The Colloquy with the Ancients. Übersetzt von Standish Hayes O’Grady

Das Hauptwerk des irischen Finn-Zyklus – ein weiterer Beitrag zu einem obskuren, aber dadurch nicht weniger interessanten Werk der irischen Literatur.

Der Finn-Zyklus ist neben dem Ulster-Zyklus – zu dem die schon besprochene Táin Bó Cúailnge gehört – der zweite Hauptkreis von frühen, im Kern vorchristlichen Sagen Irlands. Im Mittelpunkt steht Finn mac Cumail,  der eine Truppe von mehr oder weniger gesetzlosen Jäger-Kriegern, die Fianna (daher auch der Name einer politischen Partei Irlands, der Fianna Fáil) anführt, eine Art Robin Hood also. Finn hat – wie sich das für eine mythische Person gehört – übermenschliche Kräfte. So verfügt er auch über einen Zahn der Weisheit: Wenn man seinen Daumen daranhält, erschließt sich einem die Wirklichkeit. Um welchen Zahn im Gebiss es sich dabei handelt, ist allerdings – zum Leidwesen aller dontologisch Interessierten – leider nicht überliefert.

Zwei der Hauptbegleiter von Finn sind Oisín und Caílte mac Rónáin. Der erstgenannte mag den einen oder anderen Leser – und zwar völlig zurecht! – an Ossian erinnern, den Helden der Sagen des Nachdichters Macpherson.

So viel zum Drumherum.

Acallam na senórach, „Das Gespräch der alten Männer“, ist erstmalig in Handschriften von um 1200 überliefert. Keine der Handschriften – auch nicht die jüngeren aus dem 13. bis 16. Jahrhundert – macht recht glücklich, da der Text jeweils arg mitgenommen ist. Da muss man sich das Werk im guten Zustand halt vorstellen.

Oisín und Caílte mac Rónáin, die alten Männer des Titels, sind mittlerweile steinalt. Alle anderen Mitglieder der Fianna sind längst verstorben. Dafür ist das Christentum in Gestalt des heiligen Patrick eingetroffen. Womit wir die drei Hauptteilnehmer des titelgebenden Gesprächs beieinander haben.

Interessant ist der Text wegen seiner Struktur aus Rahmenhandlung – das Gespräch zwischen den drei Männern – und eingebetteten Geschichten aus der Blütezeit der Fianna. Interessant auch wegen dieser Geschichten selbst, die zum großen Teil sonst nirgends überliefert sind und auch wieder spätere Werke der irischen Literatur beeinflusst haben (zum Beispiel hat Flann O’Brien für seinen Roman „In Schwimmen-zwei-Vögel“ einen Ortsnamen verwendet, der hier zuerst erwähnt wird – dieses Buch wiederum hat James Joyce beeindruckt).
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Vor allem fasziniert aber, wie in diesem Werk eine vorchristliche, also zutiefst heidnische Vergangenheit in das Christentum eingemeindet wird:

„There they were until the morrow’s morning came, when Patrick robed himself and emerged upon the green; together with his three score priests, three score psalmodists, and holy bishops three score as well, that with him disseminated faith and piety throughout Ireland. Patrick’s two guardian angels came to him now: Aibellan and Solusbrethach, of whom he enquired whether in God’s sight it were convenient for him to be listening to stories of the Fianna.“

Und so wird auch das Aufschreiben unzivilisierten Sagen zur guten christlichen Pflicht gemacht:

„‚Success and benediction!‘ said Patrick: ‚a good story it is that thou hast told us there; and where is Brogan the scribe?‘ Brogan answered: ‚here, holy Cleric.‘ ‚Be that tale written by thee‘; and Brogan performed it on the spot.“
So ähnlich wird jede Geschichte beendet, die von Caílte oder Oisín erzählt wird.

Bemerkenswert ist, wie weit entfernt die Gedankenwelt von unserer heutigen ist. Dies wird besonders frappierend, wenn es um Verwandtschaftsbeziehungen und Ortsnamen geht. Bezeichnungen von Orten waren den Kelten grundsätzlich sehr wichtig:

„Then Patrick set out, and the way that he took was into Feeguile; into Drumcree, which at this time is called ‚Kildare‘; across the sruithlinn in Durrow, and over the Barrow; over tOchar Leighe, i.e. ‘the stone causeway of Cuarneit’s daughter Liagh,’ where Liagh perished; into ‘the old Plain of Dian mac Dilenn’s daughter Roichet, now called ‘Moyrua of Rechet;’ into (….)” und so weiter über viele Zeilen.

Die Übersetzung von Standish Hayes O’Grady (1832-1915) stammt zwar aus dem Jahr 1892, ist aber ein echter Klassiker und vermittelt ein gutes Sprachgefühl des irischen Originals.

Krähengekrächz. Monika Maron

Krähengekrächz, ein Buch über Menschen und Krähen. Und ihre jahrhundertelange Beziehung zueinander.

Krähengekrächz

Haben Sie schon einmal den Krähen zugeschaut? Nachdenklich oder verwundert oder fasziniert? Wenn ja, dann ist dieses Buch von Monika Maron das richtige. Haben Sie sich in der letzten Zeit außerdem dabei ertappt, über den Unterschied oder das Verbindende von Mensch und Tier nachzusinnen? Dann erst recht.

Maron beschreibt in diesem kurzen Text – nur 51 Seiten hat er – wie die Ich-Erzählerin während der Recherchen zu einem Buch buchstäblich auf die Krähe kam. Und nicht mehr davon ablassen konnte.

„Aber erst als ich las, dass die Krähen den Menschen seit Anbeginn begleiten, dass sie seine ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen, seine ersten artikulierten Laute gehört haben, alle seine Kriege erlebt und von seinen Leichenfeldern gelebt haben, dass sie Toten- und Galgenvögel genannt wurden, weil sie überall auftauchten, wo die Menschen ihre Opfer hinterlassen, erst als ich mir das vorstellte, begannen sich die Krähen aus meiner Straße in mein nächsten Buch zu drängen.“

„Krähengekrächz“ kommt so leicht, so leichtflügelig und einfach daher. Dennoch ist es ein weiser Text, in dem viele große Fragen angesprochen werden. Es ist ein Text für einen Nachmittag und ein Buch für viele Jahre.

„Was ist das, was mich nur um die Tiere weinen läßt, da mich Qual und Tod von Menschen doch nicht weniger erschüttern, nur anders, härter, Intellekt und Logik ausgeliefert. (…) Dann weinst du um das Tier in dir, sagte mein Freund Michael, mein zuverlässigster Gesprächspartner, wenn es um Mensch und Tier geht. So wird es wohl sein, da wir mir jedem Tod, den wir betrauern, immer auch den eigenen meinen. Und ich, wenn mein Freund recht hat, beweine dann den Tod meines unschuldigsten und wehrlosesten Teils.“

Monika Maron wurde 1941 geboren. Sie lebte von 1951 bis 1988 in der DDR. Ihr erster Roman „Flugasche“ ist eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen mit Umweltverschmutzung in der DDR. Deshalb durfte er dort nicht erscheinen. Maron hat mehr als zehn Romane sowie andere Werke mit Essays und Erzählungen verfasst. Besonders erfolgreich ist der Roman „Animal triste“ von 1996. Monika Maron erhielt unter anderen Auszeichnungen auch den Kleist-Preis.

Tongues. Mícheál Ó Siadhail

Seinen frühen Gedichtband „Springnight“ habe ich schon vorher besprochen. Diese Gedichte über Sprache sind auf einem ganz anderen sprachlichen und poetischen Niveau.

Sprache hat für Ó Siadhail eine außerordentlich große Bedeutung: Bevor er Vollzeit-Dichter wurde, hat er als Linguist am Trinity College und am Dublin Institute of Advanced Studies gearbeitet. Er ist extrem polyglott und hat immer gerne in seiner Freizeit neue, gerne auch obskure, Sprachen gelernt. Worte sind für ihn „birds of paradise“.

Vielleicht in der Tradition hellenistischer Lehrgedichte hat er 2010 den Gedichtband „Tongues“ veröffentlicht. In seinem ausgezeichneten Vorwort gibt er einen Einblick in seine Faszination für Sprache. „As a poet I’m utterly intrigued by the rampant imagination of human beings. (…) Languages have infinite ways of looking at one thing. (…) to take an example of an idiom in English, it rains ‚cats and dogs‘ but in French it’s strings (de cordes), in Irish ‚a cobbler’s knives‘ (sceanna gréasaí) and in Welsh ‚old women and sticks‘ (hen wragedd a fyn). There’s just four ways of looking at rain. But of course it’s endless.“

Ungewohnt, aber letztlich überzeugend die Themengruppierungen in diesem Gedichtband: „Wonder“, „Word“, „Grammar“ mit Gedichten unter Titeln wie „Subjunctive“ oder „Pluperfect“, „Under the sign“ mit Gedichten zu japanischen Schriftzeichen, „Adages“ mit Gedichten zu Sprichwörtern in verschiedenen Sprachen und zuletzt „Gratitude“.

Das klingt vielleicht gelehrt und etwas spröde, ist aber: gelehrt, immer wieder sehr berührend, sehr persönlich und weckt die Sensibilität für unsere tagtägliche Sprache mit ihren Bedeutungsnuancen, Absonderlichkeiten und ihrem historischem Gepäck. Es ist schon passend, dass Ó Siadhail erzählt, dass etymologisch „Glamour“ dasselbe Wort ist wie „Grammar“. Und diesen Glanz von Sprachen, dieses Funkeln von Worten, diesen Zauber von Formulierungen bringt er in viele seiner Gedichte.

Es ist lange her, dass ich Gedichte mit soviel Vergnügen gelesen habe.

Zum chinesischen Sprichwort 飲水思源 (yǐn shuǐ sī yuán, If you drink from the stream, remember the spring):
„Hunkering low on a bank
To cup handfuls of water,
Where to begin to thank?

Yellow River of a gene
Received, down-draft
Of words passed between

Generations, slow nurture
Of groves holding earth,
Allowing a scoop and curvature,

A brook’s scrape and groove,
Communities that nourished,
Gradual shapings of love.

Sudden opened floodgate.
Unstoppabe onrush of thanks.
The heart-memory in spate.

This stream takes up everything.
One sweet water.
Drink from a remembered spring.“

Dieser Gedichtband ist auch in Ó Siadhails „Collected Poems“ enthalten.

 

 

The Islander. Tomás O’Crohan

Wieder ein (recht) unbekannter Klassiker, der mir in einem Buchladen in der Nähe von Clonmacnoise in Irland in die Finger gekommen ist: „The Islander“ von Tomás O’Crohan.

In Deutschland ist dieses Buch am bekanntesten durch die Übersetzung, die die Irland-Liebhaber und -Bekanntmacher Annemarie und Heinrich Böll aus der englischen Übersetzung unter dem etwas weinerlich-süsslichen-rudi-schuricke-artigen Titel „Die Boote fahren nicht mehr aus“ erstellt haben.

Übersetzung einer Übersetzung? Das Original ist in irischer Sprache verfasst: An tOileánach, und der Autor schreibt sich eigentlich auch anders: Tomás Ó Criomhthain. Bis 2012 gab es auch nur eine englische Übersetzung aus den 1930er Jahren eines „bereinigten“ Textes, denn das vollständige Original galt als zu bodenständig und zu direkt.

Tomás O’Crohan lebte von 1855 bis 1937 auf Great Blasket Island an der Südwestküste Irlands als Bauer und Fischer, war verheiratet und hatte zehn Kinder, von denen die meisten früh starben.
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Great Blasket Island ist seit 1953 unbewohnt, und hatte auch kaum mehr als 150 Bewohner in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dennoch stammen immerhin drei Schriftsteller von dort: Tomás O’Crohan, Maurice O’Sullivan und Peig Sayers.

Das Buch von O’Crohan beschreibt in einer Art von autobiographischer Materialsammlung sein Leben auf der Insel – ungeschminkt, mit einer sehr klaren und einfachen, im irischen Original durchaus auch poetischen Sprache. „Einfach“ heißt in diesem Zusammenhang ganz eindeutig nicht „platt“, sondern dreidimensional und reflektiert, ohne Hochglanz, ohne Fassadenblenderei, sehr selbstbewußt, sehr eigenständig, bei aller Ferne des Erzählten von einer sehr unmittelbaren Nähe und Greifbarkeit. Sein Stil wurde beschrieben als „vivid, absorbing and delightful, full of incident and balance, fine observation and good sense, elegance and restraint“. Oder von jemand anderem: „It is a voice without buckles, without posies, without flowers, without fancies. It is a voice that cuts through all the crap (…).“

Das Buch beschreibt widrige Umstände. Es zeigt Würde, Heiterkeit, Spaß am Erleben und Erzählen, Durchhaltevermögen, Zusammenhalt und Streit, nicht zuletzt auch den Wert von Bildung: „My mother was carrying the turf so that she could send me to school when I was eight years of age.“ Das Buch befasst sich mit der Existenz des Menschen an sich.

Am häufigsten zitiert ein Satz aus dem letzten Kapitel:
„I wrote in detail about a lot of all our goings-on so that there’d be some recollection somewhere about them, and I have tried to describe the character of the people who were around me so that there might be an account of them after we’re gone, because our likes will never be here again.“

Ein Beispiel für die bodenständige Poesie O’Crohans:
„(…) some of us had a passion for the seas and the ocean, imbued with the sound of the wind that blew in from the seashore, beating in our ears every morning, clearing our brains and the dust from our skulls.“

Gelesen habe ich die englische Übersetzung von Garry Bannister und David Sowby von 2012 – die ich sehr empfehle inklusive der Einleitung.

Springnight. Mícheál Ó Siadhail

Irische Schriftsteller erfreuen sich großer Beliebtheit; sogar manch irischer Dichter ist bekannt und erreicht recht erstaunliche Verkaufszahlen.  In Deutschland noch (fast) nicht im Licht der Aufmerksamkeit ist Mícheál Ó Siadhail, Jahrgang 1947, trotz mittlerweile zahlreicher Veröffentlichungen, zahlreicher Preise und sogar einer deutschen Übersetzung.

 

Ó Siadhail schreibt sowohl in englischer als auch in irischer Sprache. Neben seiner Dichterei hat er auch eines der besten Lehrbücher der irischen Sprache verfasst und genießt generell den Ruf eines ausgezeichneten Linguisten in akademischen Kreisen.

Seine Gedichte sind oft nicht einfach zu lesen und haben meistens mehrere ineinander verschränkte Bedeutungsebenen. Es lohnt sich, sie mehrfach zu lesen, besonders nach einer dazwischen geschobenen Phase des Darüber-Nachdenkens. Ó Siadhail scheint keine einfache gestrickte Person zu sein, und er versucht es seinen Leser nicht zu leicht zu machen: platt ist anders. Die Vielschichtigkeit vielleicht gut zu erkennen auf diesem Bild:

Sehr passend der Klappentext zu seinen „Collected Poems“ von 2013: „Micheal O’Siadhail knows desire, love, trust and wonder, while at the same time facing suffering, tragedy and loss. His life has always been a yearning for meaning, and these four decades of poems work both head and heart towards a ripe wisdom. They are not only richly personal – marriage, friendship, vocation, grief – but also engage with what matters in culture and society – music, language, city life and the dynamics of history. His deep roots are Irish but O’Siadhail’s scope is global. This is life lived to the full with jazz-like leaps and let-go where classical forms and variations make for playful freedom and innovation.“

Eines seiner sehr gut lesbaren Gedichte – „A note with flowers“ – für einen Eindruck:
„Another day stirs in me
Marred by the recollection
Of yesterday’s mean-mindedness.

Acquit me of malice. A flaw
In the make-up, a splitsecond
Throw-back to juvenility

Prevailed. Gallant flowers
Must chance a rebuff –
Bowing, ask for pardon:

The I acknowledges the thou.
Self-forgetting, the flowers submit –
Each inch now a mile;

Word too contentious, only
Mute repentance can redeem
Our intimacy. So let

This bunch, final resource
Of one contrite male,
Make silent amendment.“

Springnight, seine erste Gedichtsammlung in englischer Sprache, erschien 1983. In deutscher Sprache erschienen ist „Aus heiterem Himmel“ im Jahr 2001.

 

Kai Lung’s golden hours. Ernest Bramah

Für mich die Entdeckung des Monats: Ernest Bramah,

von dem ich vorher noch nichts, aber auch noch gar nichts gehört hatte. Damit war ich jedoch gar nicht schlecht unterwegs und immerhin auf dem Stand des Concise Oxford Companion to English Literature: Kein Eintrag!

Vielleicht liegt diese offensichtliche Heimlichtuerei daran, dass Bramah unter anderem berühmt war für seine Detektivgeschichten um einen blinden Spion, Max Carrados, die damals in einem Atemzug mit Arthur Conan Doyle genannt wurden.

Jorge Luis Borges war da kritischer, aber gleich mit einem guten konstruktiven Tipp: „Bramah’s books fall into two very unequal categories. Some, fortunately the smaller part, record the adventures of the blind detective, Max Carrados. These are competent, mediocre books. The rest are parodic in nature: they pass themselves off as translations from the Chinese, and their boundless perfection achieved the unconditional praise of Hilaire Belloc in 1922.“
Deshalb habe ich keinen Thriller gelesen, sondern „Kai Lung’s Golden Hours“, den zweiten Roman der Kai Lung-Serie.

Kai Lung ist ein wandernder Geschichtenerzähler im China der Kaiserzeit. Der Aufbau des Buchs erinnert an 1001 Nacht oder auch an das Decameron mit dem typischen Wechsel aus Rahmenhandlung und eingebetteten Geschichten. Besonders und außergewöhnlich ist der Roman wegen seiner Sprache. Vielleicht inspiriert durch chinesische Bekannte in England hat er ein völlig überzeugendes Mandarin-Englisch entwickelt, das anschließend durchaus stilprägend war für literarische oder filmische Darstellungen von Chinesen. Ein Beispiel über eine finstere Gestalt mit Mafia-Ambitionen namens Ho:
„(…) Ho was already known in every quarter (…). This distressingly active person made no secret of his methods and intentions; for, upon his arrival, he plainly announced that his object was to make the foundations of benevolence vibrate like the strings of a many-toned lute, and he compared his general progress through the haunts of the charitably-disposed to the passage of a highly-charged firework through an assembly of meditative turtles. (…) ‚Honourable salutations,‘ he would say, ‚but do not entreat this illiterate person to enter the inner room, for he cannot tarry to discuss the movements of the planets or the sublime Emperor’s health. Behold, for half-a-tael of silver you may purchase immunity from his discreditable persistence for seven days (…).'“

Das liest sich schon ein wenig gestelzt. Dennoch ist der Roman literarisch tatsächlich gelungen, spannend, unterhaltsam und sehr gut geeignet, ihn an einem warmen Sommertag im Garten zu lesen. Für zitierfähige Aphorismen ist er dabei kaum zu übertreffen, zum Beispiel: „There are few situations in life that cannot be honourably settled, and without loss of time, either by suicide, a bag of gold, or by thrusting a despised antagonist over the edge of a precipice upon a dark night.“ Oder: „He who has failed three times sets up as an instructor.“ 

In England fand man die Kai Lung-Romane auch gelungen, so dass ich die immerhin 6. Auflage von 1928 lesen konnte. Und immer noch in Druck – trotz Missachtung aus Oxford.

Táin Bó Cúailnge from the Book of Leinster. Herausgegeben von Cecile O’Rahilly

Frühe irische Literatur ist wahrscheinlich auf der Popularitätsliste in Deutschland auf keinem Spitzenplatz zu finden. Das macht sie aber nicht unbedeutend, geht sie doch auf sehr alte mündliche Überlieferungen zurück und ist die erste europäische Literatur in Landessprache seit dem römischen Reich.
In dieser frühen irischen Literatur wiederum steht „Táin Bó Cúalnge“, auf deutsch „Der Rinderraub von Cooley“, ganz weit vorn.

Worum geht’s?
Der Klappentext fasst den Inhalt recht gut zusammen: „The Táin Bó Cuailnge, centre-piece of the eighth-century Ulster cycle of heroic tales, is Ireland’s greatest epic. It tells the story of a great cattle-raid, the invasion of Ulster by the armies of Medb and Ailill, queen and king of Connacht, and their allies, seeking to carry off the great Brown Bull of Cuailnge. The hero of the tale is Cuchulainn, the Hound of Ulster, who resists the invaders single-handed while Ulster’s warriors lie sick.“

Und warum ist das interessant?
Weil eine Welt dargestellt wird, die gut zu der in den homerischen Epen passt oder zu der in einigen heutigen nordafrikanischen Ländern, in denen der Besitz von Rindern, Rinderdiebstähle, Ehre und Krieg eine zentrale Rolle spielen. Rinder standen an der Spitze der Eigentumspyramide, vor Schweinen, Pferden, Schafen, Schmuck und Kleidung, zuletzt Gebrauchsgüter wie Geschirr. Weil viele Elemente dargestellt werden, die sehr gut das Bild ergänzen, das römische Schriftsteller um Christi Geburt von den Kelten gezeichnet haben. Weil die Sage einer offensichtlich  nicht christlichen Gesellschaft von irischen Mönchen rezipiert, verändert und aufgeschrieben wird. Wahrscheinlich auch, weil der Text zumindest in einer Rezension, der des  Buchs von Leinster – literarisch echte Qualitäten hat.

Wie muss man sich das vorstellen? Schon recht wild und sehr fremd und sehr gewaltsam, aber auch poetisch.  Hier ein Beispiel:
Is and sin cétríastarda im Choin Culaind co nderna úathbásach n-ilrechtach n-ingantach n-anachnid de. Crithnaigset a chairíni imbi immar chrand re sruth nó immar bocsimind ri sruth cach ball & cach n-alt & cach n-inn & cach n-áge de ó mulluch co talmain. Ro lá sáebchless díbirge dia churp i mmedón a chracaind. Táncatar a thraigthe & a luirgne & a glúne co mbátar dá éis. Táncatar a sala & a orccni & a escata co mbátar riam remi. Táncatar tullféthi a orcan co mbátar for tul a lurggan comba méitithir muldorn míled cech meccon dermár díbide. Srengtha tollféithe a mullaig co mbátar for cóich a muneóil combá métithir cend meic mís cach mulchnoc dímór dírím dírecra dímesraigthe díbide.“
Schon sehr anders als andere europäische Sprachen…. Auf Englisch:
„Then his first distortion came upon Cú Chulainn so that he became horrible, many-shaped, strange and unrecognisable. His haunches shook about him like a tree in a current or a bulrush against a stream, every limb and every joint, every end and every member of him from head to foot. He performed a wild feat of contortion with his body inside his skin. His feet and his shins and his knees came to the back; his heels and his calves and his hams came to the front. The sinews of his calves came on the front of his shins and each huge, round knot of them was as big as a warrior’s fist. The sinews of his head were stretched to the nape of the his neck and every huge, immeasurable, vast, incalculable round ball of them was as big as the head of a month-old child.“

Dem irischen Mönch, der die Sage aufgeschrieben hat, war die Sache nicht ganz geheuer. Zwar lautet der vorletzte Absatz auf Irisch: „A blessing on every one who shall faithfully memorise the Táin as it is written here and shall not add any other form to it.“ Aber dann weiter auf Latein: „But I who have written this story, or rather this fable, give no credence to the various incidents related in it. For some things in it are the deceptions of demons, others poetic figments; some are probable, others improbable; while still others are intended for the delectation of foolish men.“

Die in jeder Weise ausgezeichnete Ausgabe mit Originaltext und Übersetzung von Cecile O’Rahilly ist problemlos antiquarisch zu bekommen. Noch einfacher zu erhalten sind die Übersetzung einer anderen, früheren Fassung der Táin von Thomas Kinsella und eine Art originalnahe Nacherzählung von Ciaran Carson. In Deutsch findet sich leider nur eine Übersetzung von Ernst Windisch von 1905, und nach der muss man eine ganze Weile suchen.

 


 

Pigs have wings. P.G. Wodehouse

Heute ein Beitrag für ein leichteres, letztlich ideales Buch für sonniges Wetter im Mai und ein ruhiges Wochenende im Liegestuhl im Garten mit einem Glas Pimm’s und frischen Erdbeeren.

P.G. Wodehouse ist ein echter Klassiker der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts: Kaum ein Engländer, der liest, hat nicht wenigsten einen seiner Romane gelesen. Der englische Guardian listet eines seiner Bücher unter den 100 besten englischen Romanen auf. Seine Bücher werden regelmäßig neu aufgelegt, als Hörbuch vertont und verfilmt. Die Wodehouse-Website zeugt von echten Fans.

Für einen Autoren der humoristischen Literatur, der eigentlich nie von seinem einen Erfolgsrezept abgewichen ist und daraus mehr als 90 Bücher gemacht hat, ein echter Erfolg. Und dass der Name Jeeves, so heißt ein Butler in vielen seiner Romane, zum Synonym für alle Butler geworden ist, zählt auch dazu.

Wodehouses Romane unterteilen sich in zwei wesentliche Zyklen: Jeeves und Bertie Wooster einerseits, andererseits Blandings Castle. Zu letzterem Zyklus gehört „Pigs have wings“, erschienen 1952 als achter Titel. Wie immer in den Blandings-Büchern geht es spezifisch um Schweine und Hochstapler. Wie immer in allen seinen Romane steht das Grundmuster, das der Manchester Guardian einmal beschrieb: „(…) Nothing is changed; there are still the resourceful butlers, the jokes like captions from silent film comedies, the elaborate mock-heroics, the astute quotation-mongering, the suspense mechanisms so frankly displayed onstage, the love affair to be promoted, the piece of skulduggery to be foiled. Nothing needs to change.“

Obwohl Wodehouses Romane in deutlich gehobeneren gesellschaftlichen Sphären spielen, haben sie etwas außerordentlich Egalitäres: Butler sind letztlich auf Augenhöhe mit Earls, Tanten dominieren alle männlichen Mitglieder der Familie, Barfrauen heiraten in den Adel….

Als Leseprobe eine Partie aus der Mitte des Romans:
„Sir Gregory stood staring, the smoked salmon frozen on its fork. It is always disconcerting when an unexpected guest arrives at dinner time, and particularly so when such a guest is a spectre from the dead past. The historic instance, of course, of this sort of thing is the occasion when the ghost of Banquo dropped in to take pot luck with Macbeth. It gave Macbeth a start, and it was plain from Sir Gregory’s demeanour that he also had had one. ‚What? What? What? What? What?‘ he gasped, for he was a confirmed what-whatter in times of emotion.“

Gelesen habe ich eine englischsprachige Penguin-Ausgabe von 1961. Es gibt antiquarisch eine deutschsprachige Ausgabe unter dem nicht unpassenden Titel „Schwein oder Nichtschwein“ und neu sogar das relevante Hörbuch.

 

Metamorphosen: Der goldene Esel. Apuleius

Ein ziemlich unbekanntes, aber von der Antike über die Renaissance bis heute sehr einflussreiches Werk der Weltliteratur möchte ich dieses Mal empfehlen: Die „Metamorphosen“ von Apuleius – auch bekannt als „Der goldene Esel“ – ist einer der ältesten erhaltenen Romane der Weltliteratur und sicherlich nicht der schlechteste. Flott geschrieben, spannend, amüsant, nicht immer jugendfrei; so ziemlich das genaue Gegenteil von allem, was man häufig mit verstaubter, verquaster, vorgestriger lateinischer Literatur verbindet.

Apuleius lebte im zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Er stammt aus dem heutigen Algerien, verbrachte dann einige Zeit unter anderem in Karthago, Athen und Rom, bevor er wieder nach Nordafrika zurückkehrte. Ihn als schillernde Persönlichkeit zu bezeichnen, ist eine deutliche Untertreibung. Neben den Metamorphosen ist von ihm eine Verteidigungsrede in eigener Sache überliefert; er war der Zauberei angeklagt…

Schillernd sind auch die Metamorphosen und umstritten. Das fängt schon bei der ausgesprochen kunstvollen, oft sehr kraftvollen, manchmal poetischen, immer flamboyanten Sprache an. August Rode, der den Roman in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts übersetzt hat, mochte das nicht: „des Apuleius Schreibart ist bei weitem nicht die beste. Er kettet ewig lange Perioden zusammen, ist sehr kostbar und schwülstig in seinem Ausdrucke, gebraucht unerhörte Wortfügungen und veraltete, ja wohl gar selbsterfundene Wörter und Redensarten.“

Schillernd auch, weil Generationen von Klassischen Philologen immer wieder an der Interpretation dieses Romans gescheitert sind, der wie ein Hase die deutungswütigen und Eindeutigkeits-suchenden Literaturwissenschaftler immer wieder durch einen überraschenden Haken hinter sich lässt. Für andere Leser macht gerade das einen erheblichen Teil des Reizes des Buchs aus.

Schillernd zumal wegen des Inhalts, in dem es um Zauberei, Isis-Kult, Verwandlungen, Abenteuer, Liebesgeschichten geht mit einem wenig heroischen Helden. Und dann gibt es noch die in den Roman eingebauten Geschichte von Amor und Psyche, die auch die bildende Kunst inspirierte und für sich alleine Weltliteratur ist. Diese Geschichte ist sogar heute noch vielen bekannt, ohne immer dabei zu wissen, von wem sie stammt und in welchen Zusammenhang sie gehört.

Für Schullateiner ist Apuleius auf Latein nichts, wenn sie nicht gerne ein Wörterbuch verwenden. Hier als eher leichtes Beispiel eine Partie aus der Geschichte von Amor und Psyche – Psyche wird zur vorgeblichen Eheschließung mit einem Drachen auf einen Felsen geführt:
„Itur ad constitutum scopulum montis ardui, cuius in summo cacumine statutam puellam cuncti deserunt taedasque nuptiales, quibus praeluxerunt, ibidem lacrimis suis extinctas relinquentes deiectis capitibus domuitionem parant. Et miseri quidem parentes eius tanta clade defessi, clausae domus abstrusi tenebris, perpetuae nocti sese dedidere. Psychen autem paventem ac trepidam et in ipso scopuli vertice deflentem mitis aura molliter spirantis Zephyri vibratis hinc inde laciniis et reflato sinu sensim levatam suo tranquillo spirito vehens paulatim per devexa rupis excelsae vallis subditae florentis cespitis gremio leniter delapsam reclinat.“

In der guten, wenngleich gelegentlich schwer altertümelnden Übersetzung von Brandt und Ehlers (Artemis & Winkler Verlag) liest sich dies so:
„Man geht zu der bestimmten steilen Bergklippe, stellt das Mädchen auf den höchsten Gipfel, und nun gehen alle hinweg, lassen die Hochzeitsfackeln, die vorangeleuchtet hatten und jetzt in ihren Tränen erloschen, an Ort und Stelle zurück und machen sich gesenkten Hauptes auf den Heimweg. Ihre armen Eltern selbst warf der furchtbare Schlag zu Boden, daß sie das Haus versperrten und in seinem Dunkel untertauchten, um sich beständiger Nacht zu befehlen. Psyche aber, die mit Furcht und Zittern oben auf dem Felsgipfel sich die Augen ausweinte, hebt sanft säuselnd ein linder Zephyrhauch mit flatternden Gewändern und geblähtem Bausch sacht empor, trägt sie in ruhigem Wehen gemächlich über die ragenden Berghänge und lehnt sie, da sie hinabgeglitten, im Tale drunten leise auf einen blühenden Rasenschoß.“

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Gelesen habe ich die bei Iohannes Maire in Leiden erschienene Ausgabe von 1623. Aktuellere Ausgaben auch in Deutsch sind aber problemlos verfügbar…

 

El informe de Brodie. Jorge Luis Borges

Jorge Luis Borges gilt als einer der besten Schriftsteller Argentiniens. Er ist auch in Deutschland recht bekannt und geschätzt. So arbeitet denn auch der Hanser-Verlag an einer zwölfbändigen Werkausgabe (20 Bände als Taschenbuch) von ihm in deutscher Sprache.

Gelesen habe ich eine Sammlung von Erzählungen unter dem deutschen Titel „David Brodies Bericht“, die 1970 erschienen ist.

Sparsam schreibt Borges: lieber ein Wort weniger als ein Wort zu viel. Und von bodenständiger Sorgfalt: die richtigen, unmarinierten Worte an der richtigen Stelle. Und mit Distanz: Emotional aufgeladen oder gar spannend sind die Erzählungen nicht.
Gerne und häufig verwendet er den Topos, dass der Erzähler etwas wiedergibt, was er aus einer anderen Quelle gehört oder gelesen hat. Dabei erwähnt er dann auch gerne, ob diese Quelle vertrauenswürdig ist und ob er selber etwas geändert hat.
Offensichtlich sind seine Erzählungen nicht: Als Leser muss (und kann) man sich seine eigenen Gedanken darüber machen, warum Borges diese Erzählung geschrieben hat oder warum sie relevant ist. Dadurch sind sie durchaus ein wenig  geheimnisvoll.
Und belesen ist Borges. Das merkt man besonders an der namensgebenden Erzählung „El informe de Brodie“, die deutlich von Swifts Gullivers Reisen inspiriert ist, aber sicher auch in der Tradition der „Wahren Geschichten“ von Lukian steht.

Für mich ist Borges ein Autor, den man gut in Übersetzung lesen kann, da seine Sprache so präzise und unprätentiös ist. Gelesen habe ich eine spanisch-sprachige Taschenbuchausgabe von 1980.

Leseprobe aus der Titelerzählung zur Sprache der Yahoos:
„El idioma es complejo. No se asemeja a ningún otro de los que yo tenga noticia. No podemos hablar de partes de la oración, ya que no hay oraciones. Cada palabra monosílaba corresponde a una idea General, que se define por el contexto o por las visajes. La palabra nrz, por ejemplo, sugiere la dispersión o las manchas; puede significar el cielo estrellado, un leopardo, una bandada de aves, la viruela, lo salpicado, el acto de desparramar o la fuga que sigue a la derrota. (…) Pronunciada de otra manera o con otros visajes, cada palabra puede tener un sentido contrario. No nos maravillemos con exceso; en nuestra lengua, el verbo to cleave vale por hendir y adherir.“
In der englischen Übersetzung von Andrew Hurley von 1998:
„Their language is complex, and resembles none other that I know. One cannot speak of „parts of speech“, as there are no sentences. Each monosyllabic word corresponds to a general idea, which is defined by ist context or by facial expressions. The word nrz, for example, suggests a dispersion or spots of one kind or another: it may mean the starry sky, a leopard, a flock of birds, smallpox, something splattered with water and mud, the act of scattering, or the flight that follows defeat. (…) Pronounced in another way, or with other facial expressions, it may mean the opposite. We should not be overly surprised at this: in our own tongue, the verb to cleave means to rend and to adhere.“