde beschrieben als „vivid, absorbing and delightful, full of incident and balance, fine observation and good sense, elegance and restraint“. Oder von jemand anderem: „It is a voice without buckles, without posies, without flowers, without fancies. It is a voice that cuts through all the crap (…).“

Das Buch beschreibt widrige Umstände. Es zeigt Würde, Heiterkeit, Spaß am Erleben und Erzählen, Durchhaltevermögen, Zusammenhalt und Streit, nicht zuletzt auch den Wert von Bildung: „My mother was carrying the turf so that she could send me to school when I was eight years of age.“ Das Buch befasst sich mit der Existenz des Menschen an sich.

Am häufigsten zitiert ein Satz aus dem letzten Kapitel:
„I wrote in detail about a lot of all our goings-on so that there’d be some recollection somewhere about them, and I have tried to describe the character of the people who were around me so that there might be an account of them after we’re gone, because our likes will never be here again.“

Ein Beispiel für die bodenständige Poesie O’Crohans:
„(…) some of us had a passion for the seas and the ocean, imbued with the sound of the wind that blew in from the seashore, beating in our ears every morning, clearing our brains and the dust from our skulls.“

Gelesen habe ich die englische Übersetzung von Garry Bannister und David Sowby von 2012 – die ich sehr empfehle inklusive der Einleitung.

Darwin, his daughter and human evolution. Randal Keynes

Charles Darwin, einer der beiden Erfinder der Evolutionstheorie, erfreut sich unverändert großer Aufmerksamkeit, wie man nicht nur an der stetig wachsenden Anzahl von Biographien über ihn ablesen kann. In diese lange Reihe gehört seit 2001 auch dieses Buch über Darwin und die Humanität, seine Tochter und seine Familie, das ich letztens antiquarisch gekauft habe (obwohl es auch neu zu bekommen ist).

Vor die Frage gestellt: Sollte ich dieses Buch lesen, wenn ich schon eine andere oder noch keine Biographie Darwins gelesen habe? lautet meine Antwort: Ja.

Sie deckt alles ab, was man in einer Biographie über einen Forscher erwartet, inklusive seiner wesentlichen Veröffentlichungen. Sie ist sehr gut geschrieben und liest sich erfreulich flüssig. Sie ist von einem Ururenkel Darwins geschrieben und beinhaltet daher einiges an sonst nicht bekannter Familien-Folklore. Sie bietet eine ungewöhnliche Perspektive durch den starken Fokus einerseits auf Darwins Tochter Annie, die mit 10 Jahren wahrscheinlich an Tuberkulose gestorben ist, und andererseits auf die gesamte engere Darwin-Familie, die in anderen Biographien stärker in den Hintergrund tritt.

Vor allem ist das Buch aber bemerkenswert durch seine ausgesprochen warmherzige, menschliche und vorsichtige Schreibweise, die die Humanität Darwins und sein Denken über die Bedeutung des menschlichen Daseins sehr differenziert herausarbeitet – in den Worten Keynes‘: „This book explores Darwin’s life with his family and his thinking about human nature in the interweavings around Annie and her memory.“

Aufhänger des Buchs ist die Schreibbox Annies, die Keynes zufällig findet. In ihr finden sich Schreibmaterialien, Handarbeiten und auch die sehr berührenden Tagebucheinträge Darwins aus der Phase, in der Annie bereits sehr krank war. Es endet mit einem Zitat aus dem Erinnerungsschreiben, das Darwin eine Woche nach Annies Tod für sich selbst und seine Familie geschrieben hat: „Forty-five years before (vor ihrem eigenen Tod), Emma had gathered her keepsakes of Annie and put them away for herself. When Etty found Annie’s writing case after her mother’s death, and saw her sister’s things for the first time since their childhood, recollections of Annie came back to her with ’strange vividness‘. The words Charles used in his memorial of Annie to catch his memories of her work in the same way. ‚ She held herself upright, and often threw her head a little backwards, as if she defied the world in her joyousness.'“

Das Buch ist 2002 auch in deutscher Sprache erschienen und sehr günstig antiquarisch zu bekommen.

Es gibt also keinen Grund zu zögern.

Elizabeth Bowen – Portrait of a Writer, Victoria Glendinning

Elizabeth Bowen, eine der bekanntesten anglo-irischen Schriftstellerinnen, ist heute außerhalb Großbritanniens kaum bekannt. Auch heute noch interessant ist ihr familiärer Hintergrund: geboren 1899 in eine Familie des irischen Landadels, die ihre Wurzeln in England hatte und von dort unter Cromwell ausgewandert war.

Bowen selbst sagte über sich selbst, sie sei die letzte Vertreterin der Anglo-Iren, die noch authentisch vom Leben zwischen den beiden Kulturen berichten können.

Als Schriftstellerin war Bowen sehr erfolgreich. Ihre Romane und Erzählungen werden mit der Literatur Virginia Woolfs und Jane Austens verglichen.

Wie gestaltet Victoria Glendinning die Biografie? Sie erzählt linear, das Innenleben Bowens kommt kaum vor, ihre Bedeutung als Schriftstellerin – trotz des Untertitels – ebenfalls eher am Rande. Dennoch wird die ungewöhnliche Persönlichkeit Bowens deutlich. Dies gelingt Glendinning durch Anekdoten aus dem Alltag der Schriftstellerin. Glendinning veröffentlichte außerdem Biographien über  Edith Sitwell, Vita Sackville-West, Rebecca West, Leonard Woolf, Anthony Trollope, Stamford Raffles und Jonathan Swift. Die vorliegende ist bestimmt nicht ihre beste.

Leser und Leserinnen, die sich für irische Geschichte interessieren, wird der Roman Bowens „The Last September“ gefallen. Hier beschreibt Bowen das Leben der anglo-irischen Oberschicht in Irland, ihre Feste zusammen mit den Offizieren der englischen Truppen, ihr Zusammenleben mit irischen Nachbarn und Bediensteten. Erzählte Zeit ist der Sommer von 1920, in dem der irische Unabhängigkeitskrieg  eskalierte. An seinem Ende waren viele der repräsentativen Herrenhäuser von protestantischen anglo-irischen Familien ausgebrannte Ruinen.

Mein persönliches Lieblingsbuch von Bowen ist „The Little Girls“, eines des letzten Bücher Bowens. Hierin versuchen drei Frauen, alle haben die 50 überschritten, an ihre Kindheit anzuknüpfen. Ein Buch, das „Identität“ und „Erinnerung“ auf ihre Bedeutung abklopft. Als Mädchen haben die drei Hauptfiguren jede einen Gegenstand in eine Kiste gelegt. Nur das Mädchen selbst wußte, was für ein gegenstand dies war. gemeinsam haben sie dann die Kiste vergraben. Was ist mit ihr passiert? Die Klärung dieser Frage treibt die Handlung voran.

Memoirs of a Geisha. Arthur Golden

Diese Memoiren einer Geisha aus dem Japan der ersten Hälft des 20. Jahrhunderts sind eine ausgezeichnete Einführung für all diejenigen, die sich auf eine Japan-Reise vorbereiten oder generell japanische Kultur besser verstehen wollen. Die Lebensgeschichte ist erfunden. Eine kurze einführende Bemerkung des fiktiven Übersetzers erklärt den Lesenden, dass die Dame ihm ihre Erinnerungen erzählt hat. Dass er diese Erzählungen mit einem Kassettenrekorder aufgenommen und später übersetzt hat.

Die Geschichte, die Arthur Golden über seine Haupt-Figur Sayuri berichtet, liest sich unterhaltsam und spannend. Hierzu tragen die Ingredienzien bei: Feindschaften, Verschwörungen, der Kampf um Anerkennung, eine große Liebesgeschichte.

Arthur Golden, 1957 in Tennessee geboren, studierte in Harvard Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt japanische Kultur. Anschließend verbrachte er mehrere Jahre in Japan. Golden schreibt einfühlsam und lässt überzeugend die Innensicht einer Frau aus ganz anderen Kulturkreis entstehen. Der ganz große Vorteil dieses Romans ist jedoch seine fundierte Detail-Kenntnis. Auf diese Weise lernen die Leser unterhaltsam verpackt, was das Leben von Geishas in Kyotos Vergnügungsviertel Gion bis zum 2. Weltkrieg ausmachte.

„White makeup causes all sorts of curious illusions; if a geisha were to paint the entire surface of her lips, her mouth would end up looking like two big slices of tuna. So most geisha prefer a poutier shape, more like the bloom of a violet. Unless a geisha has lips of this shape to begin with – and very few do – she nearly always paints on a more circle-shaped mouth than she actually has. But as I have said, the fashion in those days was to paint only the lower lip …“

Sayuri stellt hierbei als Geisha der gehobensten Klasse einen Gegenpol zu Sayo Masuda dar. Siehe hierzu die Besprechung der authentischen „Autobiographie of a Geisha“.

Der Roman ist auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Geisha“ zu haben.

Autobiography of a Geisha. Sayo Masuda

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Welche Rolle spielen Geishas in Japan? Welche gesellschaftliche Position haben sie? Der Beruf der Geisha hat seine Ursprünge in den Alleinunterhalterinnen bei Hof, die es seit dem 17. Jahrhundert in Japan gab. Sie waren Trendsetterinnen der Mode und ab dem 19. Jahrhundert zunehmend Bewahrerinnen der traditionellen Künste.

Die Autobiografie einer Geisha berichtet über das Leben am unteren Ende der Skala. Dort, wo Mädchen unter 10 Jahren von ihren Familien an reichere Menschen ausgeliehen werden , um dort als Kindermädchen zu arbeiten. Dort, wo Mädchen an Geisha-Häuser verkauft werden. Dort, wo Hunger und Schläge zum Alltag gehören und eine Geisha eine Prostituierte ist. Aus der ersten Arbeitsstelle des Kindes ist diese Leseprobe: „As for filling my stomach, I was entirely at the mercy of others for my meals. There was a chipped bowl that they left under the sink in the kitchen into which they put their leftover rice and soup. If there were lots of leftovers, then even with just that one bowl I´d be full; but if nothing had been left, then that was that.“

Die Autorin erzählt, wie sie an ein Geisha-Haus verkauft wird, dort als Novizin in Tanz und Musik Unterricht erhält und zu verstehen versucht, worin die Aufgabe von Geishas besteht. Sie berichtet, dass Geishas in der Regel 10 Jahre lang für das Haus, welches sie gekauft hatte, arbeiteten. In den ersten Jahren gingen all ihre Einkünfte dort hin, später konnten sie die Trinkgelder selbst behalten.

Porträt einer Geisha, die traditionell geschminkt ist

„I did my best to live by that creed of resignation, but in the Geisha business it isn´t just to do as you´re told; you have to make a real effort. To make everyone, everywhere in your presence, feel that you´re sexy requires constant care and attention.“

Sayo Masuda wurde 1925 geboren. Sie ging nie zur Schule und konnte deshalb nicht schreiben. Ein Liebhaber hat ihr die einfache japanische Schrift beigebracht, die Kinder als erstes in der Schule lernen. Sie hat sich, um Geld zu verdienen, bei einem Wettbewerb beteiligt, den ein Hausfrauenmagazin ausgeschrieben hatte. Sie erhielt den zweiten Preis und ihr Text wurde 1957 veröffentlicht. Der im Buch vorliegende Text orientiert sich möglichst eng an dem ursprünglichen japanischen Original-Text, so wie er durch Sayo Masuda formuliert wurde. Die Autobiografie ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt mit der Arbeit des Kindes als Kindermädchen, berichtet von der Ausbildung zur Geisha, der täglichen Arbeit und den Versuchen, auszubrechen und ein anderes Leben aufzubauen.

 

Goethe und Frau von Stein: Geschichte einer Liebe. Helmut Koopmann


Da ich sowieso gedanklich schon auf die Zeit um 1800 eingestellt war, fiel meine Wahl des nächsten Buchs auf „Goethe und Frau von Stein“ von Koopmann, erstmals erschienen 2002 – ein etwas leichterer Stoff, fern von Politik und Feldzügen.

Die große Liebe von Goethe und vielleicht die große Liebe von Charlotte von Stein ist Gegenstand von etwa 1700 Briefen, Billets, Notizen…, die Goethe in mehr als zwölf Jahren an sie schrieb. Die Briefe von Charlotte von Stein sind unzählig, da sie sie am Ende ihrer Liebe von Goethe zurückverlangt und Jahre später dann verbrannt hat. Hinzu kommt dieses Buch mit seinen 260 Seiten.

Das Buch, obwohl von einem Professor der Neueren Deutschen Literatur verfasst, ist nicht wissenschaftlich, sondern essayistisch geschrieben. Bei diesem essayistischen Schreiben scheint Koopmann sich strukturell und sogar sprachlich sehr an Goethe und dessen Briefen zu orientieren. Wie Goethe immer wieder auf unterschiedlichste Weise dasselbe an von Stein schreibt, variiert auch Koopmann immer wieder seine Darstellung derselben Beobachtungen, Analysen und Wahrnehmungen. Das hilft sehr, sich in die Beziehung hinein zu fühlen, zumal Koopmann dies mit Sensibilität tut. Es kann aber – wenn man denn nicht gerade wie Koopmann mitliebt – auch gelegentlich redundant wirken. Wissenschaftlich gesehen läuft Koopmann immer wieder Gefahr, zu vieles, was Goethe in seinen Briefen schreibt, prophetisch für spätere Lebensphasen zu halten, und alles, was Goethe sonst geschrieben und getan hat, vor allem aus seiner Liebesbeziehung zu Charlotte von Stein heraus zu interpretieren. Das Gras wächst mitunter recht laut.

Bei allen kritischen Anmerkungen in Summe ein gelungenes Buch, das man mit Gewinn flott lesen kann.

Als Leseprobe eine Partie zu dieser Zeichnung, die Goethe 1777 von Charlotte von Stein anfertigte:

„Das Entscheidende wird naturgemäß nicht sichtbar: ihre Augen, die es Goethe so sehr angetan haben. Man sieht es der Abgebildeten an, daß sie über dreißig Jahre alt ist, wenngleich es ein eigentümlich altersloses Porträt ist – Jugendlichkeit und Heiterkeit fehlen gänzlich, und von Lebenslust ist ebensowenig eine Spur zu erblicken. (…) Ein etwas verhärmtes Hofdamendasein, was sie dem Bild zufolge geführt haben mag, und sieht man sich dieses Porträt genauer an, versteht man, warum Goethes wildes Wesen sie (…) abstoßen mußte (…) Innere Disziplin und Zurückhaltung prägen dieses Antlitz, und man hat Mühe zu verstehen, warum Goethe sich so leidenschaftlich und so lange in sie verliebt hat.“