The pale horse. Agatha Christie

Eigentlich eine Angelegenheit von Pfarrern: to hatch, to match and to despatch. Mindestens bei Nummer 3 dieser Aufzählung weiß auch Agatha Christie, worauf es ankommt:
„The fog was coming on fast. Father Gorman quickened his steps. He knew his district well. He took a shortcut by turning down the small street which ran close by the railway. He may have been conscious of steps behind him but he thought nothing of them. Why should he?
The blow from the cosh caught him completely unaware. He heeled forward and fell.“

„The pale horse“ ist typisch unter den vielen richtig guten Agatha Christie-Romanen mit exzellentem Plot, elegantem Spannungsaufbau, überzeugenden Charakteren. Für viele Jane Marple- und Hercule Poirot-geschulte deutsche Leser und/oder Filmgucker ist er aber auch irritierend-anregend: Das London der 60er mit Teddies und Coffee Bars, Polyester-Kleidung und wilder Musik. Und als Detektive: Mark Easterbrook und Ginger Corrigan. Komplett wird die Mischung durch Macbeth und Hexen, Marktforschungsinstitut und zwielichtigen Kunstliebhaber. Kein Krimi für schwache Nerven.
Vielleicht hätte der Krimi mehr Verdächtige verdient gehabt. Aber da beklagt man sich auf sehr hohem Niveau.

Bei einigen meiner Krimi-Besprechungen habe ich versucht, einschlägige Kommentare zu unterschiedlichen Berufsgruppen herauszustellen. In diesem Krimi ist etwas für die normalerweise vernachlässigte Berufsgruppe der Controller dabei:
„‚Will computers take the place of men eventually?‘  ‚Of men, yes. Men who are only units of manpower – that is. But Man, no. There has to be Man the Controller, Man the Thinker, who works out the questions to ask the machines.‘ I shook my head doubtfully.“

Ebenfalls nicht zu verachten die Kurzcharakteristika der handelnden Personen: Da gibt es „a dazzling but dizzy female“ und das Vikar-Ehepaar: „a charming elderly scholar, he understood forgiveness and retribution but not evil“„Her self-appointed duty was to arrange and classify sins for her husband – evil was her department.“

Gelesen habe ich eine amerikanische Taschenbuchausgabe. In deutsch ist er unter dem Titel „Das fahle Pferd“ erschienen und – das hätte ich nicht gedacht – nur antiquarisch zu bekommen! Sehr gelungen auch die Verfilmung  unter dem Originalnamen von 1997 mit Colin Buchanan in der Hauptrolle.

Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Thukydides

Neben aller Sekundärliteratur macht es immer wieder Spaß, einige Quellen unmittelbar zu lesen. Für historisch Interessierte setzt die Geschichte des Peloponnesischen Krieges von Thukydides (460-397 v.Chr.) dabei einen Maßstab der Geschichtsschreibung, der vorher nie und auch später nicht oft erreicht wurde. Für alle ist er ein Geschichtsschreiber, der mit aller methodischen Akribie immer wieder höchst spannend und fesselnd, mit ausgezeichnetem Gespür für die relevanten Machtfaktoren einen Konflikt nachzeichnet, zu dem sich leicht Parallelen in der heutigen Zeit finden lassen.

Thukydides geht es in seiner Beschreibung des Kriegs zwischen Athen (in Koalition mit dem Attischen Seebund) und Sparta (ebenfalls mit zahlreichen Verbündeten) neben der eigentlichen historischen Arbeit am von ihm selbst miterlebten Krieg vor allem um zwei Ziele. Zum Einen distanziert er sich von seinem berühmten Vorfahren Herodot, den er für naiv, subjektiv, zu wenig interessiert an der historischen Wahrheit hält. Zum Anderen versucht er nachzuweisen, dass der Peloponnesische Krieg größer und bedeutender war als alle Vorhergehenden, insbesondere die vom genannten Herodot beschriebenen Perserkriege. Diese Ziele verfolgt er so konsequent, dass zumindest beim Nachweis der Bedeutung des Kriegs auch die Wahrheit ein wenig leidet. Denn zumindest die Perserkriege waren in ihrer Dimension wahrscheinlich größer. Otto Lendle, ein Althistoriker, schrieb zur Situation, in der Thukydides seine Arbeit begann: „damals waren nämlich plötzlich die Perserkriege in aller Munde – dank Herodot, dessen Werk sich inzwischen verbreitete und die glorreiche Erinnerung an den heroischen Abwehrkampf der Griechen gegen die persische Invasion wieder hatte lebendig werden lassen. Gemessen an den dramatischen Vorgängen ein Menschenalter früher, als das Schicksal Griechenlands wahrhaftig auf Messers Schneide stand, konnte der (peloponnesische) Krieg (…) in der Tat als ein Ereignis zweiten Ranges erscheinen. Diese allgemeine Einschätzung bedeutete für Thukydides natürlich eine schwere Belastung. Es blieb ihm al Schriftsteller gar keine andere Möglichkeit, als im Interesse seines Gegenstandes gegen Herodot, den Mann der Stunde, und sein alles überstrahlendes Hauptthema, die Perserkriege, anzutreten (…).“

Sollte dieser Abgrenzungsversuch gegen Herodot die völlig neuartige, geradezu modernen methodische Qualität von Thukydides mit ihrem Fokus auf der historischen Wahrheit und auf den Beweggründen der Akteure hervorgebracht haben, so hat er sich gelohnt. Ein Zitat aus dem sogenannten Methodenkapitel: „Καὶ ὅσα μὲν λόγῳ εἶπον ἕκαστοι ἢ μέλλοντες πολεμήσειν ἢ ἐν αὐτῷ ἤδη ὄντες, χαλεπὸν τὴν ἀκρίβειαν αὐτὴν τῶν λεχθέντων διαμνημονεῦσαι ἦν ἐμοί τε ὧν αὐτὸς ἤκουσα καὶ τοῖς ἄλλοθέν ποθεν ἐμοὶ ἀπαγγέλλουσιν· ὡς δ‘ ἂν ἐδόκουν ἐμοὶ ἕκαστοι περὶ τῶν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ‘ εἰπεῖν, ἐχομένῳ ὅτι ἐγγύτατα τῆς ξυμπάσης γνώμης τῶν ἀληθῶς λεχθέντων, οὕτως εἴρηται. τὰ δ‘ ἔργα τῶν πραχθέντων ἐν τῷ πολέμῳ οὐκ ἐκ τοῦ παρατυχόντος πυνθανόμενος ἠξίωσα γράφειν, οὐδ‘ ὡς ἐμοὶ ἐδόκει, ἀλλ‘ οἷς τε αὐτὸς παρῆν καὶ παρὰ τῶν ἄλλων ὅσον δυνατὸν ἀκριβείᾳ περὶ ἑκάστου ἐπεξελθών. ἐπιπόνως δὲ ηὑρίσκετο, διότι οἱ παρόντες τοῖς ἔργοις ἑκάστοις οὐ ταὐτὰ περὶ τῶν αὐτῶν ἔλεγον, ἀλλ‘ ὡς ἑκατέρων τις εὐνοίας ἢ μνήμης ἔχοι. καὶ ἐς μὲν ἀκρόασιν ἴσως τὸ μὴ μυθῶδες αὐτῶν ἀτερπέστερον φανεῖται· ὅσοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει. κτῆμά τε ἐς αἰεὶ μᾶλλον ἢ ἀγώνισμα ἐς τὸ παραχρῆμα ἀκούειν ξύγκειται.“
Auf deutsch in der Übersetzung von Landmann:
„Was nun in Reden hüben und drüben vorgebracht wurde, während sie sich zum Krieg anschickten, und als sie schon drin waren, davon die wörtliche Genauigkeit wiederzugeben war schwierig sowohl für mich, wo ich selber zuhörte, wie auch für meine Gewährsleute von anderwärts; nur wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage etwa sprechen mußte, so stehn die Reden da, in möglichst engem Anschluß an den Gesamtsinn des in Wirklichkeit Gesagten. Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften der ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ’nach meinem Dafürhalten‘, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis. Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist sie verfaßt.“

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Gelesen habe ich in der Ausgabe von Duker, die 1731 bei Wetsten und Smith erschienen ist. Neuere Ausgaben sind natürlich zu haben.

A history of Christianity: The first three thousand years. Diarmaid MacCulloch

Sollte irgendjemand sich gefragt haben, warum es in der letzten Zeit so wenige Beiträge von mir gibt, hier ist die Antwort: Ich habe mir etwas Monumentales gegönnt und mich an die Geschichte des Christentums gewagt – immerhin deutlich mehr als 1000 Seiten.

Damit ist auch bereits Wesentliches über das Buch gesagt: Rechnerisch entfallen mehr als drei Jahre auf jede Seite für die weltweite Geschichte des Christentums. Alles ist recht dicht gedrängt, auch der Schriftsatz…. Allerdings muss man auch gleich hinzufügen, nichts Vergleichbares und schon gar nichts vergleichbar Gutes gibt es aktuell in nur einem einzigen Band, weder in englischer noch in deutscher Sprache.

Mit dem kürzlich von mir besprochenen Tim Blanning, der sich ebenfalls nicht scheut, unübersehbare Themen anzugehen, kann Diarmaid MacCulloch allerdings nicht ganz mithalten. MacCulloch, Kirchenhistoriker an der Universität Oxford, beherrscht das Thema. Er schreibt gut, auch mitunter bissig-humorvoll. Vor allem bewahrt er bei aller Expertise eine sehr gesunde Distanz zu seinem Thema (er bezeichnet sich selbst lediglich als wohlwollenden Unterstützer des Christentums, obwohl oder weil er aus einer englischen Pastorenfamilie stammt). Allerdings ist er nicht ganz so elegant im Herausarbeiten der großen Linien bei gleichzeitigem Herausgreifen einschlägiger Details, nicht so homogen wie Blanning. Vielleicht ist damit die Latte aber auch wirklich extrem, also unangemessen hoch gelegt. Auch ist die Geschichte des Christentum schon ein wenig unhandlich….

Empfehlenswert ist das Buch jedenfalls für jeden, dem dieses Thema wichtig ist. Dies allein schon deshalb, weil MacCulloch sehr gut die vielen verschiedenen Gesteinsformationen und Schichten, die zahllosen Brüche und Verwerfungen darstellt, die die Entwicklung des Christentums ausmachen und dazu beitragen, dass es wahrlich kein Monolith ist – vielleicht noch nicht einmal damals, als Christus seine Kirche auf den Fels Petrus gebaut hat. Ein weiterer Grund zum Lesen: MacCulloch fokussiert nicht nur auf die westliche christliche Kirche, sondern gibt auch den anderen Kirchen recht ausbalanciert ihren Raum.

Eine Leseprobe über Säulenheilige in Syrien:
„Over the next seven centuries, around 120 people imitated Simeon’s initiative in Syria and Asia Minor. They were like living ladders to Heaven, and even if hermits, they were far from remote. St Simeon himself had chosen one of the most elevated sites in his portion of northern Syria next to a major raod, dominating the view for scores of miles, and preaching twice a day. Stylites often became Major players in Church politics, shouting down their theological pronouncements from their little elevated balconies to the expectant crowds below, or giving personalized advice to those favoured enough to climb the ladder and join them on their platform. There was little love lost between some rival pillars of different theological persuasions. Simeon the younger Stylite (521-97) is rather implausibly said to have insisted on spending his infancy on a junior pillar, but there is no doubt that he eventually graduated to a full-scale pillar near Antioch (…).“

Solche pointierten Passagen finden sich immer wieder. Wer zum Beispiel wissen möchte, wie es gekommen ist, dass aus Buddha ein christlicher Heiliger wurde, sollte nicht zögern, es nachzulesen!

Bisher bis zur Hälfte gelesen (ich werde weiterlesen!) habe ich die englische Taschenbuchausgabe bei Penguin von 2009. Auch zu empfehlen ist die DVD-Reihe zur Geschichte des Christentums, die parallel zum Buch erschienen ist.
Wenn ich es durchgelesen habe, schreibe ich den Folgebeitrag!

 

 

 

 

Pigs have wings. P.G. Wodehouse

Heute ein Beitrag für ein leichteres, letztlich ideales Buch für sonniges Wetter im Mai und ein ruhiges Wochenende im Liegestuhl im Garten mit einem Glas Pimm’s und frischen Erdbeeren.

P.G. Wodehouse ist ein echter Klassiker der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts: Kaum ein Engländer, der liest, hat nicht wenigsten einen seiner Romane gelesen. Der englische Guardian listet eines seiner Bücher unter den 100 besten englischen Romanen auf. Seine Bücher werden regelmäßig neu aufgelegt, als Hörbuch vertont und verfilmt. Die Wodehouse-Website zeugt von echten Fans.

Für einen Autoren der humoristischen Literatur, der eigentlich nie von seinem einen Erfolgsrezept abgewichen ist und daraus mehr als 90 Bücher gemacht hat, ein echter Erfolg. Und dass der Name Jeeves, so heißt ein Butler in vielen seiner Romane, zum Synonym für alle Butler geworden ist, zählt auch dazu.

Wodehouses Romane unterteilen sich in zwei wesentliche Zyklen: Jeeves und Bertie Wooster einerseits, andererseits Blandings Castle. Zu letzterem Zyklus gehört „Pigs have wings“, erschienen 1952 als achter Titel. Wie immer in den Blandings-Büchern geht es spezifisch um Schweine und Hochstapler. Wie immer in allen seinen Romane steht das Grundmuster, das der Manchester Guardian einmal beschrieb: „(…) Nothing is changed; there are still the resourceful butlers, the jokes like captions from silent film comedies, the elaborate mock-heroics, the astute quotation-mongering, the suspense mechanisms so frankly displayed onstage, the love affair to be promoted, the piece of skulduggery to be foiled. Nothing needs to change.“

Obwohl Wodehouses Romane in deutlich gehobeneren gesellschaftlichen Sphären spielen, haben sie etwas außerordentlich Egalitäres: Butler sind letztlich auf Augenhöhe mit Earls, Tanten dominieren alle männlichen Mitglieder der Familie, Barfrauen heiraten in den Adel….

Als Leseprobe eine Partie aus der Mitte des Romans:
„Sir Gregory stood staring, the smoked salmon frozen on its fork. It is always disconcerting when an unexpected guest arrives at dinner time, and particularly so when such a guest is a spectre from the dead past. The historic instance, of course, of this sort of thing is the occasion when the ghost of Banquo dropped in to take pot luck with Macbeth. It gave Macbeth a start, and it was plain from Sir Gregory’s demeanour that he also had had one. ‚What? What? What? What? What?‘ he gasped, for he was a confirmed what-whatter in times of emotion.“

Gelesen habe ich eine englischsprachige Penguin-Ausgabe von 1961. Es gibt antiquarisch eine deutschsprachige Ausgabe unter dem nicht unpassenden Titel „Schwein oder Nichtschwein“ und neu sogar das relevante Hörbuch.

 

Cleopatra’s needles: The lost obelisks of Egypt. Bob Brier

Für jeden etwas dabei in diesem Buch über die bewegte Geschichte der ägyptischen Obelisken: Das alte Ägypten und Kleopatra, das alte Rom mit Cäsar und Augustus, die Kirche mit ihren Päpsten, Bernini und Elefanten, Napoleon und seine Abenteuer im Orient, die Ingenieursmeisterleistungen und -Katastrophen der Italiener, Franzosen, Engländer und Amerikaner, die bürokratischen Freuden Ägyptens. Alles umrahmt, beschattet, gestützt von Obelisken und illustriert mit vielen guten Bildern.

Bob Brier ist Ägyptologe in den Vereinigten Staaten und ein echter Vielschreiber. Er schreibt gut lesbar, spannend, journalistisch. Vor allem hat er immer den Blick auf Stoffe, die sich gut verkaufen: Pyramiden, Mumien, Tutankhamun. Ab und zu – wie in seinem Buch über Tutankhamun – triumphiert die Liebe zur Sensationsgeschichte dann auch einmal über die wissenschaftliche Seriosität.

Die Geschichte der Obelisken erzählt Brier mit vielen interessanten Anekdoten und – nachvollziehbar – einem starken Fokus auf die Ingenieurskunst, die über die Jahrtausende eingesetzt wurde, um die riesigen, mehrere Hundert Tonnen schweren Obelisken zu meißeln, bewegen, transportieren und aufzurichten. Dabei ist es sehr faszinierend zu lesen, dass die Ägypter ihre Obelisken einfach vertikal auf Podeste gesetzt haben, ohne Mörtel, ohne alles, mit Stabilität über Tausende von Jahren. Danach hat sich das keiner mehr getraut. Auch beeindruckend: In der frühen Neuzeit sind die Ingenieure um Haaresbreite an dem gescheitert, was die Ägypter und Römer per Routine geschafft haben…

Etwas dünn wird Brier, wenn es darum geht zu erklären, was denn eigentlich die Bedeutung der Obelisken ausmachte – eigentlich erstaunlich bei einem Ägyptologen. Bei diesem Thema kann beispielsweise „Landscape and Memory“ von Simon Schama im Kapitel „Streams of Consciousness“ aushelfen (überhaupt ein erheblich substanzielleres und mindestens genauso gut geschriebenes Buch wie das von Brier…): „(…) that the obelisks were objects of religious adoration for the Egyptians, rays of the sun symbolized by pointed columns of stone.“

Als Leseprobe eine Passage über den Obelisken vom Luxor-Tempel, den die Franzosen nach Paris zur Place de la Concorde gebracht haben: „When the obelisk reached the center of gravity of the pivot point the restraining system was activated to slow ist descent. (…). Fifteen minutes later, it was safely resting on a platform built to receive it. With the obelisk down, Lebas, for the first time, could see the top of the pedestal and made a wonderful discovery. Pharaohs frequently chiseled out the names of previous owners on monuments they wanted to claim as their own, and Ramses was one of the most enthusiastic practitioners, so he knew it could happen to him. Before he erected his pair of obelisks in front of the Luxor Temple, he carved his name on the tops of the pedestals so that when the obelisks rested on the pedestal they covered the names and no one could get to them. It worked.“

Gelesen habe ich die noch nicht übersetzte Erstausgabe von 2016.

 

Metamorphosen: Der goldene Esel. Apuleius

Ein ziemlich unbekanntes, aber von der Antike über die Renaissance bis heute sehr einflussreiches Werk der Weltliteratur möchte ich dieses Mal empfehlen: Die „Metamorphosen“ von Apuleius – auch bekannt als „Der goldene Esel“ – ist einer der ältesten erhaltenen Romane der Weltliteratur und sicherlich nicht der schlechteste. Flott geschrieben, spannend, amüsant, nicht immer jugendfrei; so ziemlich das genaue Gegenteil von allem, was man häufig mit verstaubter, verquaster, vorgestriger lateinischer Literatur verbindet.

Apuleius lebte im zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Er stammt aus dem heutigen Algerien, verbrachte dann einige Zeit unter anderem in Karthago, Athen und Rom, bevor er wieder nach Nordafrika zurückkehrte. Ihn als schillernde Persönlichkeit zu bezeichnen, ist eine deutliche Untertreibung. Neben den Metamorphosen ist von ihm eine Verteidigungsrede in eigener Sache überliefert; er war der Zauberei angeklagt…

Schillernd sind auch die Metamorphosen und umstritten. Das fängt schon bei der ausgesprochen kunstvollen, oft sehr kraftvollen, manchmal poetischen, immer flamboyanten Sprache an. August Rode, der den Roman in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts übersetzt hat, mochte das nicht: „des Apuleius Schreibart ist bei weitem nicht die beste. Er kettet ewig lange Perioden zusammen, ist sehr kostbar und schwülstig in seinem Ausdrucke, gebraucht unerhörte Wortfügungen und veraltete, ja wohl gar selbsterfundene Wörter und Redensarten.“

Schillernd auch, weil Generationen von Klassischen Philologen immer wieder an der Interpretation dieses Romans gescheitert sind, der wie ein Hase die deutungswütigen und Eindeutigkeits-suchenden Literaturwissenschaftler immer wieder durch einen überraschenden Haken hinter sich lässt. Für andere Leser macht gerade das einen erheblichen Teil des Reizes des Buchs aus.

Schillernd zumal wegen des Inhalts, in dem es um Zauberei, Isis-Kult, Verwandlungen, Abenteuer, Liebesgeschichten geht mit einem wenig heroischen Helden. Und dann gibt es noch die in den Roman eingebauten Geschichte von Amor und Psyche, die auch die bildende Kunst inspirierte und für sich alleine Weltliteratur ist. Diese Geschichte ist sogar heute noch vielen bekannt, ohne immer dabei zu wissen, von wem sie stammt und in welchen Zusammenhang sie gehört.

Für Schullateiner ist Apuleius auf Latein nichts, wenn sie nicht gerne ein Wörterbuch verwenden. Hier als eher leichtes Beispiel eine Partie aus der Geschichte von Amor und Psyche – Psyche wird zur vorgeblichen Eheschließung mit einem Drachen auf einen Felsen geführt:
„Itur ad constitutum scopulum montis ardui, cuius in summo cacumine statutam puellam cuncti deserunt taedasque nuptiales, quibus praeluxerunt, ibidem lacrimis suis extinctas relinquentes deiectis capitibus domuitionem parant. Et miseri quidem parentes eius tanta clade defessi, clausae domus abstrusi tenebris, perpetuae nocti sese dedidere. Psychen autem paventem ac trepidam et in ipso scopuli vertice deflentem mitis aura molliter spirantis Zephyri vibratis hinc inde laciniis et reflato sinu sensim levatam suo tranquillo spirito vehens paulatim per devexa rupis excelsae vallis subditae florentis cespitis gremio leniter delapsam reclinat.“

In der guten, wenngleich gelegentlich schwer altertümelnden Übersetzung von Brandt und Ehlers (Artemis & Winkler Verlag) liest sich dies so:
„Man geht zu der bestimmten steilen Bergklippe, stellt das Mädchen auf den höchsten Gipfel, und nun gehen alle hinweg, lassen die Hochzeitsfackeln, die vorangeleuchtet hatten und jetzt in ihren Tränen erloschen, an Ort und Stelle zurück und machen sich gesenkten Hauptes auf den Heimweg. Ihre armen Eltern selbst warf der furchtbare Schlag zu Boden, daß sie das Haus versperrten und in seinem Dunkel untertauchten, um sich beständiger Nacht zu befehlen. Psyche aber, die mit Furcht und Zittern oben auf dem Felsgipfel sich die Augen ausweinte, hebt sanft säuselnd ein linder Zephyrhauch mit flatternden Gewändern und geblähtem Bausch sacht empor, trägt sie in ruhigem Wehen gemächlich über die ragenden Berghänge und lehnt sie, da sie hinabgeglitten, im Tale drunten leise auf einen blühenden Rasenschoß.“

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Gelesen habe ich die bei Iohannes Maire in Leiden erschienene Ausgabe von 1623. Aktuellere Ausgaben auch in Deutsch sind aber problemlos verfügbar…

 

El informe de Brodie. Jorge Luis Borges

Jorge Luis Borges gilt als einer der besten Schriftsteller Argentiniens. Er ist auch in Deutschland recht bekannt und geschätzt. So arbeitet denn auch der Hanser-Verlag an einer zwölfbändigen Werkausgabe (20 Bände als Taschenbuch) von ihm in deutscher Sprache.

Gelesen habe ich eine Sammlung von Erzählungen unter dem deutschen Titel „David Brodies Bericht“, die 1970 erschienen ist.

Sparsam schreibt Borges: lieber ein Wort weniger als ein Wort zu viel. Und von bodenständiger Sorgfalt: die richtigen, unmarinierten Worte an der richtigen Stelle. Und mit Distanz: Emotional aufgeladen oder gar spannend sind die Erzählungen nicht.
Gerne und häufig verwendet er den Topos, dass der Erzähler etwas wiedergibt, was er aus einer anderen Quelle gehört oder gelesen hat. Dabei erwähnt er dann auch gerne, ob diese Quelle vertrauenswürdig ist und ob er selber etwas geändert hat.
Offensichtlich sind seine Erzählungen nicht: Als Leser muss (und kann) man sich seine eigenen Gedanken darüber machen, warum Borges diese Erzählung geschrieben hat oder warum sie relevant ist. Dadurch sind sie durchaus ein wenig  geheimnisvoll.
Und belesen ist Borges. Das merkt man besonders an der namensgebenden Erzählung „El informe de Brodie“, die deutlich von Swifts Gullivers Reisen inspiriert ist, aber sicher auch in der Tradition der „Wahren Geschichten“ von Lukian steht.

Für mich ist Borges ein Autor, den man gut in Übersetzung lesen kann, da seine Sprache so präzise und unprätentiös ist. Gelesen habe ich eine spanisch-sprachige Taschenbuchausgabe von 1980.

Leseprobe aus der Titelerzählung zur Sprache der Yahoos:
„El idioma es complejo. No se asemeja a ningún otro de los que yo tenga noticia. No podemos hablar de partes de la oración, ya que no hay oraciones. Cada palabra monosílaba corresponde a una idea General, que se define por el contexto o por las visajes. La palabra nrz, por ejemplo, sugiere la dispersión o las manchas; puede significar el cielo estrellado, un leopardo, una bandada de aves, la viruela, lo salpicado, el acto de desparramar o la fuga que sigue a la derrota. (…) Pronunciada de otra manera o con otros visajes, cada palabra puede tener un sentido contrario. No nos maravillemos con exceso; en nuestra lengua, el verbo to cleave vale por hendir y adherir.“
In der englischen Übersetzung von Andrew Hurley von 1998:
„Their language is complex, and resembles none other that I know. One cannot speak of „parts of speech“, as there are no sentences. Each monosyllabic word corresponds to a general idea, which is defined by ist context or by facial expressions. The word nrz, for example, suggests a dispersion or spots of one kind or another: it may mean the starry sky, a leopard, a flock of birds, smallpox, something splattered with water and mud, the act of scattering, or the flight that follows defeat. (…) Pronounced in another way, or with other facial expressions, it may mean the opposite. We should not be overly surprised at this: in our own tongue, the verb to cleave means to rend and to adhere.“

The Dark Box: A Secret History of Confession. John Cornwell

Dieses Buch von John Cornwell beschreibt nicht nur die historische Entwicklung der Beichte, sondern beschäftigt sich auch mit den Risiken und Nebenwirkungen von Beichte und Priesterausbildung in der katholischen Kirche, insbesondere mit den Missbrauchsfällen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.

Cornwell macht von Anfang an deutlich, dass er als ehemaliger Priesteranwärter und Missbrauchsopfer einen potenziellen Interessenkonflikt hat. Seine Argumentation im Buch ist dann aber so klar, fundiert, mit Quellen hinterlegt und auch so unpolemisch, dass seine persönlichen Erfahrungen einen Gewinn für Qualität und Relevanz des Buchs haben.

Cornwell strukturiert das Thema in die Teile:

  • A Brief history of confession
  • The child penitents
  • „Soul murder“.

Gut gelungen ist die historische Darstellung der Beichte im ersten Teil. Cornwell beschreibt sie dabei nicht in jedem Detail mit jeder minutiösen Änderung im Laufe der Jahrhunderte. Vielmehr fokussiert er auf wesentliche Entwicklungsstufen. Dabei gibt es viel Überraschendes vor allem aus der Frühzeit des Christentums zu entdecken, aber auch z.B. die Geschichte der Erfindung des Beichtstuhls als Möbel durch Borromeo.

Besonders wichtig für die genannten Risiken und Nebenwirkungen sind dann die im zweiten Teil ausführlich beschriebenen Reformen von Pius X.

  • Anfang des 20. Jahrhunderts führte er ein, dass eine Beichte täglich abzulegen sei, und legte de facto fest, dass auch Kinder im Alter von 7 Jahren zur Beichte gehen mussten – dies wiederum bedeutete, dass sie mit 5 oder 6 Jahren darin unterrichtet werden mussten, was denn alles in den Sündenkatalog gehört.
  • In seinem Bestreben, modernistischen Tendenzen entgegenzuwirken und Priesteranwärter von schädlichen Einflüssen der Welt fernzuhalten, führte er auch eine Priesterausbildung unter gefängnis-artigen Rahmenbedingungen ein, in der betont konservative moraltheologische Auffassungen unterrichtet wurden, wie zum Beispiel im englischsprachigen Raum basierend auf der „Moral and Pastoral Theology“ von Henry Davis (die man als Reprint noch kaufen kann).

Der dritte Teil, in dem es vor allem um die Missbrauchsfälle geht, ist sensibel und zum Glück nicht reißerisch geschrieben. Er bietet Fakten und Zahlen. Er beleuchtet die Perspektive von Opfern, Tätern und Kirche, ohne immer gleich urteilen zu wollen.

Insgesamt ein gutes und wichtiges Buch, das gut lesbar ist und eher journalistisch als wissenschaftlich geschrieben ist.  Hätte ich mir etwas wünschen können, so wären es vielleicht noch etwas mehr Details und Nuancen zur Geschichte der Beichte gewesen.

Leseprobe:
„His (= Pius X) first priority in bolstering priesthood worthy of its ministries was to transform the seminaries. He was convinced that the Church’s internal problems stemmed, in part, from poor initial training. He ordered a monastic-style regime to ensure life-long holiness and dedication. Seminaries were destined to become highly disciplined hothouses shut off from the world and its corruptions and temptations. Seminarians were obliged to wear cassocks and Roman collars at all times, and their vacations at home were severely curtailed, since they might otherwise breathe a secular, less clerical air.“

Gelesen habe ich die Ausgabe von 2014. Eine deutsche Übersetzung gibt es nicht.

Goethe und Frau von Stein: Geschichte einer Liebe. Helmut Koopmann


Da ich sowieso gedanklich schon auf die Zeit um 1800 eingestellt war, fiel meine Wahl des nächsten Buchs auf „Goethe und Frau von Stein“ von Koopmann, erstmals erschienen 2002 – ein etwas leichterer Stoff, fern von Politik und Feldzügen.

Die große Liebe von Goethe und vielleicht die große Liebe von Charlotte von Stein ist Gegenstand von etwa 1700 Briefen, Billets, Notizen…, die Goethe in mehr als zwölf Jahren an sie schrieb. Die Briefe von Charlotte von Stein sind unzählig, da sie sie am Ende ihrer Liebe von Goethe zurückverlangt und Jahre später dann verbrannt hat. Hinzu kommt dieses Buch mit seinen 260 Seiten.

Das Buch, obwohl von einem Professor der Neueren Deutschen Literatur verfasst, ist nicht wissenschaftlich, sondern essayistisch geschrieben. Bei diesem essayistischen Schreiben scheint Koopmann sich strukturell und sogar sprachlich sehr an Goethe und dessen Briefen zu orientieren. Wie Goethe immer wieder auf unterschiedlichste Weise dasselbe an von Stein schreibt, variiert auch Koopmann immer wieder seine Darstellung derselben Beobachtungen, Analysen und Wahrnehmungen. Das hilft sehr, sich in die Beziehung hinein zu fühlen, zumal Koopmann dies mit Sensibilität tut. Es kann aber – wenn man denn nicht gerade wie Koopmann mitliebt – auch gelegentlich redundant wirken. Wissenschaftlich gesehen läuft Koopmann immer wieder Gefahr, zu vieles, was Goethe in seinen Briefen schreibt, prophetisch für spätere Lebensphasen zu halten, und alles, was Goethe sonst geschrieben und getan hat, vor allem aus seiner Liebesbeziehung zu Charlotte von Stein heraus zu interpretieren. Das Gras wächst mitunter recht laut.

Bei allen kritischen Anmerkungen in Summe ein gelungenes Buch, das man mit Gewinn flott lesen kann.

Als Leseprobe eine Partie zu dieser Zeichnung, die Goethe 1777 von Charlotte von Stein anfertigte:

„Das Entscheidende wird naturgemäß nicht sichtbar: ihre Augen, die es Goethe so sehr angetan haben. Man sieht es der Abgebildeten an, daß sie über dreißig Jahre alt ist, wenngleich es ein eigentümlich altersloses Porträt ist – Jugendlichkeit und Heiterkeit fehlen gänzlich, und von Lebenslust ist ebensowenig eine Spur zu erblicken. (…) Ein etwas verhärmtes Hofdamendasein, was sie dem Bild zufolge geführt haben mag, und sieht man sich dieses Porträt genauer an, versteht man, warum Goethes wildes Wesen sie (…) abstoßen mußte (…) Innere Disziplin und Zurückhaltung prägen dieses Antlitz, und man hat Mühe zu verstehen, warum Goethe sich so leidenschaftlich und so lange in sie verliebt hat.“

The Pursuit of Glory: Europe 1648-1815. Tim Blanning

The Pursuit of Glory by Tim Blanning

Sollte sich jemand wundern, dass ich in der letzten Zeit eher wenige Beiträge geschrieben habe: Dieses Buch ist der Grund mit seinen 677 recht fein bedruckten Seiten, die man erst einmal lesen muss. Habe ich getan. Fazit: Das mit Abstand beste und lesbarste Buch mit dem Anspruch eines Gesamtüberblicks über die Zeit zwischen Westfälischem Frieden und Wiener Kongress, das ich bisher gelesen habe – mit  Abstand.

Aufmerksam geworden bin ich durch eine neue Biographie über Friedrich den Großen, die ebenfalls Blanning geschrieben hat. Erst war ich skeptisch, da ich ein anderes Buch aus der Serie „The Penguin History of Europe“ – das von Mark Greengrass über die Epoche von 1515 bis 1648 – substanziell, aber ermüdend fand, und diese Art von Türstopper-Buch ja oft nicht die Balance findet zwischen zu oberflächlich und zu detailliert.

Blanning gelingt sie. Das Buch fasziniert und beeindruckt von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist intelligent und durchaus amüsant, gelegentlich auch erfreulich sarkastisch geschrieben. Vor allem aber: Blanning bietet hochkompetent und mit viel Verstand eine sehr umfassende, keinesfalls einseitige Darstellung der Epoche. Dies kann man schon an den Überschriften der Teile des Buchs ablesen. Part One: Life and Death – Part Two: Power – Part Three: Religion an Culture – Part Four: War and Peace. Die zahlreichen Kriege der Epoche werden in nur (aber immerhin) 140 Seiten behandelt, also etwa einem Fünftel des gesamten Umfangs. So hätte ich gerne früher Geschichte gelernt. Und vieles über die Epoche hatte ich ganz anders gelernt, über Preußen, die Habsburger, die Napoleonische Zeit.

Ich empfehle dieses Buch also – wie man unschwer erkannt hat – auf das Wärmste!

Sehr schwierig, eine Leseprobe aus der Fülle zu greifen:
„One final paradox of great importance needs to be stressed. The war which the French revolutionaries unleashed in April 1792 was intended to be the most universal war there had ever been, a war for the liberation of all humanity. (…) By the spring of 1793 the war had ceased to be universal and had become national: as Danton told the National Convention on 13 April, ‚above all things we need to look for French greatness‘. The next stage in this ideological contraction (…): by 1808 the war was being fought for the benefit of one family, the Bonapartes. Yet even that was not the limit of the contraction, for by 1810 Napoleon was concluding that his siblings were not sufficiently obedient and was clawing back what little independence they enjoyed. (…) The war had become a war for one man.“

Gelesen habe ich die englisch-sprachige Taschenbuchausgabe von 2008. Eine deutsche Übersetzung gibt es (noch?) nicht.