Andrea Palladio: The architect in his time. Bruce Boucher

Andrea Palladio – so lässt sich argumentieren – ist der einflussreichste Architekt der westlichen Welt. Mit dieser Aussage startet Bruce Boucher sein Buch über einen Menschen, der von 1508 – 1589 gelebt hat, und dessen Werk.

Erstaunlich und erfreulich viele Gebäude von Palladio sind noch im Veneto und in Venedig erhalten. Vielen ging es die meiste Zeit ihres Bestehens sehr gut, da sie immer wertgeschätzt wurden. Hierzu gehören seine Kirchen in Venedig, die Basilica in Vicenza oder auch die sehr berühmte Villa Rotonda. Etliche – wie die Villa Poiana und die Villa Saraceno – haben sehr von seinem 500. Geburtstag vor acht Jahren profitiert, wurden wieder in einen guten Zustand versetzt und sind nun auch der Öffentlichkeit zugänglich. Einige allerdings warten noch auf Geld und Zuwendung und trotzen tapfer Verfall und Erosion.

Palladio hat sehr substanziell gearbeitet: Seinen Beruf hat er richtig gelernt und mit einer Ausbildung zum Steinmetz begonnen. Die Architektur der Antike hat er studiert sowohl in der Literatur durch Vitruv, aber auch vor allem in der Realität durch Aufenthalte vor allem in Rom, Tivoli, Palestrina. Die Werke seiner Zeitgenossen und unmittelbaren Vorgänger hat er besucht. Er hat sich ein exzellentes Netzwerk an Kontakten zu allen, die Rang und Namen im Veneto hatten, aufgebaut und gepflegt. Seine Gebäude sind sehr sorgfältig und haltbar gebaut. Und er hat seine „Quattro libri“ publiziert.

Dann kam auch noch Glück in Gestalt von Inigo Jones dazu, der die Quattro Libri nach England brachte und damit den internationalen Palladianismus startete.

Einige Gebäude sind auf den ersten Blick beeindruckend. Ikonen der Architektur sind sicherlich die schon genannte Villa Rotonda, die Villa Malcontenta oder auch die Villa Cornaro. Andere Gebäude wirken von außen eher spröde, fast spartanisch, ja sogar erschreckend modern – man betrachte nur die Villa Poiana. Aber spätestens, wenn man in seine Räume hineingeht, ist man beeindruckt von den Proportionen, der einfachen Raffiniertheit seiner Konstruktionen, der offenkundigen Bewohnbarkeit selbst von palastartigen Gebäuden.

Bouchers Buch, erschienen in einer aktualisierten und transportablen Version im Jahr 1998, ist eine Bereicherung. Es ist überaus fundiert biographisch, sozialgeschichtlich, historisch wie architekturhistorisch. Die zahlreichen Fotografien sind spezifisch für dieses Buch entstanden. Und er kann schreiben, so dass auch komplexe Sachverhalte nachvollziehbar werden und sich recht flott lesen. Ein Beispiel:
„Palladio’s contact with classical architecture in the 1540s left him dissatisfied with hand-me-down copies, and even with his first publication, L‘Antichità di Roma, he explained his wish to ‘see with my own eyes and measure everything with my own hands.’ (…) Early evidence of this critical stance can be seen in three drawings of capitals and entablatures from Roman triumphal arches (…). All three were copied from earlier sources and show the capital with its entablature moldings rendered in perspective. Obviously the capitals did not please Palladio because in each case he covered the received version with a second piece of paper on which a more accurate capital has been drawn. In other cases, like a beautiful study of three antique bases, the original ink drawing is supplemented by further measurements and sketches made by the architect some years later.”

Für diejenigen, die sich noch auf andere Art mit Palladio beschäftigen wollen, möchte ich noch ein Buch von Witold Rybczynski empfehlen:

Am besten jedoch macht man sich auf ins Veneto, um die Gebäude von Palladio dort zu sehen und zu erfahren. Vielleicht mit dem Buch von Boucher – in Englisch oder in Deutsch – im Handgepäck.

Ich bin eine freie Frau. Francoise Giroud

„Ich bin eine freie Frau“ von Francoise Giroud ist ein autobiografischer Text. Er blieb lange unveröffentlicht. Interessant sind die Agumente dafür.

 

Der Text sei peinlich, seine Qualität sei außerordentlich schlecht, eine Veröffentlichung würde dem Image der Autorin schaden.

Worum geht es? Nach dem ersten Versuch einer Selbsttötung wird die Autorin im letzten Moment gerettet. Im Krankenhaus unternimmt sie einen zweiten Versuch; auch dieser scheitert. Daraufhin beschließt sie, den Umstand, zu leben, zu akzeptieren: „Die Grenzen meiner Freiheit kenne ich. Ich habe sie an dem Tag erfahren, als ich meinem Leben ein Ende setzen wollte, um dem KZ zu entkommen, in das ich mich selbst eingesperrt hatte und aus dem ich nicht mehr herausfand. Das ist mir merkwürdigerweise nicht gelungen, obwohl alles gut organisiert war. Über den eigenen Tod zu bestimmen, über den Zeitpunkt und die Umstände, ist doch der reinste Ausdruck von Freiheit. Er blieb mir verwehrt.“

Wer war Francoise Giroud? Sie lebte von 1916 bis 2003 und war eine der bekanntesten Journalistinnen Frankreichs. Giroud war Chefredakteurin von Elle und gründete das Nachrichten-Magazin L´Express zusammen mit Jean-Jacques Servan-Schreiber. Unter ihren vielen Büchern sind Biografien über Jenny Marx, Cosima Wagner und Alma Mahler.

Warum die Versuche, dem Leben ein Ende zu setzten? Körperliche Arbeitsüberlastung, der Tod der Mutter, ein Unfall des Sohnes und dann die Trennung von ihrem Partner Servan-Schreiber, der eine Ehe mit einer jüngeren Frau anstrebte, um mit dieser eine bürgerlich-akzeptable Familie zu gründen. Wie diese biografischen Eckpunkte zusammenwirkten, Girouds Leben für sie selbst nicht mehr lebenswert erscheinen zu lassen, erzählt das Buch.

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…und ist der Text peinlich? Das Buch ist ein Porträt der Pariser Gesellschaft der sechziger Jahre. In dieser war Giroud eine äußerst bekannte, gut vernetzte Figur. Im Text reflektiert sie ihre Herkunft aus dem bürgerlichen Milieu im Kontrast zu ihren eher linken politischen Einstellungen. Sie thematisiert weiterhin die langjährige Liebes- und Arbeitsbeziehung zu einem Partner, mit welchem sie nicht verheiratet war, und spricht über die Abtreibung des gemeinsamen Kindes – damals gesetzlich verboten. Diese Kombination war der Sprengstoff. Aus meiner Sicht ist „Ich bin eine freie Frau“ ein sehr gut lesbares, kluges Buch, geschrieben in lakonischer Sprache.

„Wenn man unbedingt ein Flugzeug steuern will, ohne sich mit einem Fallschirm zu belasten, muss man das Risiko in Kauf nehmen und darf sich nicht beklagen, wenn man hinausgeschleudert wird und sich das Kreuz bricht. Ich beklage mich nicht. Ich war immer bereit, den Preis für meine Freiheit zu zahlen.“

Einen schönen Beitrag zum Buch hat das Deutschlandradio gesendet. Hier die Informationen…

Hawksmoor. Kerry Downes

Christopher Wren? Kenne ich. St Paul’s in London.
John Vanbrugh? Schon einmal gehört. So Monumentalbauten, oder? Blenheim Palace und so.
James Gibbs? Hat der nicht in Oxford etwas gebaut?
Aber Nicholas Hawksmoor??? Nein, ist mir noch nicht untergekommen.
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Architekturhistoriker hätten wahrscheinlich anders geantwortet, aber auch in diesem Kreis zählt Hawksmoor sicherlich nicht zu den Top-Shots unter den Architekten des britischen Barock. Gelebt hat er von 1661 bis 1736. England verlassen hat er nie. Wren, Vanbrugh, Gibbs? Kennt er, hat er mit gearbeitet.

Drei Umstände haben Hawksmoor um seinen Nachruhm gebracht: Er hat sein Handwerk der Architektur richtig gelernt; und damals waren die Amateur- und Quereinstiegsarchitekten viel besser im Rennen. Er war kein Alpha-Tier und hat den anderen das Rampenlicht gelassen. Nur wenige seiner Komplett-Entwürfe sind gebaut worden und erhalten.

Ikonen englischer Architektur wie Castle Howard, Blenheim Palace, Westminster Abbey, Greenwich Hospital, Radcliffe Camera würden ohne seine Entwürfe, ohne seine Mitarbeit sehr anders aussehen. Das für mich beeindruckendste seiner Werke, Easton Neston, hat man ihm lange Zeit nicht zugeschrieben.

Dabei ist gerade Easton Neston in der Fassadengestaltung und in der Dramaturgie der Raumaufteilung unter den sehr gelungenen Lösungen der Architekturgeschichte sicherlich ganz weit vorne dabei. Einen Eindruck vermittelt ein ausgezeichnetes Porträt dieses Gebäude und seiner Geschichte auf einer DVD von Dan Cruickshanck.

Kerry Downes ist ein ausgewiesener Kenner von Hawksmoor. Er schreibt architekturhistorisch sehr bewandert, gelegentlich vielleicht auch zu kenntnisreich für den Laien. Andererseits schafft er es immer wieder, Dinge sehr prägnant auf den Punkt zu bringen, zum Beispiel zum Unterschied zwischen Hawksmoor und Vanbrugh: „(…) the latter’s Approach to architecture was basically simple whereas Hawksmoor’s may fairly be called basically complex.“
Downes‘ Buch erschien 1969. Dafür ist es gut illustriert. Allerdings würde man ihm die zwischenzeitlich viel besser gewordenen Möglichkeiten heutiger Illustrationen wünschen, um alle Nuancen seiner Analysen und Beobachtungen besser zu verstehen.

Courtesans and Fishcakes. James Davidson

In Courtesans and Fishcakes von James Davidson geht es um Leidenschaft. Um die richtig unwiderstehlich großen: Die Leidenschaften des Genusses. Fokus der Analyse ist das klassische Athen.

Das Buch beginnt mit der Beobachtung, dass die Griechen sehr gerne Fisch aßen. Es behandelt neben der Leidenschaft für Fisch auch die für Wein, für Frauen und junge Männer. Im zweiten Teil werden Körper-Verständnis und Ökonomie, Politik und Gesellschaft, Tyrannei und Revolution diskutiert. Hierbei gibt es wunderbare Kapitel mit Titeln wie „The Fish Missing from Homer“,“The Economy of Looking“, „Eating the Land“ und „Timarchus in Queer Street“.

Kernthese des Autors ist es, dass im klassischen Athen ein zu großer Appetit verdächtig war. Ungezügeltes Verlangen verbraucht Geld; wenn das Geld fort ist, wird der Landbesitz „versilbert“; dann werden Schulden gemacht. Doch der Appetit bleibt unersättlich. Der nächste Schritt des Gierigen besteht darin, als Politiker oder Feldherr den Staat auszunutzen und zu betrügen. In letzter Konsequenz ist der gierige Fischesser und Liebhaber von Jungen ein potenzieller Tyrann.

„It is not an accident that we know more about the pleasures of the flesh in Athens, and more from Athenians of the pleasures of the flesh in other Greek cities. The fact that this exists is a political fact. (…) Descriptions of the Athenian banquet are overwhelmingly concerned with the food and drink that were consumed, the „hired“ flute-girls and kithara-boys (…) the emphasis was always on the food itself and the sex and entertainment that accompanied it, on things that lasted only for the evening´s duration.“

Dabei führt Davidson aus, dass sich antike griechische Moralgebote grundsätzlich von denjenigen aus jüdisch/christlichem Kulturkreis unterscheiden: Setzt der letztgenannte auf klare Gebote und Verbote – du sollst/du sollst nicht -, geht es in der klassichen Antike um das richtige Maß, das Maß-Halten.

Alle Menschen wollen ihrem Verlangen nachgeben, davon ging man ganz selbstverständlich aus. Nur die Intensität des Widerstands kennzeichnet Menschen als standhaft und „moralisch“. Aber die Zügellosigkeit weckte in der „Demokratie“ Athens Erinnerungen und Ängste an ein nur mühsam besiegtes Ungeheuer: die Tyrannei.

Das Buch ist eine sehr interessante, unterhaltsame Zusammenschau von Themen. Wer sich für die Kombination aus Essen, Trinken, Sex und Macht interessiert, wird es bestimmt mit Genuß lesen!

Nur der Einstieg mag vielleicht ein kleine Hürde sein. Hierin geht es um die etymologischen Ableitungen und Verwandschaften zwischen Worten, mit welchen Genüsse des Konsums beschrieben werden. Diese Erläuterungen tragen wesentlich zur Stichhaltigkeit der Argumentation bei, sie sind allerdings für all die Nicht-Altphilologen unter uns nur auf abstaktem Niveau nachvollziehbar.

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Forschungsschwerpunkte von James Davidson sind:

Introduction to Sally. Elizabeth von Arnim

Schon an anderer Stelle habe ich Bücher von Elizabeth von Arnim empfohlen. Eine ideale Autorin für warme Sommertage, wenn das Monumentalwerk zur Geschichte der europäischen Scholastik unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses von Duns Scotus und Johannes Scotus Eriugena nicht das richtige ist.

„Introduction to Sally“, erschienen 1926, ist nicht mein Favorit unter von Arnims Romanen, aber ein gutes und gut lesbares Buch ist es allemal. Und da sollte man sich vom Einband der Erstausgabe nicht abschrecken lassen.

Die Titelheldin ist schön. Und schöne Frauen haben es nicht leicht.
Das hat schon Apuleius in der Antike gewusst und im Märchen von Amor und Psyche thematisiert. 1911, also etwas dichter am Erscheinungsjahr von Sally, hat Max Beerbohm in Zuleika Dobson die tragikomischen Aspekte in seinem einzigen Roman verarbeitet – eine Verbindung, die schon in einem anderem Blog aufgegriffen wurde. Und Shaws Pygmalion ist auch nicht weit weg.

Die Titelheldin ist schön. Und schöne Frauen können es weit bringen.
Dafür gibt es mehr Belege, als dass es nötig wäre, Beispiele zu nennen.

In Kombination ergibt das eine klassische Spannungskurve mit Exposition, Katharsis und Peripetie, vor allem aber mit einem Happy End – rechtzeitig zum Sommerabend, wenn dann der Cocktail neben einem steht. Die „dei ex machinis“ sind dabei ein englischer Duke und seine Tochter; seine „machina“ ein Rolls Royce, ihre ein englischer Zug in der ersten Klasse.

Immer wieder beeindruckend sind die witzig-weisen Formulierungen und Charakterisierungen von Arnims, zum Beispiel:
„Mr. Pinner was a God-fearing man, who was afraid of everything, except respectability. He married Mrs. Pinner when they were both twenty, and by the time they were both thirty if he had had to do it again he wouldn’t have. For Mrs. Pinner had several drabacks. One was, she quarrelled; and Mr. Pinner, who prized peace, was obliged to quarrel too. Another was, she appeared to be unable to have children; and Mr. Pinner, who was fond of children, accordingly couldn’t have them either. And another, which while it lasted was in some ways the worst, was that she was excessively pretty.“

The Colloquy with the Ancients. Übersetzt von Standish Hayes O’Grady

Das Hauptwerk des irischen Finn-Zyklus – ein weiterer Beitrag zu einem obskuren, aber dadurch nicht weniger interessanten Werk der irischen Literatur.

Der Finn-Zyklus ist neben dem Ulster-Zyklus – zu dem die schon besprochene Táin Bó Cúailnge gehört – der zweite Hauptkreis von frühen, im Kern vorchristlichen Sagen Irlands. Im Mittelpunkt steht Finn mac Cumail,  der eine Truppe von mehr oder weniger gesetzlosen Jäger-Kriegern, die Fianna (daher auch der Name einer politischen Partei Irlands, der Fianna Fáil) anführt, eine Art Robin Hood also. Finn hat – wie sich das für eine mythische Person gehört – übermenschliche Kräfte. So verfügt er auch über einen Zahn der Weisheit: Wenn man seinen Daumen daranhält, erschließt sich einem die Wirklichkeit. Um welchen Zahn im Gebiss es sich dabei handelt, ist allerdings – zum Leidwesen aller dontologisch Interessierten – leider nicht überliefert.

Zwei der Hauptbegleiter von Finn sind Oisín und Caílte mac Rónáin. Der erstgenannte mag den einen oder anderen Leser – und zwar völlig zurecht! – an Ossian erinnern, den Helden der Sagen des Nachdichters Macpherson.

So viel zum Drumherum.

Acallam na senórach, „Das Gespräch der alten Männer“, ist erstmalig in Handschriften von um 1200 überliefert. Keine der Handschriften – auch nicht die jüngeren aus dem 13. bis 16. Jahrhundert – macht recht glücklich, da der Text jeweils arg mitgenommen ist. Da muss man sich das Werk im guten Zustand halt vorstellen.

Oisín und Caílte mac Rónáin, die alten Männer des Titels, sind mittlerweile steinalt. Alle anderen Mitglieder der Fianna sind längst verstorben. Dafür ist das Christentum in Gestalt des heiligen Patrick eingetroffen. Womit wir die drei Hauptteilnehmer des titelgebenden Gesprächs beieinander haben.

Interessant ist der Text wegen seiner Struktur aus Rahmenhandlung – das Gespräch zwischen den drei Männern – und eingebetteten Geschichten aus der Blütezeit der Fianna. Interessant auch wegen dieser Geschichten selbst, die zum großen Teil sonst nirgends überliefert sind und auch wieder spätere Werke der irischen Literatur beeinflusst haben (zum Beispiel hat Flann O’Brien für seinen Roman „In Schwimmen-zwei-Vögel“ einen Ortsnamen verwendet, der hier zuerst erwähnt wird – dieses Buch wiederum hat James Joyce beeindruckt).
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Vor allem fasziniert aber, wie in diesem Werk eine vorchristliche, also zutiefst heidnische Vergangenheit in das Christentum eingemeindet wird:

„There they were until the morrow’s morning came, when Patrick robed himself and emerged upon the green; together with his three score priests, three score psalmodists, and holy bishops three score as well, that with him disseminated faith and piety throughout Ireland. Patrick’s two guardian angels came to him now: Aibellan and Solusbrethach, of whom he enquired whether in God’s sight it were convenient for him to be listening to stories of the Fianna.“

Und so wird auch das Aufschreiben unzivilisierten Sagen zur guten christlichen Pflicht gemacht:

„‚Success and benediction!‘ said Patrick: ‚a good story it is that thou hast told us there; and where is Brogan the scribe?‘ Brogan answered: ‚here, holy Cleric.‘ ‚Be that tale written by thee‘; and Brogan performed it on the spot.“
So ähnlich wird jede Geschichte beendet, die von Caílte oder Oisín erzählt wird.

Bemerkenswert ist, wie weit entfernt die Gedankenwelt von unserer heutigen ist. Dies wird besonders frappierend, wenn es um Verwandtschaftsbeziehungen und Ortsnamen geht. Bezeichnungen von Orten waren den Kelten grundsätzlich sehr wichtig:

„Then Patrick set out, and the way that he took was into Feeguile; into Drumcree, which at this time is called ‚Kildare‘; across the sruithlinn in Durrow, and over the Barrow; over tOchar Leighe, i.e. ‘the stone causeway of Cuarneit’s daughter Liagh,’ where Liagh perished; into ‘the old Plain of Dian mac Dilenn’s daughter Roichet, now called ‘Moyrua of Rechet;’ into (….)” und so weiter über viele Zeilen.

Die Übersetzung von Standish Hayes O’Grady (1832-1915) stammt zwar aus dem Jahr 1892, ist aber ein echter Klassiker und vermittelt ein gutes Sprachgefühl des irischen Originals.

Krähengekrächz. Monika Maron

Krähengekrächz, ein Buch über Menschen und Krähen. Und ihre jahrhundertelange Beziehung zueinander.

Krähengekrächz

Haben Sie schon einmal den Krähen zugeschaut? Nachdenklich oder verwundert oder fasziniert? Wenn ja, dann ist dieses Buch von Monika Maron das richtige. Haben Sie sich in der letzten Zeit außerdem dabei ertappt, über den Unterschied oder das Verbindende von Mensch und Tier nachzusinnen? Dann erst recht.

Maron beschreibt in diesem kurzen Text – nur 51 Seiten hat er – wie die Ich-Erzählerin während der Recherchen zu einem Buch buchstäblich auf die Krähe kam. Und nicht mehr davon ablassen konnte.

„Aber erst als ich las, dass die Krähen den Menschen seit Anbeginn begleiten, dass sie seine ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen, seine ersten artikulierten Laute gehört haben, alle seine Kriege erlebt und von seinen Leichenfeldern gelebt haben, dass sie Toten- und Galgenvögel genannt wurden, weil sie überall auftauchten, wo die Menschen ihre Opfer hinterlassen, erst als ich mir das vorstellte, begannen sich die Krähen aus meiner Straße in mein nächsten Buch zu drängen.“

„Krähengekrächz“ kommt so leicht, so leichtflügelig und einfach daher. Dennoch ist es ein weiser Text, in dem viele große Fragen angesprochen werden. Es ist ein Text für einen Nachmittag und ein Buch für viele Jahre.

„Was ist das, was mich nur um die Tiere weinen läßt, da mich Qual und Tod von Menschen doch nicht weniger erschüttern, nur anders, härter, Intellekt und Logik ausgeliefert. (…) Dann weinst du um das Tier in dir, sagte mein Freund Michael, mein zuverlässigster Gesprächspartner, wenn es um Mensch und Tier geht. So wird es wohl sein, da wir mir jedem Tod, den wir betrauern, immer auch den eigenen meinen. Und ich, wenn mein Freund recht hat, beweine dann den Tod meines unschuldigsten und wehrlosesten Teils.“

Monika Maron wurde 1941 geboren. Sie lebte von 1951 bis 1988 in der DDR. Ihr erster Roman „Flugasche“ ist eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen mit Umweltverschmutzung in der DDR. Deshalb durfte er dort nicht erscheinen. Maron hat mehr als zehn Romane sowie andere Werke mit Essays und Erzählungen verfasst. Besonders erfolgreich ist der Roman „Animal triste“ von 1996. Monika Maron erhielt unter anderen Auszeichnungen auch den Kleist-Preis.

Alone of all Her Sex. Marina Warner

„Alone of all Her Sex“ von Marina Warner ist ein umfassendes Buch über die Jungfrau Maria. Es deckt die verschiedenen Aspekte ihrer Verehrung auf und berücksichtigt dabei kirchliche Doktrin ebenso wie die Vorstellungen der Gläubigen. Warner zeigt auf diese Weise die moralischen, sozialen und emotionalen Implikationen der Marienverehrung durch die Jahrhunderte. Entsprechend lautet der Untertitel des Buchs „The Myth and the Cult of the Virgin Mary“.

Wie häufig wird Maria in den vier Evangelien genannt? So gut wie nie. Und sie wird auch nicht immer „Maria“ genannt. Das ist überraschend, geht man von der außerordentlichen Bedeutung Marias aus, die unzählige Bilder und Statuen, Lieder, Gedichte und hochkomplizierte theologische Ausführungen belegen. Welchen Sehnsüchten und Zwecken diente die Figur der Maria?

Maria ist einzig unter den Frauen, denn nur sie hat – so Warner über die christlich-katholische Theologie – ohne Sünde (ohne sexuellen Kontakt) ein Kind empfangen und dieses jungfräulich geboren. Während und nach der Geburt ist sie Jungfrau geblieben: „The unchanged womb of the virgin, that „closed gate“, that „enclosed garden“, which experiencing alteration is yet unaltered, is the mirror image of the unchanged body of the virgin, which experiences death and does not decay. (…) In a precise and literal way, the Virgin embodies the Christian ideals of homogeneity and independence“

Im 5. und 6. Jahrhundert wurde Maria als Mutter des göttlichen Herrschers ein zentrales Symbol der Macht (z.B. S. Apollinare Nuovo in Ravenna oder S. Maria in Trastevere in Rom). Maria als Regina wurde dargestellt mit vertrauten bildlichen Elementen der Herrscherdarstellungen. So wurde sie zu einem religiösen Symbol, das sich nutzen ließ, die (weltliche) Macht der Kirche zu sichern.

Ab dem 14. Jh. explodierte die Literatur, die die Liebe zu Maria thematisierte. In Kathedralen und Bildern wurde sie als die schönste aller Frauen dargestellt. Die Himmelskönigin wurde – so Warner – zum Gegenmittel gegen die irdische Liebe: „She was feminine perfection personified, and no other woman was in her league.“

Die Kapitel des Buchs orientieren sich an den verschiedenen Rollen die Maria zugeschrieben werden:

  • Teil 1 Virgin: Mary in the gospels, Mary in the apocrypha, Virgin birth, Second Eve, Virgins and martyrs
  • Teil 2 Queen: The assumption, Maria Regina,
  • Teil 3 Bride: The Song of Songs, Troubadours, Madonna, Dante, Beatrice and the Virgin Mary
  • Teil 4 Mother:Let it be, The milk of paradise, Mater Dolorosa, The penitent whore, The immaculate conception, The moon and the stars
  • Teil 5 Intercessor: Growth in everything, Icons and relics, Visions, The rosary and war, The hour of our death

Maria erbte die Eigenschaften von alten Wasser-, Mond/Himmels- (Isis und Diana) und Fruchtbarkeitsgöttinen.  Ihre Assoziation mit Wasser und Mond steht für Ewigkeit. Ihre Rolle als die Schutzpatronin von Frauen während der Geburt beinhaltet Elemente aus Fruchtbarkeitskulten. Auf diese Weise wurde Maria symbolisch die ewige Herrin des Wassers und die Schützerin des Lebens.

Ein plastisches Beispiel wie Elemente heidnischer Vorstellungen mit Maria zusammengedacht wurden, ist das Osterei. Die Assoziationskette geht laut Warner so: Über den Wechsel des Mondes ist das Motiv der Schlange mit Menstruation verbunden; laut Orphischer Mysterienkulte aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstand die Welt als die große Göttin in Gestalt einer Schlange sich mit der heiligen Schlange vereinigte;  die Göttin legte daraufhin ein Ei; aus diesem entstand die Welt zurzeit der Tag- und Nachtgleiche des Frühjahrs. Folglich hat die Schlange, welche Maria in vielen Darstellungen zertritt, eine komplexe Symbolik, die deutlich mehr Veränderungen  erfahren hat, als der Mond und die Sterne um Marias Haupt…

Zusammenfassend sieht Warner die Figur der Maria, so wie sie durch kirchliche Doktrin interpretiert wurde, als einen Einflussfaktor, der Frauen in einer gesellschaftlich benachteiligten Position hielt: „The Christian revolutions from earliest times centred on egalitarianism, on the universal application of the Gospel, the welcome offered to all men (…) But in the case of the moral teaching to women, humility, the greatest of the Christian virtues, acquired a different connotation. The two cultures, classical and Judaic, flowed together in the new religion, bearing a heavy burden of long prejudice against women.“

Marina Warner

Marina Warner wurde 1946 in London geboren. Sie wurde in verschiedenen katholischen Schulen erzogen und studierte am Lady Margaret Hall College in Oxford. Unter anderem arbeitete sie für die „Vogue“.

Obwohl „Alone of all Her Sex“ bereits 1976 erschienen ist, stellt es eine systematische, im interdisziplinären Ansatz sehr interessante sowie gut lesbare Zusammenfassung über die Rolle Marias im Christentum dar.

Romantic Irish Homes. Robert O`Byrne

Romantic Irish Homes zeigt Einrichtungsstile in unterschiedlichen historischen Häusern Irlands. Gemeinsam ist allen Häusern, dass sie lange vernachlässigt waren und dann von ihren neuen Besitzern zu Glanz – altem oder ganz neuem – verholfen worden sind.

Nach dem „Union Act“ mit England von 1801 wurde das Parlament in Dublin aufgelöst. Der Aufenthalt der Reichsten und Einflussreichsten während der Tagungszeit des Parlaments wurde somit überflüssig. Ein Grund, warum besonders repräsentative Häuser in Irlands Hauptstadt unattraktiv wurden. So wurden zum Beispiel die Häuser in Henrietta Street – vorher bewohnt von Earls, Viscount, Lords und Bischöfen – zu Mietshäusern. In diesen lebten pro Haus bis zu 300 Menschen. Die Straße wurde zum berüchtigsten Slum Dublins.

Das Buch enthält die Beschreibung der Geschichte von Bau, Verfall und Rettung der Häuser in Henrietta Street. Zu Haus Nr. 7 gibt auch ein Video einen guten Eindruck.

Ein anderer Grund für den Verfall vieler historischer Häuser war die 200 Jahre andauernde Rezession. Auch deshalb fehlte in allen Gegenden Irlands das Geld, repräsentative Gebäude zu erhalten.

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Das Buch enthält viele schöne Fotos, die durch intelligenten, kenntnisreichen Text ergänzt werden. Ausgezeichnet ist die knappe Einleitung. In drei Kapiteln werden die unterschiedlichen Funktionen und Stilmerkmale der Gebäude herausgearbeitet: Farmhouses, Homes for the Gentry und The Big House.

Die Fotos zeigen Außenansichten der Gebäude und unterschiedlichste Wohnräume: Wohn- und Schlafzimmer, Küchen, Bäder und Flure.

Beschreibung: „Quixotic, often whimsical and definitely quirky, they provide a sanctuary from the Irish climate, which is frequently grey, cold and damp. No wonder, therefore, that over the centuries Ireland’s domestic architecture and interior design have developed a distinctive personality in which colour and vivacity are highly prized. Romantic Irish Homes presents 15 of the finest examples of these traits, each one of them distinctive and yet sharing the same native spirit.“

Romantic Irish Homes ist sehr geeignet für Irland-Urlauber, die etwas mehr wissen wollen über die Architekturen, die sie während ihrer Reise sehen; aber auch für Menschen, die sich für Shabby Chic und das Wohnen in historischen Gebäuden interessieren.

Für Menschen mit Leidenschaften für Georgianische Archtektur ist die Geschichte der irischen Georgian Society ergänzende, bereichernde Lektüre: siehe unseren Beitrag

 

The Irish Georgian Society: A celebration. Robert O’Byrne

Um den Trend von Beiträgen zu irischen Themen fortzusetzen, ist heute ein Buch zu einem Verein an der Reihe, der sich 1958 das Ziel gesetzt hat, irische georgianische Architektur zu bewahren und zu pflegen. Zum 50. Jubiläum erschien das Buch „The Irish Georgian Society: A Celebration“.

Die Irish Georgian Society geht auf eine Initiative von Desmond Guinness zurück, einem Erben der Guinness-Dynastie und der Mitford-Familie. Er und seine erste Frau, Mariga Guinness, haben die Society bis heute sehr geprägt.

Das Verhältnis Irlands zu seiner Geschichte war schon immer recht schwierig. Zumindest die Epoche, als auch die heutige Republik Irland eine Kolonie Englands war, wurde und wird oft negativ gesehen oder ignoriert und Irland eine reine Opferrolle zugedacht. Unter anderem deshalb war es über lange Zeit nicht wichtig, beispielsweise Gebäude aus der georgianischen Zeit zu erhalten. Im Gegenteil war es oft sogar explizites Ziel auch von öffentlichen Institutionen, diese Architektur zu beseitigen. Die Verluste seit dem zweiten Weltkrieg sind immens, zum Beispiel in Dublin:
„(…) since 1960 nearly 40 per cent of the city’s Georgian building stock had been destroyed. (…) The oldest part of the city, the Liberties, which was granted a charter by Henry II in 1170, contained so many derelict or demolished buildings that it was used to represent bombed Berlin in the 1965 film ‚The Spy Who Came in from the Cold‘.“

Durch viel ehrenamtlichen Einsatz, Wagemut, gute Verbindungen und auch Geld ist es unter anderem der Irish Georgian Society zu verdanken, dass etliche Gebäude doch noch da sind und irische georgianische Architektur (und die anderer Zeiten) mittlerweile eine passable Wichtigkeit hat. Beispiel sind Henrietta Street (siehe Foto) und Mountjoy Square in Dublin, Castletown, Roundwood, Vernon Mount, Ledwithstown House im Landesinneren.

Das Jubiläumsbuch fällt aus der Reihe ähnlicher Schriften: Es ist nicht selbst-beweihräuchernd, sondern an vielen Stellen voller Humor, voll erfrischender Selbstkritik und gut geschrieben (und illustriert). Es gibt einen guten Einblick in die georgianische Architekturgeschichte, neuere irische Sozialgeschichte und die Herausforderungen, mit denen unmoderne und unpopuläre NGOs zu kämpfen haben können.

Lebendig wird das Buch auch durch zahlreiche Anekdoten. Die Society scheint vielen Leuten oft sehr viel Spaß gemacht zu haben:
„An abiding trait of trips undertaken by the Society and ist members was that they included lunchtime picnics (…). Everyone was meant to contribute something to the meal, usually taken in the shadow of some gaunt ruin and regularly eaten sitting on damp grass in a persistent drizzle. But even in the gloomiest weather conditions, warmth was provided both by the stimulating company and conversation and, just as importantly, by the consumption of alcohol (…). Desmond and Mariga ‚developed the habit of bringing large quantities of vin rosé with them, and of creating a party more or less wherever they went. ‚Vin rosé,‘ said Mariga quite truthfully, ’nourishes the Georgian Society.'“