Beau death. Peter Lovesey

Noch recht frisch vom Druck – erschienen Ende 2017 – ist der neueste Krimi von Peter Lovesey, von dem wir schon einen früheren in diesem Blog besprochen haben. Wie alle seiner Reihe mit dem Polizei-Detektiv Peter Diamond spielt auch dieser in Bath. Alle wichtigen Sehenswürdigkeiten dürfen vorkommen. Vielleicht hilft’s dem Tourismus, vielleicht auch dem Autoren.

Sprachlich ist Lovesey ja überhaupt nicht mein Fall. Besser als Ann Cleeves, natürlich, aber schon deutlich unprätentiös, fokussiert auf Worte, die mit ein oder zwei Silben auskommen, umgangssprachlich, wenig Nebensätze, ein deutlicher Hang zum Offensichtlichen.

Trotzdem – ich lese ihn immer wieder, da seine Plots wirklich ausgezeichnet konstruiert und gekonnt umgesetzt sind. Dies gilt auch, vielleicht sogar ganz besonders für „Beau death“, der darüber hinaus auch noch eine gut verdauliche Auffrischung in Geschichte der Stadt Bath mitliefert, da Beau Nash, Chef alles Eleganten im Bath des 18. Jahrhunderts, nicht nur als Namensgeber dieses Krimis mitspielt. Ein anderer Rezensent schreibt: „The plot is one of Lovesey’s cleverest, and the book is full of his trademark wry humor.“

Die Aufmachung Nashs sollte man sich übrigens merken. Dann hat man zumindest am Anfang des Buchs einen Vorsprung.

Gut gefällt mir auch, dass man als Leser/in entsprechend der alten Krimi-Tradition alle Chancen hat, auf den Täter/die Täterin zu kommen. Alle Hinweise werden geteilt, nichts wird verheimlicht, man ist immer auf Augenhöhe. Es gibt noch nicht einmal viele Verdächtige. Trotzdem lag ich daneben….

Also: Sehr guter Plot, flott zu lesen, nicht brutal (wie ich vergessen hatte zu erwähnen), spannend, mit (für mich) überraschendem Ende – eine klare Empfehlung.

Vielleicht sollten wir Lovesey doch gelegentlich bei unseren empfohlenen unbekannten Krimi-Autoren ergänzen.

Gaudy night. Dorothy L. Sayers

Ein Novum in diesem Blog, passend zum Beginn eines neuen Jahres: Das erste Mal, dass wir ein Buch das zweite Mal besprechen. „Gaudy night“ von Dorothy L. Sayers ist allerdings auch ein Roman – oder vielleicht doch nur ein Krimi? -, der diese Aufmerksamkeit rechtfertigt.

Vorweg
Ich bin bestimmt kein eingefleischter Fan von Sayers. In der Tendenz finde ich

  • ihre Romane zu lang für den Plot
  • die Autorin zu sehr darauf erpicht, deutlich zu machen, wie gebildet sie ist
  • und die Zitate, die sie gerne an den Kapitelanfang stellt, irgendwie erstaunlich ungeeignet.

Alles trifft auch auf „Gaudy night“ zu.

Aber dennoch
… ertappe ich mich dann doch immer wieder dabei, einen dieser Romane zu lesen. Mir gefällt schon, dass die Autorin sehr gut mit Sprache umgehen kann und dies offenkundig genießt. Auch sind ihre Charaktere erfreulich mehrschichtig, tiefgründig, vieldimensional. Zusätzlich geht Sayers so emanzipiert mit allen traditionellen Krimi-Rezepten um, dass sie ganz neue Perspektiven für diese damals (und heute) als un-literarisch verrufene Gattung auftut.

Vor allem unterstellt Sayers ihren Leserinnen und Lesern, dass sie mit komplexer Sprache, komplexen Gesprächen und Überlegungen, komplexer Handlung und komplexen Personen umgehen wollen und können. Sayers unterstellt eine intelligente und aufgeklärte Leserschaft. Und das schmeichelt einem dann ja doch ein wenig, wenn man sich ins erste Kapitel stürzt.

Und „Gaudy night“ an sich?
Ein Krimi ist dieser Roman wirklich nur am Rande und zwischendurch. Viel eher handelt es sich um eine Liebesgeschichte. Oder alternativ ein differenziertes, nuanciertes Werk darüber, ob akademische Bildung und ein akademischer Beruf etwas für Frauen sind.

Darin enthalten auch Dichtung, genau in der Mitte des Romans ein kurzes Sonett:
„Here, then, at home, by no more storms distrest,
Folding laborious hands we sit, wings furled;
Here in close perfume lies the rose-leaf curled,
Here the sun stands and knows not east nor west,
Here no tide runs; we have come, last and best,
From the wide zone through dizzying circles hurled,
To that still centre where the spinning world
Sleeps on its axis, to the heart of rest.“

Und Abhandlungen, zum Beispiel über die männliche Hemdbrust traditionellen Stils:
„‚Hard-boiled or soft-boiled?‘
‚Hard, I think.‘
This question had no reference to Dr. Threep’s politics or economics, but only to his shirt-front. Harriet and the Dean had begun to collect shirt-fronts. Miss Chilperic’s ‚young man‘ had started the collection. He was extremely tall and thin and rather hollow-chested; by way of emphasising this latter defect, he always wore a soft pleated dress-shirt, which made him look (…) like the scooped-out rind of a melon. By way of contrast, there had been an eminent and ample professor of chemistry (…) who had turned up in a front of extreme rigidity, which stood out before him like the chest of a pouter pigeon (…). A third variety of shirt fairly common among the learned was that which escaped from the centre stud and gaped in the middle; and one never-to-be-forgotten happy day a popular poet had arrived (…) whereby, at every gesticulation (and he had used a great many) his waistcoat had leapt in the air allowing a line of shirt, adorned with a little tab, to peep out, rabbit-like, over the waistline of the confining trouser. On this occasion, Harriet and the Dean had disgraced themselves badly.“

Insgesamt
… sollte man dieses Buch tatsächlich gelesen haben, und sei’s in Übersetzung.

The Affair of the Bloodstained Egg Cosy. James Anderson

Klassischer englischer Detektiv-Roman in 20er-Jahre-Setting und ganz klar eine Country-House-Mystery: „It always gave Jane a kind of thrill to tip the guard and loftily instruct him to have the train stopped at Alderly Halt. It seemed so delightfully feudal and anachronistic.”

Worum geht es?

Ein Diamant-Halsband wird gestohlen, aus zwei Pistolen werden vier und die Leiche landet im Teich. Gäste sind Mitglieder der Aristokratie, Undercover-Spione, eine umwerfend schöne Baronin, ein Juwelendieb und ein texanischer Multimillionär samt Frau. Als Inspektor Wilkens den Landsitz erreicht, um den Mord aufzuklären, verströmt er keinen Optimismus: „Don´t expect me to solve anything.“

James Anderson hat seine Detektiv-Geschichten seit 1975 veröffentlicht. Neben „The Affair of the Bloodstained Egg Cosy“ gibt es mit gleichem Setting in Alderly, Sitz von Lord and Countess of Burford, noch diese beiden Krimis, die ebenso erfreulich sind:

  • „The Affair of the Mutilated Mink“
  • “The Affair of the 39 Cufflinks”

“But Lavinia, I don´t want people staying here”, said the Earl. (…) “This is quite different. These people are family, not spies and jewel thieves and blackmailers and film stars. And when one occupies an historic house such as Alderly, one cannot shut its doors because of a few unfortunate incidents.”

Perfektes 20er-Jahre-Setting

Anderson verwendet ganz offensichtlich als Inspiration und Vorlage für seine Detektiv-Geschichten die Romane von Agatha Christie. Sprachlich wie inhaltlich habe ich den Eindruck, als würde er fast Christies „The Secret of Chimneys“ zitieren. Auf diese Weise wirken die Geschichten von Anderson sehr authentisch. Sie sind gut gemacht. Auf der negativen Seite steht eine etwas konstruierte Wirkung: Charaktere und Details der Plots machen schon den Eindruck, als seien sie nach einem bestimmten Schema geschrieben worden.

Für alle Fans des klassischen englischen Detektiv-Romans in der Form der Wochenend-Landsitz-Geschichte kann ich diese Krimis wärmstens empfehlen:

  • Agatha Christie „The Secret of Chimneys“
  • Agatha Christie “After the Funeral”
  • Ngaio Marsh “A Man lay Dead”
  • Ngaio Marsh “Tied up in Tinsel”

Unsere Empfehlungen zu den besten Krimis sind hier und alle Krimis, die wir bereits besprochen haben finden sich hier…

Meine Bücher des Jahres 2017

Andere Medien machen das ja auch: Listen erstellen zum Ende eines Jahres. Das lässt sich auf Halde produzieren, so dass man an und zwischen den Feiertagen nicht arbeiten muss oder zumindest nicht in Stress gerät.

Diese Liste ist anders. Sie lag nicht auf Halde, sondern wird jetzt in diesem Moment gerade frisch produziert. Außerdem ist sie kurz.

Meine Bücher des Jahres 2017 also.

Mit Abstand an der Spitze ein echter Außenseiter:

  • Der „Tractatus theologico-politicus“ von Baruch Spinoza.
    Auch im Rückblick mehrerer Monate bin ich immer noch beeindruckt von der Intelligenz, Unbestechlichkeit und dem Mut des Autoren. Finden seine Thesen höchst bemerkenswert und zum großen Teil sehr relevant für die heutige Zeit. Und bin fasziniert von der Klarheit seiner Sprache und Argumentation.
    Ergänzend hierzu – als Starter oder Abrunder – das Buch über dieses Buch von Nadler über „A book forged in hell
  • The most perfect thing: inside (and outside) a bird’s egg“ von Tim Birkhead
    Mein Sachbuch des Jahres. Viel Erstaunliches und Wissenswertes über etwas völlig Alltägliches: Das Vogel-Ei. Flott geschrieben von einem Experten.
  • Death of an avid reader“ von Frances Brody
    Meine Krimi-Entdeckung des Jahres. Zwar sind die neuesten ihrer Bücher nicht mehr ganz so gut – wahrscheinlich ist der Zeitdruck zu groß? – aber spannend, intelligent geschrieben, klassischer-Krimi-formatiert sind sie alle. Und im Unterschied zu vielen anderen thematisiert diese Autorin, ohne damit zu einer Problem-Schriftstellerin zu werden, auch die traumatisierten Folgen eines Weltkriegs.
  • The caravanersvon Elizabeth von Arnim
    Ein echter Klassiker, wirklich allerbeste Unterhaltungsliteratur mit tiefen Einsichten über den deutschen männlichen Charakter.
  • One crimson thread von Mícheál Ó Siadhail
    Jetzt muss ich etwas schummeln, denn diesen Gedichtband habe ich bereits 2016 gelesen. Ich finde aber, dass er auch für 2017 seine Spitzenposition auf meiner Liste verdient. Sehr berührend. Großartig geschrieben.

Die Autoren im Überblick:


Ein frohes neues Bücherjahr!

Murder in the afternoon. Frances Brody

Nachdem ich mich kritisch geäußert habe über die Krimis von Jacqueline Winspear, braucht es positive Abwechslung. Da kommt die Krimiserie von Frances Brody mit der Detektivin Kate Shackleton gerade recht.

Die Literary Review bemerkt: „Kate Shackleton joins Jacqueline Winspear’s Maisie Dobbs in a subgroup of young, female amateur detectives matured by their wartime experiences. They make excellent heroines.“

Damit sind die Gemeinsamkeiten aber auch erschöpfend behandelt. Denn Frances Brody ist die deutlich bessere Krimi-Autorin. Bei ihr haben die Charaktere mehr Tiefe, entsteht echte Spannung. Ihr Schreibstil ist lebhafter, facettenreicher, amüsanter. Man merkt, dass sie auch als  Bühnenautorin erfolgreich ist. Zwischenzeitlich hat sie in der Krimi-Reihe mit Kate Shackleton neun Romane veröffentlicht. Murder in the afternoon, erschienen 2011, ist die Nummer 3.

Der Start der nicht unkomplizierten Handlung wird auf der Rückseite des Einbands gut aufbereitet: „Young Harriet and her brother Austin have always been scared of the quarry where their stone mason father works. So when they find him dead on the cold ground, they scarper quick smart and look for some help. When help arrives, however, the quarry is deserted and there is no sign of the body. Were the children mistaken? Is their father not dead? (…) It seems like another unusual situation requiring the expertise of Kate Shackleton. But for Kate this is one case where surprising family ties make it her most dangerous – and delicate – yet…..“

Mit Zitaten am Anfang des Romans arbeitet Brody übrigens genauso gerne wie Winspear. Ihre passen aber noch viel besser zu dem, was dann folgt:
„Saturday
12 MAY, 1923
Great Applewick

Solomon Grundy,
Born on a Monday,
Christened on Tuesday,
Married on Wednesday,
Took ill on Thursday,
Grew worse on Friday,
Died on Saturday,
Buried on Sunday.
That was the end of Solomon Grundy.

Old rhyme.“

Eine  erfreuliche Entdeckung.

Leaving everything most loved. Jacqueline Winspear

Die Autorin, Jacqueline Winspear, Britin mit Wohnsitz in den USA, hochgelobt. Der Krimi, 2013 erschienen, spielt im England der 1930er Jahre. Die Detektivin, Maisie Dobbs, gefeiert als „a revelation“. Das Delikt, Mord an zwei Inderinnen in London, bietet das Potenzial, farbenfroh zu werden.

Da kann ja nicht mehr viel schiefgehen.

Neu-klassisch startet Winspear mit Zitaten, eines von Dante, eines von Kipling. Das dritte, von Beryl Markham, schafft gleich etwas Atmosphäre: „I have learnt that if you must leave a place that you have lived in and loved and where all your yesteryears are buried deep, leave it any way except a slow way, leave it the fastest way you can.“

Dann eine kurze Szene, eine Inderin geht an einem Geschäft vorbei in einer Gegend, wo normalerweise keine Inder zu finden sind. Die Engländer, die sie sehen, runzeln die Stirn.

Anschließend ist die Inderin tot, erschossen, aufgefunden treibend in einem Kanal von einer Gruppe spielender Kinder.

Gar nicht schlecht gemacht, Interesse wird geweckt, Spannung aufgebaut, ein Netz für einen guten Plot gewebt. Die historischen Details für die 30er Jahre sind da, nicht zu viele, nicht zu aufdringlich. Kein Kostümschinken.

Bemerkenswert, dass Winspear Versehrtheit zeigt. Viele der Charaktere leiden unter dem vergangenen ersten Weltkrieg. Einige sind psychisch angeschlagen, viele auch körperlich mit Narben, fehlenden Gliedmaßen, humpelnd. Vielleicht abgeschaut bei der australischen Phryne Fisher-Serie, vielleicht natürlich aber auch selbst erfunden.

Andererseits entsteht – bei mir – keine rechte Begeisterung, die Spannung flacht schnell ab, das Interesse an den Charakteren erlahmt, die Lösung ist nicht mehr lang erwartet. Vieles wirkt zu lang, besonders der Schluss, wo über Seiten hinweg auch der letzte lose Faden noch verwebt und verknotet wird.

Etliches ist mir auch zu platt psychologisierend; vor Allem in den Partien, in denen die Detektivin ihr kleines Team führt. Da wird das kleine Einmaleins der klassischen Führung à l‘ Anglaise lang ausgebreitet: Alle Entscheidungen beim Chef, die aber verständnisvoll darüber nachdenkt, was gerade in ihren Mitarbeitern vorgeht.

Vielleicht auch ein Faktor, dass Winspear zu viele Erzählhaltungen im Wechsel einnimmt, insbesondere den allwissenden Erzähler, der bis in die Seelen schaut, aber auch Ich-Erzählung, die allerdings seltsam in der dritten Person abgewickelt wird.

Ein verhaltenes „Kann man lesen“, mehr wird’s bei mir nicht. Und das Buch an Oxfam weitergegeben. Was irgendwie auch schade ist, denn da wäre mehr drin gewesen.

The Grantchester mysteries: Sidney Chambers and the forgiveness of sins. James Runcie

Die Verfilmungen sollen gut sein. Zumindest die Bilder von Grantchester, einem ausgesprochen pittoresken Dorf in der Nähe von Cambridge, werden gelobt. Die deutsch-synchronisierte Fassung dieser Grantchester Mysteries wird bestimmt nicht lange auf sich warten lassen, sind englische Krimi-Verfilmungen in Deutschland doch sehr beliebt.

James Runcie ist der Sohn des ehemaligen Erzbischofs von Canterbury. Das qualifiziert ihn zweifellos für einen Detektiv, der ein Canon der anglikanischen Kirche ist. Er wurde in Cambridge geboren. Da kann man dann auch kundig über Grantchester schreiben.

Dennoch, die Vorlage für die Filme ist – um nicht lange darum herum zu reden – ziemlich mies. Platt, langweilig, eintönig, wie in Eile und ohne Liebe geschrieben. Eher eine Skizze als ein Roman. Oder ein erster Versuch. Zumindest die paar Dutzend Seiten, die ich geschafft habe, bis ich mir ein anderes Buch gegriffen habe, sind so.
Vielleicht versteckt sich daher subtile Kritik hinter einem Satz einer Grantchester-Filmkritik im Guardian:
„Runcie spoke to the Observer in the kitchen of the village hall among left-over snacks and warm white wine.“

Wer so vernichtend sich äußert wie ich, sollte wenigstens einen Beleg anbringen. Hier ist er:
„The cello music stopped.
Keating knocked on the door and opened it without waiting for a reply. (…) Once they had explained themselves, Sophie Madara said: ‚I wondered when someone would come. It’s been a Long time.‘
‚You were reported as missing.‘
‚But I Wasn’t.‘
‚Nobody knew where you were.‘
‚I knew where I was. So did my parents. I have made no secret. Where is my husband?'“

Einzig gute Nachricht aus Perspektive dieses Bloggers: Cricket kommt wieder vor!

Death of an avid reader. Frances Brody

Das sind doch mal positive Überraschungen! Eine (relativ) neue Krimiautorin: Frances Brody – eine überzeugende Privatdetektivin: Kate Shackleton – geschrieben wie ein klassischer englischer Krimi – ohne den ewigen Psycho-Sex-Gewalt-Kram, den viele heutige Krimis anscheinend brauchen.

Frances Brody verlegt ihren Krimi in die zwanziger Jahre, macht daraus aber keine große Sache.
Sie kommt weitgehend aus, ohne historische Versatzstücke zu nennen, die das 20er Jahre Flair erzeugen sollen. Sie schreibt ausgesprochen flott. Offensichtlich macht es ihr großen Spaß zu erzählen, Spannung und Sympathie zu erzeugen, ihre Leser zu unterhalten. Der Plot (Mord in einer öffentlichen Bibliothek) ist gut gestrickt, nachvollziehbar und nur an wenigen Stellen von glücklichen Zufällen bestimmt. Erfreulich auch, dass die Polizei nicht dumm und dusselig sein muß, damit der Detektiv glänzt. Gute Dialoge, gute Beschreibungen von Stimmungen, Räumen, Personen. Überhaupt sind ihre Charaktere erfreulich abgerundet und eindrucksvoll.

Frances Brody startet mit einem Zitat von Richard Brinsley Sheridan:
„A circulating library in a town is as an evergreen tree of diabolical knowledge“.

Dann folgt ein Zeitungsartikel:
„In a momentous discovery, the Leeds Library on Commercial Street has added the finest of jewels to ist crown. Founded in 1768, this venerable Institution already houses Selby’s ornithology, rare and magnificent coloured plates of birds; the works of St Thomas Aquinas; an enviable collection of Reformation and Civil War pamphlets and two hundred and one volumes of the Encyclopédia Méthodique….“

Darauf ein Brief:
„22 October, 1925
Cavendish Square
London
Dear Mrs Shackleton
On a matter of delicacy, I pray you will meet me on Tuesday next. Knowing you are a member of the Cavendish Square Ladies‘ Club, I suggest we meet there.
Yours sincerely
Jane Coulton.“

Und damit ist die Szene gesetzt und der gesamte Plot vorbereitet.

Die Daily Mail vermerkt zu Frances Brody: „Has that indefinable talent of the born storyteller.“ Recht hat sie.

Murder must advertise. Dorothy L. Sayers

Nach „Gaudy Night“ also gleich wieder ein Detektivroman von Dorothy L. Sayers. Ort der Handlung: Kein College in Oxford, sondern eine Werbeagentur in London. Ein echter Krimi, also inklusive Mord, sogar mehrfach. Wermutstropfen: So gut wie kein ‚romantic interest‘.

Als Detektivroman ist „Murder must advertise“ bestimmt nicht toll. Die Auflösung des Falls kommt zu kurz, auch hat der Sayers-Standard-Detektiv Wimsey oft mehr Glück als Verstand, und so richtig kann man als Leser nicht auf den Täter kommen. ‚Not very sporting‘ also. Obendrein ist Wimsey etwas zu penetrant: Er kann alles, er weiß alles, alle sind begeistert, wenn sie ihn kennenlernen dürfen. Gutaussehend ist er natürlich auch…

Sehr lesenswert ist der Krimi wegen seiner sehr gelungenen Beschreibung  von Pym’s Publicity, der Londoner Werbeagentur mit ihren Klienten, mit den Textern, Graphikern, Produzenten inklusive der klassischen Teeversorgung im Büro. Das ist interessant und flott geschrieben, sogar amüsant.

Und „Murder must advertise“ ist ein Cricket-Roman zur Freude der England-Klischee-beladenen deutschen Leser. Ein ganzes Kapitel (in dem zum Schluss Wimsey sogar verhaftet wird) ist dem Cricket gewidmet und bietet Sayers eine wunderbare Gelegenheit, mit den relevanten Fachtermini dicke zu tun. Ein Beispiel für den Cricket-Kenner oder alternativ für hart gesottene Leser (und Leserinnen):
„The next ball was another of Simmonds‘ murderous short-pitched bumpers, and Lord Peter Wimsey, opening up wrathful shoulders, strode out of his crease like the spirit of vengeance and whacked it to the wide. The next he clouted to leg for three, nearly braining square-leg and so flummoxing deepfield that he flung it back wildly to the wrong end, giving the Pymmites a fourth for an overthrow. Mr Simmonds‘ last ball he treated with the contempt it deserved, snicking it as it whizzed past half a yard wide to leg and running a single.“

Wer endlich mehr über Cricket und dessen obskure Regeln wissen möchte, wird fündig für die einfache Variante bei Wikipedia in deutsch, für die anspruchsvollere bei Wikipedia in Englisch, und für das Komplettpaket inklusive Sahne (doppelt) beim Marylebone Cricket Club, der offiziell für die Laws (immer mit großem L!) of Cricket zuständig ist. Hier gibt’s auch eine passende App für den technisch arrivierten Cricket-Aficionado.

Also: „Murder must advertise“, vielleicht kein toller Krimi, aber allemal ein sehr gutes und interessantes Buch für all diejenigen, die mehr wissen wollen.
Als Verfilmung sehr dicht an der Vorlage die Version mit Ian Carmichael von 1973, nicht mehr taufrisch, aber als Klassiker immer noch zu haben

 

Gaudy Night. Dorothy L. Sayers

„Gaudy Night“ ist eine Detektiv-Geschichte ohne Mord. Ohne Verbrechen vielleicht auch, vielleicht nicht. Dies kommt auf den Standpunkt an.

Verbrechen in „Gaudy Night“

Die Detektiv-Geschichte spielt in einem College in Oxford. Hier gibt es eine ganze Reihe von unhaltbaren Vorkommnissen, die geeignet sind, den guten Ruf des Colleges nachhaltig zu beschädigen. Es gibt obszöne Zeichnungen, anonyme Briefe, eine durch Vandalismus zerstörte Bibliothek, zwei versuchte Selbsttötungen, einen versuchten Mord. Es kommen ebenfalls ein zerrissenes Buch und ein beschädigtes Manuskript vor und lichterloh brennende Gowns in einem College-Innenhof.

Beruf oder Liebe?

Was den Roman interessant macht, ist sein Hauptthema: die Beziehung zwischen beruflicher Erfüllung und Erfüllung in der Liebe, die Frage danach, ob für Frauen beides möglich ist oder diese sich entscheiden müssen. Eine sehr moderne Fragegestellung. Sayers bietet in ihrer Geschichte eine Fülle von interessanten Frauen-Figuren, die sich ganz unterschiedlich entschieden haben. Da gibt es zölibatäre Professorinnen, eine Akademikerin, die einen Bauern geheiratet hat, eine verwitwete Sekretärin, eine verheiratete Wissenschaftlerin, die ihre Kinder immer wieder bei ihren Eltern abgibt und viele, viele mehr. Durch die Haupt-Figur Harriet Vane vermittelt, stellt sich bei ihnen allen immer wieder neu die Frage danach, welche Frau in ihrem Leben glücklich ist und welche ihrer Entscheidungen hierzu beigetragen haben.

Universitäten vor dem 2. Weltkrieg

Dorothy Sayers zeichnet in ihrem 1935 erschienen Roman ein präzises Bild des damaligen Universitätslebens und seiner Relevanz für Frauen. 1935, nur 30 Jahre vor den Babyboomern der 1960er… Sehr empfehlenswert ist zu diesem Thema das Buch „Bluestockings“ von Jane Robinson; eine historische Analyse der Bildungschancen für Frauen in England.

Neben der Detektiv-Geschichte ist die zweite Klammer des Romans die Liebesgeschichte zwischen Lord Peter Wimsey und Harriet Vane. Aus Harriet Vanes Perspektive erzählt Sayers ihren Plot. Bekommen sich die beiden? Ist ein Kompromiss möglich zwischen Beruf und Liebe? Das soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

Weitere Empfehlungen

In der deutschen Übersetzung lautet der Romantitel „Aufruhr in Oxford“. Empfehlenswert ist die Verfilmung von „Gaudy Night“ mit Harriet Walter und Edward Petherbridge in den Hauptrollen.

Weitere Empfehlungen: Krimi-Besprechungen; beste unbekannte Krimis.