The Solitary Summer. Elizabeth von Arnim

So kalt und nass und biestig war das Wetter in den letzten Wochen, dass ich durch geschickte Auswahl meines Lesestoffes auf wärmere und positivere Gedanken kommen wollte. Und um auf Nummer Sicher zu gehen, habe ich ein „Buch für trübe Tage“ wieder vorgenommen, dass ich schon zweimal gelesen habe. Da konnte dann nichts schief gehen.

The Solitary Summer – in deutscher Übersetzung wahlweise „Ein Sommer im Garten“, „Sommer ohne Gäste“ oder „Einsamer Sommer“ – ist der zweite, 1899 erschienene Roman von Elizabeth von Arnim, die Mary Ann Beauchamp hieß, bevor sie Henning August von Arnim-Schlagenthin heiratete und anonym ihren ersten Roman mit dem Titel „Elizabeth and Her German Garden“ veröffentlichte. Beides, das „von Arnim“ und „Elizabeth“, blieben haften.

Elizabeth von Arnim ist ein Phänomen: Sie schreibt Unterhaltungsliteratur mit viel Tiefe und nachdenkliche Bücher wie Unterhaltungsliteratur; sie schreibt heitere Bücher mit viel Traurigkeit und umgekehrt traurige Bücher mit viel Heiterkeit. Passend zu ihrem Leben, in dem sehr vieles nicht glatt lief und für das das Motto „Trotzdem“ gut gepasst hätte. Dies, kombiniert mit einem Schreibstil wie ein gelungenes Soufflé, macht ihre Bücher zu einem echten Gewinn.

Das Motto des Romans nimmt von Arnim von Montaigne: „Nature nous a estrenez d‘ une large faculté à nous entretenir à part; et nous y appelle souvent, pour nous apprendre que nous nous debvons en partie à la societé, mais en la meilleure partie à nous.“

Etwas zu Rosamunde Pilcherig oder Hedwig Courths-Mahlerisch der deutsche Klappentext, jedoch auch nicht komplett unangemessen: „Fernab von Störenfrieden und Eindringlingen, ohne Ehemann und Kinder, ohne Gäste und Verpflichtungen, jeden Tag nur für sich die Schönheiten des Gartens und die Wunder der Natur genießen – und dabei die üppige, feuchte Erde umgraben, Rabatten anlegen, Blumen pflanzen, gießen, rechen, jäten und mähen. Wie herrlich erscheint Elizabeth diese Vorstellung! Doch Hindernisse sind selbstredend vorprogrammiert: Nicht nur steht ihr der hauseigene Gärtner im Weg – für die gnädige Dame schickt es sich nun einmal gar nicht, den Garten selbst zu bestellen –, bald schon ist es auch mit der ersehnten Ruhe dahin, die sie wenn schon untätig, dann möglichst ungestört genießen wollte …“

Als Leseprobe das Programm für den Sommer vom Anfang des Buchs:
„Last night after dinner, when we were in the garden, I said, ‚I want to be alone for a whole summer, and get to the very dregs of life. I want to be as idle as I can, so that my soul may have time to grow. Nobody shall be invited to stay with me, and if any one calls they will be told that I am out, or away, or sick. I shall spend the months in the garden, and on the plain, and in the forests.'“

Gelesen habe ich die sehr schön illustrierte englisch-sprachige Ausgabe von Macmillan aus dem Jahr 1929. Wie geschrieben, deutsche Übersetzungen gibt es auch – aber dennoch lieber in Englisch. Schul-Englisch reicht! Gut für alle trüberen Tage – hinterher geht es einem garantiert besser!

Auch empfehlenswert die Biographie von Karen Usborne.

Library: An Unquiet History. Matthew Battles

Viele interessante Geschichten und Anekdoten zur Geschichte der Bibliothek und Bedeutung von Büchern, die ich noch nicht kannte – auch durchaus interessant und unterhaltsam geschrieben – dennoch kein enthusiastisches „Das Buch sollte man gelesen haben“.

Zunächst die guten Seiten:
Gleich als Leseprobe eine Partie zu den Büchern, die mittelalterliche Bibliotheken in Europa im Fundus hatten:
„Augustine’s works make up the bulk of the typical medieval library – after the Bible, of course. (…) The preponderance of Augustine’s books (…) strikes the modern reader as fairly preposterous: (…) observes that ‚the library of Lorsch in the tenth century had 98 volumes of Augustine out of a total of 590 (…), and the monastery of St. Maurice at Naumburg at the same period had 98 manuscipts of Augustine out of 184 in the Library.'“

Andere Beispiele faszinierendern Geschichten: Die Bedeutung von Robert Bentley oder auch Melvil Dewey für die Entwicklung der Rolle von Bibliothek und Bibliothekar; die Zerstörung der Bibliothek von Löwen durch die deutsche Armee im ersten und zweiten Weltkrieg; eine Blütezeit der Universitäten während der muslimischen Umayyaden und Abbasiden. Hierzu auch ein kurzes Zitat:
„According to the historian Ibn al-Abar, the catalog of al-Hakim’s library (Anmerkung: in Cordoba) ran to forty-four volumes, and the books themselves numbered between 400,000 and 600,000 – two or three books for every house in the city, and a stunning achievement at a time when even the largest European libraries numbered in the mere hundreds of volumes.“

Und auf der kritischen Seite?

Vielleicht bin ich nicht enthusiastisch, weil manche Geschichte zu lang erzählt wird, wie zum Beispiel die über den „Kampf der Bücher“ bei Jonathan Swift/William Temple. Oder es hat damit zu tun, dass – wie in vielen anderen amerikanischen Büchern – quasi ausschließlich amerikanische Wissenschaftler der heutigen Zeit zu Wort kommen. Oder Battles bleibt zu stark im Anekdotischen zu Lasten der großen Linien und Entwicklungen.

Dennoch, ein guter Schmöker für zwischendurch ist das Buch allemal, auch als Ergänzung zum an anderer Stelle empfohlenen Buch über die Architektur von Bibliotheken. Und Battles ist selbst auch nicht der Meinung, durch dieses Buch für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen werden zu müssen, wenn er es in die „Z class“ einsortiert, „which holds the following: ‚Books (General). Writing.P aleography. Book industries and trade. Libraries. Bibliography.'“ Und weiter: „The Z class and its neighbors are among those least frequently visited by readers, and the sound of my footfalls on the marble is joined only by the nearly subliminal buzz of the lighting above.“

Gelesen habe ich die Taschenbuchausgabe von 2004. Eine deutsche Übersetzung gibt es nicht.

Frederick the Great: King of Prussia. Tim Blanning

Friedrich der Große: Ein gelungenes Buch, diese neue Biographie von Tim Blanning, rundum gelungen. Und dieses Lob gehört vollständig dem Autoren, denn das Objekt des Schreibens, den umstrittenen Preußenkönig, haben schon viele andere gewählt und sind damit oft auf tiefer liegenden Stufen des Gelingens oder auf ganz woanders hin führenden Treppen gelandet.

Blanning ist Historiker aus Cambridge, mittlerweile im Teilruhestand, mit dem verdienten Ruf, exzellente Bücher zu schreiben, die neue Perspektiven schaffen. Sehr positiv rezensiert („history writing at its glorious best„, The New York Times) wurde beispielsweise auch „The Pursuit of Glory: Europe 1648-1815“. 2002 erhielt er einen Preis für „the best book in any language  on early modern Europe“. Er hat ein offensichtliches Talent, gut lesbar, spannend, auf hohem intellektuellen Niveau und obendrein amüsant zu schreiben. Darüber hinaus äußert er sich ebenso profund wie ungeschwätzig über Politik wie Militärstrategie, Musik, Literatur, Kultur im breitesten Sinne. Und dies zu können, ist gerade bei Friedrich dem Großen eine entscheidende Voraussetzung.

Beeindruckt hat mich zum Beispiel die Beschreibung der „Rehabilitierung“ Friedrichs nach dem für ihn befreienden Tod seines Vaters. Blannings nennt drei wesentliche Elemente:

  • „Firstly, he deployed the very considerable financial assets inherited from his father to create for himself a comfortable, not to say luxurious, material environment.“ Hierzu gehören der Bau der Oper, die Vergrößerung zweier Paläste, die Anschaffung von Büchern, Bildern, Porzellan…
  • „Secondly, he gathered around him a French-speaking intelligentsia to provide him with intellectual stimulation and to serve as an audience for his wit, philosophical disquisitions, literary creations and musical performances.“
  • Und zuletzt „the third route to repairing the damage inflicted by his father: to do what the latter desired most, but to do it better. (…) It meant the assertion of the rights of the Hohenzollern family against the rival Wettins of Saxony, Wittelsbachs of Bavaria or Habsburgs of Austria, and the elevation of Prussia to great-power status.“

Angenehm ist beim Lesen, dass sich Kapitel über Politik, Kultur, Krieg und Charakter immer wieder abwechseln und wechselseitig beleuchten. Dies verstärkt den Eindruck von Vielschichtigkeit oder Dreidimensionalität. Zugleich vermeidet es Ermüdung.

Eine Leseprobe zur politischen Situation nach dem zweiten Schlesischen Krieg:
„His seizure of Silesia in 1740, and successful defence of his booty in the five years that followed, had alarmed every other major European power.What had been most disturbing? The brutal aggression of the original invasion? The astounding feats of the Prussian army? The speed of decision and execution? The devious diplomacy? The repeated abandoning of allies? The reputation for cynicism and godlessness? Into the staid, slow-moving world of great-power diplomacy (…) there had barged a disruptive intruder, a parvenu upstart with boundless presumption. Louis XV may have thought that the invasion of Silesia was the act of a lunatic, but Frederick had shown that when madness succeeds, it has to be renamed audacity.“

Gelesen habe ich die englischsprachige Erstausgabe von 2015.  Eine deutsche Übersetzung ist noch nicht angekündigt

The Moth Catcher. Ann Cleeves

Eine für mich neue Krimi-Autorin wollte ich testen: Ann Cleeves. Sehr bekannt in England unter anderem wegen vieler Verfilmungen ihrer Romane. Durch viele Übersetzungen auch dem deutschen Publikum kein unbeschriebenes Blatt. Insgesamt in 20 Sprachen übersetzt. Krimi-Vielschreiberin seit Mitte der 80er Jahre.

Gekauft habe ich „The Moth Catcher“, den neuesten ihrer Krimis, erschienen im Herbst 2015 (und noch nicht übersetzt), Teil ihrer beliebten Vera-Stanhope-Serie.

Ich habe also entdecker-freudig und ziemlich aufgeräumt mit dem Lesen begonnen. Auch war das Wetter mit Sturm und Nebel und Dunkelheit bestens geeignet für das Lesen mörderischer Krimis. Knarrende Dielen, flackerndes Kerzenlicht. Ich zwischen weichen Kissen und unter warmen Decken mit leckeren Getränken neben mir. Nur die Eulen waren verdächtig still, was mir eine Warnung hätte sein können.
Gestern Abend ist es dann passiert: Ich beschloß, das Experiment zu beenden. Ging nicht mehr. Gehöre wohl nicht zur Zielgruppe von Cleeves. Kommt nicht auf die Liste unserer bevorzugten Krimi-Autoren. Schade.

Warum? Für mich ist die Sprache zu platt und der Stil zu schlecht von Ruth Rendell oder Peter Lovesey kopiert, sind die Charaktere zu durchsichtig auf Effekt konstruiert, ist das Ganze zu stringent in die Kategorie „Wieder ein Bestseller“ hineingeschrieben. Und für einen Krimi vielleicht nicht unwesentlich: Nach deutlich über 100 gelesenen Seiten kam für mich nicht der Hauch von Spannung auf – trotz wie gesagt besten Krimiwetters draußen. Passt aber auch: Schließlich ist Cleeves auch Programming Chair des Theakston’s Old Peculier Crime Novel of the Year Award – und dessen ausgezeichnete Autoren schätze ich eher nicht…

Um ein Beispiel zu geben für das, was ich meine:
„‚Can I get you something to drink, Inspector?‘ ‚I’m on duty.‘ She wondered why she couldn’t be more gracious, why she found the man so intensely irritating. He gave a little laugh. ‚I wasn’t thinking of alcohol. It’s not wine o’clock, even in the Lucas household. And we had a bit of a session here last night. But I could do you a coffee.‘ ‚Thank you,‘ she said. ‚That would be lovely.‘ The man shouted up the polished wooden stairs that twisted from a corner of the room. ‚Lorraine, we’ve got a guest. Are you ready for a break?‘ There was a muffled reply. ‚My wife,‘ he said. ‚She took up watercolours again when we retired, and she’s ever so good (…)'“

Vielleicht wäre das Buch besser geworden auf den verbliebenen 300 Seiten, und ich tue ihm und der Autorin unrecht. Aber ich war verstimmt und verdrossen – und bin zu einem anderen Buch gewechselt!

Old Filth. Jane Gardam

Ein erfreuliches Buch: intelligent, gut geschrieben, präzise, lebensklug, wort-sparsam, leise-humorvoll.  Seit längerer Zeit das erste Mal, dass ich die positiven Zitate aus Rezensionen in englischen Zeitungen, die im Buch mit abgedruckt sind, nicht nur Marketing-Sprech, sondern passend und zutreffend finde. Inhalt: Die Lebensrückschau eines alt gewordenen Richters von seiner Geburt bis zu seinem Lebensende; von Malaysia über Wales und England nach Hongkong und Singapur, zurück nach England und wieder nach Singapur. Auch eine Liebesgeschichte, vielleicht ein wenig auch ein Krimi, jedenfalls ein Buch über das Leben und was es mit einem macht.

Es ist gar nicht so einfach, eine gute Leseprobe zu finden. Alle zu kurz und zu wenig typisch.
„Amazed, as she never ceased to be, about how such a multitude of ideas and images exist alongside one another and how the brain can cope with them, layered like filo pastry in the mind, invisible as data behind the screen, Betty was again in Orange Tree Road, standing with (…) old friends in the warm rain, and all around the leaves falling like painted raindrops. (…) The sense of being part of elastic life, unhurried, timeless, controlled. And in love. (…) Betty’s eyes filled with tears, misting her glasses. Time gone. (…) Trowel in hand, a bit tottery, she turned to look up the garden at Filth.“

Old Filth ist wieder eine Neuerscheinung, die es schon länger gibt. Erschienen in England im Jahr 2004 gibt es das Buch seit August 2015 unter dem piefigen Titel „Ein untadeliger Mann“ auch in deutsch. Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch eine Rezension in der „Zeit„, in der auch erklärt wird, dass Filth für „failed in London, try Hongkong“ steht. Und dass es sich um den ersten Band einer Trilogie handelt. Und dass man auf die nächsten Bände noch warten müsse. Dem sei hinzugefügt: In englischer Sprache zum Glück nicht.

 

 

 

Dafydd ap Gwilym: A Selection of Poems. Hrsg. von Rachel Bromwich

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Um den Eindruck zu vermeiden, eventuell zu stark auf englische oder zumindest englisch-sprachige Literatur oder gar auf eine Art „Mainstream“ ausgerichtet zu sein, heute ein Beitrag zu einem der vielleicht besten walisischen Dichter: Dafydd ap Gwilym, der im 14. Jahrhundert gelebt hat.

Immer wieder neu aufgelegt wird ein Buch, das zuerst 1982 erschienen ist und dessen immerhin 3. Auflage von 2003 ich gelesen habe. „Immerhin“, denn das Buch macht auf seinen rechten Seiten für die meisten Leser einen eher sperrigen, deutlich konsonantigen, man möchte fast sagen: abschreckenden Eindruck – auf dieser Seite steht jeweils das walisisch-sprachige Original.

Warum erfreut sich Dafydd ap Gwilym also offensichtlich einer wahrnehmbaren Popularität? Und ist seine Lyrik auch etwas für Nicht-Waliser?

Dafydd ap Gwilym ist schon besonders:

  • Ungefähr zeitgleich mit Geoffrey Chaucer lebend, hat er fast im Alleingang eine Verbindung geschaffen zwischen der walisischen bardischen Tradition des frühen Mittelalters und der Troubadour- und Minnelyrik insbesondere des französischsprachigen Raums, die auch dank der Normannen in England und Wales eine Rolle gespielt hat.
  • Außer dieser innovativen Weiterentwicklung hat er – auch wieder quasi im Alleingang – die eigene Person deutlich stärker ins Zentrum seiner Gedichte gerückt als in der walisischen Tradition üblich. Dies macht seine Gedichte recht zugänglich.
  • Ein Innovator ist er auch, da er die walisische Sprache um zahlreiche Worte – auch um Lehnworte vom Kontinent – erweitert hat, die er als Neuschöpfung in seinen Gedichten verwendet.
  • Vor allem aber ist er herausragend aufgrund seiner poetischen Meisterschaft. Die Anforderungen der walisischen Poetik zur Form von Strophe und Vers, Silbenzahl, Reimformen, Alliterationen, anderen Lautharmonien sind so vielfältig, dass es fast ein Wunder ist, hierbei auch noch inhaltlich zu glänzen. Und dies tut Dafydd ap Gwilym.

Für all diejenigen, die mit Walisisch nichts anfangen können, geht aber leider viel verloren. Denn gerade walisische Dichtung beeindruckt (und soll beeindrucken) viel stärker durch ihre akustische Wirkung als durch die Inhalte. Und die akustische Ästhetik lässt sich auch vom besten Übersetzer nicht einmal ansatzweise nachschaffen.

Bromwich als Übersetzerin und Herausgeberin dieses Buchs tut viel, um die Lücke zum Walisischen zu überbrücken. Ihre Einleitung bringt einem den Dichter, die walisische Bardentradition und auch die poetischen Anforderungen näher. Die Anmerkungen zu den Gedichten sind umfassend und erleichtern das Verständnis. Schade vielleicht, dass die Übersetzungen doch eher auf den inhaltlichen Sinn fokussieren, als dass sie hohe poetische Anforderungen erfüllen wollen. Persönlich wäre mir eine andere Balance lieber gewesen.

Das Buch ist sicherlich nichts für jeden Leser. Aber für alle, die sich mit mittelalterlicher Lyrik befassen, ist es ein Gewinn. Und für Freunde keltische oder speziell walisischer  Literatur und Kultur sowieso.

Als Leseprobe der Auszug eines der bekanntesten Gedichte von Dafydd ap Gwilym, in dem er Naturdichtung – über den Wind – mit Liebesdichtung – der Wind als Liebesbote an seine Geliebte Morfudd – miteinander verbindet:

„Yr wybrwynt helynt hylaw
Agwrdd drwst a gerdda draw,
Gŵr eres wyd garw ei sain,
Drud byd heb droed heb adain. „

Bromwich übersetzt:
„Sky wind of impetuous course
who travels yonder with your mighty shout,
you are a strange being, with a blustering voice,
most reckless in the world, though without foot or wing.“

Eine etwas poetischere Übersetzung des Gedichts von Gwyneth Lewis, durchaus dichter hinsichtlich der Klangeffekte am Original,  findet sich hier auf der Website der Poetry Foundation.

Und wer es genau wissen will, kann sich auch den walisischen Originalton anhören (man muss dann noch Gedicht 47 „Y Gwynt“ aussuchen und anschließend auf Audio klicken), da das Welsh Department der University of Swansea eine ganze Website den Gedichten von Dafydd ap Gwilym gewidmet hat.

Occidentalism: The West in the Eyes of Its Enemies. Ian Buruma und Avishai Margalit

Schon im Jahr 2004 erschienen, ist dieses Buch über den sogenannten Okzidentalismus von Buruma und Margalit vor dem Hintergrund von islamistischem Terror, Selbstmordattentätern, populistischen/reaktionären Regierungen in Teilen Europas …. fortgesetzt und zunehmend relevant. Aber nicht nur die Aktualität des Themas, sondern auch die Qualität machen dieses Buch sehr empfehlenswert.

Der Begriff „Okzidentalismus“ ist – anders als Orientalismus – nicht etabliert und sprachlich leider auch nicht glücklich gewählt. Die Autoren definieren ihn so: „The dehumanizing picture of the West painted by ist enemies is what we have called Occidentalism.“  Eigentlich müsste man also wohl von „Anti-Okzidentalismus“ sprechen. Ziel der Autoren ist es, die Vorurteilscluster des Okzidentalismus herauszuarbeiten und seine historischen Wurzeln nachzuzeichnen. Der „Westen“ ist dabei definiert als die liberalen Demokratien weltweit, also auch zum Beispiel Indonesien und die Philippinen.

Frappierend, wie gut es den Autoren gelingt, deutlich zu machen, dass diese Wurzeln nicht im Islam liegen oder in Regionen weit weg von uns. Sie finden die Wurzeln hier in Europa; von hier wurde er exportiert, aufgegriffen und vielfältig entwickelt.

Ebenfalls frappierend die historischen Beispiele. Nicht nur der heutige Islamismus gehört dazu, sondern auch der Nationalsozialismus in Deutschland; Entwicklungen in Russland fallen in die Kategorie; Personen wie Wagner und Marx zeigen deutliche Symptome.

Das Buch ist nach wesentlichen Gruppierungen von Ideen des Okzidentalismus gegliedert: „The Occidental City“, „Heroes and Merchants“, „Mind of the West“, „Wrath of God“ and „Seeds of Revolution“. Hierbei ist es jeweils sehr hilfreich, dass Personen, die die jeweils relevante Erscheinungsform der okzidentalistischen Ideologie stark geprägt haben – für den Islamismus zum Beispiel Osama bin Laden oder Sayyid Qutb, auch in Originalzitaten zu Wort kommen.

Buruma und Margalit schreiben in erster Linie journalistisch, in zweiter als Historiker und Ideengeschichtler. Das macht ihr Buch sehr gut lesbar und gewährleistet – wenn auch gelegentlich etwas zugespitzt und vereinfachend – Substanz.

Eine Leseprobe aus dem Kapitel über „The Occidental City“:
„By the time the Khmer Rouge had done their work and left Phnom Penh a ghost town (…) more than two million people had been murdered or worked to death. (…) Like the Al Qaeda raid on New York’s twin towers, it was an actual as well as a symbolic revenge. Phnom Penh, to the Khmer Rouge, was evil, inauthentic, capitalist, ethnically mixed, Westernized, degenerate, and compromised by colonialism. City people did not have to be treated with humanity, since they had already lost their souls. (…) by smashing the wicked city, the Khmer Rouge would restore purity and virtue to the ancient land.“

Gelesen habe ich die erste Auflage von 2004. Das Buch erschien 2005 auch in deutscher Übersetzung. Der deutsche Klappentext beschreibt es zutreffend als „Ein provokatives Buch, in bester aufklärerischer Tradition.“

The Other Classical Musics: Fifteen Great Traditions. Hrsg. von Michael Church

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Auf ein solches Buch habe ich lange gewartet: weg vom Fokus klassischer Musik immer nur auf den Westen mit Bach, Bartók, Beethoven und Britten – hin zu einem gleichberechtigtem Blick auf klassische Musik aller Kulturräume!

In seiner wunderbar kompakten und nuancierten Einleitung (wenigstens die sollte man lesen, wenn schon vielleicht nicht das gesamte Buch!) nähert sich Church einer Definition von klassischer Musik: „According to our rule-of-thumb, a classical music will have evolved in a political-economic environment with built-in continuity (…) where a wealthy class of connoisseurs has stimulated ist creation by a quasi priesthood of professionals; it will have enjoyed high social esteem. It will also have had the time and space to develop rules of composition and performance, and to allow the evolution of a canon of works, or forms; indeed, the concept of a canon, validated by a system of music theory, is a defining feature of all classical music.“ 

Das eröffnet ein weites Feld. Und so gibt es Kapitel über die klassische Musik Japans, Chinas, Indiens, Andalusiens, Malis… Die europäische klassische Musik wird in Kapitel 10 behandelt als eine unter den anderen klassischen Musiken. Auch der nordamerikanische Jazz erhält nachvollziehbar den „klassischen“ Status.

Jedes Kapitel beginnt mit einer typischen Situation, einem typischen Setting der jeweiligen klassischen Musik. Das soziale Umfeld und die geschichtliche Entwicklung werden beschrieben; Modi, Tonleitern und musiktheoretische Grundlagen erläutert; Instrumente, Formate und ästhetische Ziele dargestellt. Das Buch ist sehr gut lesbar und verständlich, auch wenn sich die musiktheoretischen Abschnitte trotz bestem Bemühen der Autoren wahrscheinlich nicht jedem Leser (und mir) erschließen.

Das Buch ist augenöffnend, faszinierend, lebendig, vieldimensional. Auch für die Ohren ist etwas dabei, wenn man den CD-Empfehlungen folgt.

Es stimmt aber auch etwas melancholisch: „Today the existential threat to the world’s musics is compared to the threat hanging over ist spoken languages, which are dying out so fast that most of the existing six thousand will have gone by the end of this century. And there is indeed a parallel: a music may not be a language, but it will have a grammar, and like spoken languages (…) it needs ist own eco-system to thrive.“

Gelesen habe ich die Erstauflage von 2015. Angeregt wurde ich von einer Rezension im Economist mit dem Fazit: There is a treasure trove of underappreciated music out there; this book will convince many to explore it.“

Rex Stout. David R. Anderson

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Rex Stout war nicht nur eine vielschichtige, reflektierte und charismatische Persönlichkeit mit einem ereignisreichen Leben, sondern auch ein Autor vor allem sehr guter Krimis auf hohem literarischen Niveau. Deshalb ist es lohnend, nicht nur Bücher von ihm, sondern zum Beispiel auch dieses Buch über ihn und seine Nero Wolfe-Krimi Serie zu lesen.

Anderson gibt in diesem gut lesbaren und überschaubaren Buch (124 Seiten Text in der Ausgabe, die ich gelesen habe) zunächst einmal einen verdichteten Überblick über die Biographie Stouts. Anschließend beschreibt er die Entwicklung der Nero Wolfe-Serie anhand exemplarischer Romane, die er drei Phasen zuordnet: Family Tensions: The Early Novels; The Problem of Politics: The Middle Novels und Crack-Up: The Late Novels. Diese Tour d’Horizon über die Romane wird gefolgt von drei Kapiteln über die wesentlichen Charaktere der Romane: Nero Wolfe: The Incurable Romantic; Archie Goodwin: Pragmatic Picador; The Thirty-Fifth Street Irregulars. Abschließend verdichtet er die Erkenntnisse der vorherigen Kapitel in eine Gesamtwürdigung der Leistung Stouts als Krimi-Schriftsteller.

Die Interpretationen Andersons sind sehr gut nachvollziehbar und immer wieder mit einschlägigen Zitaten hinterlegt. Eindrucksvoll ist, wie er die großen Linien der gesamten Serie, die immerhin über einen Zeitraum von 40 Jahren (1933 – 1975) entstanden ist, herausarbeitet, ohne sich in Details zu verlieren.

Besonders bemerkenswert für mich:

  • Mit Wolfe und Goodwin hat Stout ein Paar von Detektiven geschaffen, die auf ihre jeweilige Art völlig gleichwertig sind (anders als zum Beispiel bei Sherlock Holmes und Dr. Watson oder Hercule Poirot und Arthur Hastings) und dabei zwei der großen Krimi-Traditionen kombiniert, die des „hard-boiled detective“ (hier Archie Goodwin; Beispiele sonst vor allem Hammetts Spade und Chandlers Marlowe) und die des „Great Detective“ (hier Nero Wolfe; Beispiele sonst Poes Dupin, Conan Doyles Sherlock Holmes, Christies Hercule Poirot). Stout setzt diese beiden völlig unterschiedlichen in ein gemeinsames Büro und nutzt literarisch das gesamte Potenzial der resultierenden Interaktionen.
  • Krimis wurden oft von reinen Whodunits in Richtung „höherer“ Formen von Literatur weiterentwickelt. Sie wurden dann zum Beispiel zu psychologischen oder soziologischen Romanen. Anderson argumentiert durchaus überzeugend, dass Stout den Krimi zur „novel of manners“ entwickelt hat – einer Romanform mit Jane Austen als zentraler Vertreterin im englisch-sprachigen Raum. „At first glance the crime novel seems an unlikely candidate for the same genre with Jane Austen. Yet Rex Stout consistently reveals in his novels an interest in character, personal relations, and their underlying issues.“
  • Die  Nero Wolfe-Romane zählen zu den amüsantesten Krimis aufgrund ihrer „lightness of tone“. „This light tone saves the Wolfe novels from the two great pitfalls of crime fiction: sentimentalism and pompoisity. (…) No other writer of crime fiction has controlled tone as successfully and consistently as Rex Stout. His novels are serious but not overbearing, light but not frivolous. Their treatment is realistic, their commentary subtle, their tone balanced.“

Gelesen habe ich die nur antiquarisch verfügbare, bisher einzige Auflage von 1984.

 

 

The Lonely Londoners. Sam Selvon

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Ein weiteres Buch, das ich – inspiriert von den DVDs „In Their Own Words: British Novelists“ – gekauft habe: Ein Roman über westindische Einwanderer nach London in den 50er Jahren.

Von Sam Selvon (1923-1978) hatte ich vorher nichts gelesen und nichts gehört. Damit bin ich anscheinend nicht allein, denn auch zum Beispiel in der deutschen Wikipedia gibt es keinen Eintrag (zum Glück aber in der englischsprachigen). Und in einer Ausgabe des „Oxford Concise Companion to English Literature“ von 1990 taucht weder der Roman noch Selvon selbst auf.

„The Lonely Londoners“ zählt mittlerweile zu den „Modern Classics“. Diesem Anspruch wird der Roman des in Trinidad geborenen Schriftstellers gerecht. Thema sind die Erlebnisse, Gespräche und Gedanken von Menschen aus der britischen Karibik, die in den 50er Jahren nach London ausgewandert sind, rund um den etwas heimweh-kranken und leicht pessimistischen Protagonisten Moses Aloetta. Leicht hatten sie es nicht – nicht nur wegen der gelegentlichen klimatisch-bedingten Nässe und Kälte Englands. Denn obwohl sie als Bürger des Britischen Imperium auch britische Staatsbürger waren, hätten viele weiße Briten diese ihre Mitbürger viel lieber weiter in der Karibik gesehen.

Trotz des schweren Themas und der oft bedrückenden Erlebnisse bei Wohnungs- oder Arbeitssuche („sorry, no vacancy„), die er beschreibt, schreibt Selvon humoristisch und sehr leicht, ohne jemals seicht, platt oder undifferenziert zu werden.

Sehr unmittelbar und authentisch wirkt der Roman, der durchgängig in Dialogen wie im Erzählpart im englischen Dialekt der westindischen Einwanderer geschrieben ist. Dieser Dialekt ist im Übrigen für Leser mit nicht so ausgefeilten Englischkenntnissen sehr gut zu verstehen.

Der Roman macht auch Mut, da sich die westindischen Einwanderer nicht unterkriegen lassen, sondern immer wieder aufstehen und weitermachen. Und weil es irgendwie auch klappt, wenn auch langsam, mit dem Zusammenleben.

Als Leseprobe zwei Passagen:
„When Moses sit down and pay his fare he take out a white handkerchief and blow his nose. The handkerchief turn black and Moses watch it and curse the fog. He wasn’t in a good mood and the fog wasn’t doing anything to help the situation. He had was to get up from a nice warm bed and dress and come out in this nasty weather to go and meet a fellar that he didn’t even know.“

„Things does have a way of fixing themselves, whether you worry or not. If you hustle, it will happen, if you don’t hustle, it will still happen. Everybody living to dead, no matter what they doing while they living, in the end everybody dead.“

Gelesen habe ich eine englischsprachige Ausgabe von 2006. Für  Leser der deutschen Sprache gibt es leider nichts im Angebot…