Idole und ihre Mörder. Connie Palmen

100 Seiten zu den Ursachen moderner Morde. Ein knappes, kluges Buch. Es liest sich, als sei es ein Kommentar auf aktuelle Ereignisse in Syrien, in der Türkei, auf Terror-Anschläge in Europa. Ist es nicht … und ist es irgendwie doch.

Der Einstieg: Palmen berichtet von einem Mann, der sie töten wollte. Aus Liebe. Es aber dann doch nicht tat und ihr statt dessen Champagner schickte.

Die Thesen: Palmen führt aus, wie ihrer Meinung nach die Mörder von Idolen/Berühmtheiten nicht mehr zwischen echt und unecht (Fiktion) unterscheiden können, zwischen öffentlichem Schein und Sein. Wesentlicher Grund hierfür sei die Einseitigkeit der Beziehung zwischen Berühmtheit und Fan: ökonomisch wechselseitig, ein gegenseitiges Geben und Nehmen, aber emotional einseitig. Der Fan wird von seinem Idol nicht als Individuum wahrgenommen. Das Idol bringt dem Fan im Krankheitsfall keine Gemüsebrühe ans Bett. Diese Einseitigkeit der emotionalen Beziehung bringt den Fan dazu, das Idol wie ein Symbol und eben nicht wie einen lebendigen Menschen wahrzunehmen.

Der Attentäter tötet in seiner Vorstellung keinen Menschen… „Für eine Philosophie des modernen Mordes muß man auf die Terminologie der Fiktion zurückgreifen. Mörder können ihre Opfer nicht als echte Personen sehen. In ihren Augen ermorden sie eine Figur aus ihrem idiosynkratischen Filmszenario, Theaterstück oder Roman, ein Symbol, eine Ikone. Alles, nur nicht einen leibhaftigen Menschen.“ Hierauf basiert inhaltlich auch der sehr viel treffendere Original-Titel „Iets wat niet bloeden kann“, Das, was nicht bluten kann.

Palmen führt aus, dass in ihren Augen die fanatische Verfolgung einer idealen Vorstellung vom richtigen Leben zur Verachtung anderer Menschen führen kann. Dies gelte für Glaubensfanatiker, Abstinenzler, Geizhälse und andere in gleicher Weise: „Die selbst auferlegten Beschränkungen und die daraus erwachsende einseitige Sichtweise treten an die Stelle des Denkens, der Reflexion, der Erinnerung, des Schmerzes, der Selbsterkenntnis und der Unterhaltung realer Beziehungen. (…) Der Fanatiker widmet sich einem  Projekt oder Ziel nicht um dessen Bedeutung willen, sondern weil er sein eigenes Bedürfnis danach, sich mit etwas verbunden zu fühlen und sich dem völlig zu widmen, befriedigen möchte. Über seinen Fanatismus hinaus braucht der Fanatiker nichts und niemanden, um sich überlegen zu fühlen.“

In der Regel können besondere Situationen, in denen einer der beiden eine Rolle – öffentlicher Schein – spielt, gut verstanden werden, da sie sich in einem bestimmten, eng definierten Raum abspielen, so Palmen. Sie führt als Beispiele Psychiater, Nonnen, Huren und Schauspieler an. Als deren Produkte seelische Betreuung, Glaube, Sex und Spiel. In der modernen Medienkultur jedoch fehlt laut Palmen diese Form der räumlichen Abgrenzung: „Personen des öffentlichen Lebens unterhalten die gleiche Beziehung zur Gesellschaft wie der Psychiater, die Nonne, die Hure und der Schauspieler, nämlich eine ökonomisch wechelseitige und symbolisch einseitige. Auch sie tun dies ohne Ansehen der Person. Der Politiker, der Popstar, die Fernsehgröße, der Künstler und der Schriftsteller liefern ein Produkt gegen Bezahlung, und dieses Produkt ist an eine symbolische Persönlichkeit oder ein Image gekoppelt (…) Und weil definierende und schützende Grenzen fehlen, empfinden wir (sie) als vogelfrei.“

Bespiele für moderne Morde, die Palmen in ihrem Buch heranzieht, sind diejenigen von John F. Kennedy, John Lennon, Pim Fortuyn und Gianni Versace sowie die Attentate auf Andy Warhol und Ronald Reagan, ebenso die Selbsttötungen von Marilyn Monroe und Elvis Presley.

Das Buch ist 2004 in den Niederlanden erschienen. Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung von Hanni Ehlers. Die Sprache kommt derart einfach daher, dass es fast passiert, den Grad der Komplexität bei den Inhalten zu übersehen.

Jedem Leser und jeder Leserin von Zeitungsartikeln und Büchern, die sich mit moderner Gewalt beschäftigen, sollte ihre Zeit für diese 100 Seiten von Connie Palmen nicht zu schade sein.

The dream of enlightenment: The rise of modern philosophy. Anthony Gottlieb

„Men must think for themselves.“ Dieser möglichen Quintessenz der Werke von Locke, einem der Protagonisten der Philosophie der Aufklärung, folgt Anthony Gottlieb im zweiten Band seiner Philosophiegeschichte aufs Beste.

Gottlieb ist ein erstaunlicher Autor. Er vermittelt sehr überzeugend den Eindruck, dass er all die Philosophen und ihre Werke, über die er schreibt, tatsächlich selbst gelesen hat. Dass er sich eigenständig Gedanken gemacht hat über das Gelesene und nicht nur bei anderen abschreibt. Dass er es verglichen hat mit dem, was andere über diese Philosophen gesagt oder oft: behauptet haben. Dass er die Ergebnisse auf eine pointierte, amüsante und interessante, leichtfüssig-tiefschürfende Art und Weise literarisch-sorgfältig zu Papier gebracht hat. Dass er dafür sogar noch einen Verlag gefunden hat. Und – vielleicht das Erstaunlichste überhaupt – dass er zahlreiche Leser findet. Vielleicht eine der besten Nachrichten bisher im Jahr 2017.

Auf den meisten englischen Büchern finden sich Zitate aus Rezensionen. Immer sind diese positiv. Deutlich seltener kann man sich selbst diesen Zitaten am Ende vorbehaltlos anschließen. Bei diesem Buch gelingt das: „delightfully written und wonderfully instructive“, „as enjoyable as he is intellectually stimulating“, „written with both wit and scholarship“, „never seen a discussion of philosophy as fun to read“. Besonders gelungen ist wieder einmal eine Rezension im Guardian, die auch eine gute inhaltliche Zusammenfassung des Buchs bietet (auf die Leser dieses Blogs sonst – wie so oft – verzichten müssen, da wir ja zum Selberlesen anregen wollen).

Ach, und mutig ist Gottlieb auch, indem er sich konzentriert. Er beginnt mit der Beobachtung: „Western philosophy is now two and a half millenia old, but a great deal of it came in just two staccato bursts lasting some 150 years each. The first was in the Athens of Socrates, Plato and Aristotle (…). The second was in northern Europe, in the wake of Europe’s wars of religion and the rise of the Galilean science. It stretches from the 1630s to the eve of the French Revolution in the late eighteenth century.“ Alles, was nicht wesentlich ist, lässt Gottlieb weg, und beginnt seine Geschichte der Philosophie der Aufklärung mit Descartes. Mit Hume ist dann Schluss. Pech für Francis Bacon (der aber dann doch in Zitaten zu seinem Recht kommt), Pech auch für Rousseau und Voltaire (die aber im Schlusskapitel nebeneinander, wie im Pantheon, mit ihren Unterschieden, wie in ihrem Leben, gewürdigt werden).

Ohne auch nur im Ansatz schematisch zu wirken, sondern mit (fast) soviel Variationsreichtum wie Bach in seinen Goldberg-Variationen, stellt Gottlieb immer die Biographie, die Hauptwerke, die philosophischen Hauptgedanken und auch die Nachwirkung der verschiedenen Philosophen dar. Praktisch immer ist er frei von Ehrfurchtsgeraune. Nie versteckt er eigene gedankliche Leere hinter obskurantistischen Formulierungen, wie sie manche Philosophen und viele deutsche Wissenschaftler pflegen. Wenn Gottlieb selbst etwas nicht überzeugt oder einleuchtet, dann schreibt er das auch und reduziert so die Hürde auch für philosophisch weniger hartgesottene Leser. Wenn Leibniz etwas nicht besonders gut mit einem Beispiel erklärt, schreibt Gottlieb: „This little thought-experiment does not settle anything, but it neatly expresses a common intuition.“ Woraus auch zu erkennen ist, dass Gottlieb uneitel und nicht besserwisserisch schreibt, frei von herablassender Häme, die journalistisch geprägten Autoren sonst gelegentlich mit in die Feder fließt. Es scheint ihm viel Vergnügen zu bereiten, anderen Philosophen hinterherzudenken.

Vor diesem Buch hätte ich nicht gedacht, dass ich Neugier und Lust entwickeln könnte, den Tractatus theologico-politicus von Spinoza oder gar das historisch-kritische Wörterbuch von Pierre Bayle zu lesen. Da habe ich mich sehr getäuscht.

Übrigens: Vom ersten Band war ich ebenfalls schon letztes Jahr sehr angetan wie in einem anderen Blogbeitrag vermerkt.

Und außerdem: Im spanisch- oder holländisch-sprachigen Ausland gibt es Gottlieb schon in Übersetzung. Im Land der Dichter und Denker offenbar nicht.

Nachtwachen von Bonaventura. August Klingemann

Die Nachtwachen sind 1804 anonym erschienen und haben zunächst niemanden so recht interessiert.

Das Interesse kam später…

Wer hat sie wohl geschrieben? Goethe vielleicht sogar? Oder Schelling, E.T.A. Hoffmann, Brentano oder F.G. Wetzel? So rätselte man dann.

Was passiert in den 16 Nachtwachen? Sie sind ein böser Eintopf aus Theater-Stück-Zitaten, Puppen- und Marionetten-Spiel-Sequenzen, Maskenspielen, Erzählungen aus dem Leben, überführt in neue Theaterstücke.

Da wird das Drama „Der Mensch“ aufgegeben, sein Autor erhängt sich nach längerer Ansprache an sein nie gehabtes Publikum: „Der Mensch taugt nichts, darum streiche ich ihn aus. Mein Mensch hat keinen Verleger gefunden weder als persona vera noch ficta, für die lezte (meine Tragödie) will kein Verleger die Druckkosten herschießen, und um die erste, (mich selbst) bekümmert sich gar der Teufel nicht, und sie lassen mich verhungern (…).“

Da fallen die Schauspieler für Ophelia und Hamlet aus ihren Theater-Rollen und verlieben sich im echten Leben. Woran sie den Verstand verlieren: So Ophelia an Hamlet, „Du stehst einmal als Stichwort in meiner Rolle, und ich kann dich nicht herausreißen, so wenig wie die Blätter aus dem Stücke, worauf meine Liebe zu dir geschrieben ist. So wil ich denn, da ich mich aus der Rolle nicht zurücklesen kann, in ihr fortlesen bis zum Ende (…). Dann sage ich dir, ob außer der Rolle noch etwas existiert und das Ich lebt und dich liebt.“

Da sitzt im Irrenhaus ein Mann, der sich einbildet, der Weltenschöpfer zu sein. Enttäuscht von seiner Schöpfung führt er Selbstgespräche: „Aber dies winzige Stäubchen, dem ich einen lebendigen Athem einbließ und es Mensch nannte, ärgert mich wohl hin und wieder mit seinem Fünkchen Gottheit, das ich ihm in der Übereilung anerschuf, und worauf es verrückt wurde. (…) Beim Teufel! Ich hätte die Puppe ungeschnitzt lassen sollen! – Was soll ich nur mit ihr anfangen? – Hier oben sie in der Ewigkeit mit ihren Possen herumhüpfen lassen?“

… und noch viel mehr dergleichen. Alles zusammengehalten durch einen menschenfeindlichen Nachwächter als Erzähler.

Und all das gemacht – wie man heute weiß – vom besten Theater-Macher seiner Zeit: August Klingemann. Dessen Faust-Drama vor Goethes gespielt wurde, der Goethes Faust uraufführte und mit zahlreichen Aufführungen beider Varianten des Stoffs Theater-Geschichte schrieb.

Und was sagen uns die Nachtwachen?

„Die Frage scheint auf eine merkwürdige und verwirrende Weise, die indessen gerade zum Reiz des Buches beitragen mag, ins Leere zu führen, in eine Leere ähnlich der, von der im Buch selbst (…) die Rede ist. Man hat das Gefühl, eine Maske nach der anderen, Zwiebelschale auf Zwiebelschale gleichsam abzuziehen (…). Larve, Rolle und Schauspiel werden zu Metaphern für ein krisenhaftes Verhältnis des Ichs zur Wirklichkeit und zu sich selbst, indem es, auf sich reflektrierend, in der eignen Tiefe bald alles, bald nichts findet“, so Jost Schillemeit. Mehr zu den „Nachtwachen von Bonaventura“ hier…
Gelesen habe ich die Ausgabe des Inselverlags mit einem guten Nachwort von Jost Schillemeit und Illustrationen von Lovis Corinth, auf die sich gut verzichten läßt.

Die Oden. Horaz

Einige Autoren – wie zum Beispiel Haruki Murakami, der Autor des letzten Beitrags – werden hoch gehandelt und sogar für den Literatur-Nobelpreis diskutiert. Würde ich das noch erleben können, wäre ich gespannt, welche Rolle er in 50 Jahren noch spielen wird. Andere Autoren haben den Test der Zeit, sogar der Jahrtausende schon hinter sich, und behaupten sich unverdrossen. Einer hiervon ist sicherlich der römische Dichter Quintus Horatius Flaccus, kurz: Horaz.

Horaz lebte – siehe der fotografische Beleg – von 65 bis 8 vor unserer Zeitrechnung, und ist einer der wichtigsten Dichter der Zeit von Kaiser Augustus.  Seit damals ist Horaz beliebt und gefürchtet als Quelle lateinischer Zitate. Wenig ist vor ihm sicher, und vor wenigem er selbst. Als generelle Lebensmaxime, Name von Unternehmensberatungen sowie von Pflegeshampoos ist sein „carpe diem“ immer noch im Einsatz.

Und sogar Reifen lassen sich mit Horaz anscheinend besser verkaufen.

Neben Satiren und den sogenannten Epoden sind die Oden das Hauptwerk von Horaz. Geschrieben im Jahr 23 sind sie sprachlich am ausgefeiltesten und hatten bis heute den größten Einfluss vor allem auf  die westliche Literatur und Kultur. Sie sind der Inbegriff klassischer Dichtung. Und sie sind so allgemeingültig und so auf den Punkt geschrieben, dass sie auch heutigen Lesern ohne Weiteres zugänglich sind.

Als Beispiel möchte ich die 9. Ode des ersten Buches nehmen, da sie jahreszeitlich besonders gut passt und recht typisch für die Oden ist:


Permitte Divis caetera: qui simul
Stravere ventos aequore fervido
   Deproeliantis, nec cupressi,
       Nec veteres agitantur orni.
Quid sit futurum, fuge quaerere; &
Quem fors dierum cumque dabit, lucro
   Adpone: nec dulcis amores
       Sperne puer, neque tu choreas.
Donec virenti canities abest
Morosa; nunc & campus, & areae,
   Lenesque sub noctem susurri
       Conposita repetantur hora:
Nunc & latentis proditor intimo
Gratus puellae risus ab angulo;
   Pignusque dereptum lacertis,
      Aut digito male pertinaci.

Die „Lateinoase“ (die gibt es! und man kann sich dort ganz gut aufhalten!) übersetzt:
„Siehst du, wie der durch hohen Schnee strahlende Soracte dasteht und wie die sich abmühenden Wälder die Last nicht mehr aushalten und wie die Flüsse von scharfer Kälte erstarrten?
Vertreibe, reichlich Holz auf den Herd legend, den Frost und hole, o Thaliarch, freigiebiger den vier Jahre alten Wein im Sabinerkrug hervor.
Gestatte das andere den Göttern. Sobald sie die kämpfenden Winde auf dem tosenden Meer beruhigt haben, werden weder die Zypressen noch die alten Bergeschen hin- und herbewegt. 
Vermeide es zu fragen, was morgen sein wird, und was das Schicksal dir auch immer an Tagen gewähren wird, nimm es als Gewinn und verachte nicht die süßen Liebschaften, Junge, nicht die Reigentänze, 
solange das launische Greisenalter fern der Jugend ist. Bald mögen Feld, Flächen und leises Geflüster in der Nacht zu geregelter Stunde gesucht werden, 
bald das willkommene Lächeln als Verräter des sich versteckenden Mädchens vom geheimen Winkel und das ihren Armen oder ihrem kaum beharrlichen Finger entrissene Pfand.“

Die Übersetzung ist sehr wörtlich und gymnasial hinreichend mindestens für ein „gut“. Sie gibt sich Mühe. Gute Dichtung ist sie nicht. Aber das ist vielleicht eines der Haupthemmnisse für Horaz: Er lässt sich nicht wirklich überzeugend übersetzen (ähnlich wie klassische chinesische Gedichte). Zu viel geht verloren. Das Versmaß mit seinen Längen und Kürzen in Kombination und Reibung zur normalen Betonung der Worte, das im Deutschen immer als Hebungen und Senkungen im Einklang mit der Wortbetonung widergegeben wird: fad und platt und plump mit seinem dammda-dammdada-dammda-damm. Die freie und damit absichtsvolle Stellung der Worte, die die Bestandteile eines Satzes kunstvoll und nuancenreich ineinander verweben kann, funktioniert im Original problemlos, lässt sich jedoch im Deutschen überhaupt nicht nachbauen, ohne gestelzt, vollständig obskur oder beginnend verrückt zu wirken (wer so etwas einmal lesen möchte, ist mit der Horaz-Übersetzung von Bernhard Kytzler bei Reclam bestens bedient). Und wenn man das Gedicht anders, freier nachdichtet? Dann ist es nicht mehr von, sondern nach Horaz.

Ein guter Grund also, die Lateinkenntnisse wieder auszugraben (oder neu anzulegen?) – der ästhetische Genuss ist es wert. Nicht nur zu Weihnachten oder wenn Schnee liegt.

Naokos Lächeln. Haruki Murakami

Vor fast 30 Jahren, 1987, erschien der fünfte Roman von Haruki Murakami, sein Titel: ノルウェイの森 (Noruwei no mori), auf Englisch: Norwegian Wood, auf Deutsch: Naokos Lächeln. Dieses Buch etablierte den Ruhm und die Verehrung Murakamis bei der (nicht nur) japanischen Jugend.

Sinn und Unsinn deutschsprachiger Buchtitel kommentiere ich in diesem Fall nicht. Nur soviel: Der Bezug auf das gleichnamige Lied der Beatles erschließt sich auf japanisch und englisch unmittelbarer.

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Murakami, geboren 1949, ist ein Garant hoher Verkaufszahlen. Seine Romane sind in mehr als 50 Sprachen übersetzt, etliche verfilmt; er selbst ist vielfach preisgekrönt. Artikel auf Wikipedia über ihn gibt es sogar in fast 70 Sprachen – hier der Link zu einer ebenso kurzen wie graphisch gelungenen Variante für all diejenigen, die einmal eine neue Sprache ausprobieren wollen.

In diesem Roman geht es um Verlust, Orientierungslosigkeit, Beziehungen, vielleicht um Liebe, jedenfalls um Sex, auch Selbstmord im Japan der späten 60er Jahre.

Murakami schreibt flott, eher umgangssprachlich (zumindest in der Übersetzung) und unprätentiös. Die Atmosphäre ist oft etwas surreal und leicht geheimnisvoll. Er verwendet meist einen nicht-allwissenden Ich-Erzähler. Rückblenden sind ein sehr beliebtes Element. Sexszenen werden relativ regelmäßig, ohne dabei in irgendeiner Weise sparsam zu sein, eingestreut.

Ich muss gestehen, bei mir ist kein Funke übergesprungen. Zu lässig geschrieben, zu lang, zu flach und platt, zu sehr auf Wirkung ausgerichtet, zu wenig spannend, die Charaktere trotz vieler Details zu scherenschnittig und durchsichtig. Dass Murakami angeblich immer wieder für den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, erschließt sich mir nur aus den Verkaufszahlen. Andererseits: Vielleicht sind seine anderen Werke deutlich besser. Oder: Es geht gar nicht um literarische Qualität. Und auch: Ich kann es nicht beurteilen, denn ich habe den Roman nicht bis zum Ende gelesen….

Eine beliebige, aber durchaus typisch-seicht-plätschernde Leseprobe aus der englischen Übersetzung (in der ich gelesen habe):
„Reiko gave a deep sigh (…), then folded her hands on her knees.
‚This will be your bed,‘ she said, patting the sofa. ‚We’ll sleep in the bedroom, and you’ll sleep here. You should be all right, don’t you think?‘
‚I’m sure I’ll be fine.‘
‚So, that settles it,‘ said Reiko. ‚We’ll be back around five. Naoko and I both have things to do until then. Do you mind staying here alone?‘
‚Not at all. I’ll study my German.‘
When Reiko left, I stretched out on the sofa and closed my eyes. I lay there steeping myself in the silence (…).“

Keine Empfehlung also. Wird aber den Bestseller-Zahlen nicht schaden.

Josiah Wedgwood – Entrepreneur to the Enlightenment. Brian Dolan

Wedgwood? Das sind doch diese kitschigen englischen Väschen und Tellerchen, oder?

„Wedgwood“ war einmal DAS Porzellan (eigentlich Keramik) für Europa, für Amerika, für Russland. Königinnen und Zarinnen, Adelige und Wohlhabende in fast aller Herren Länder wollten Wedgwood. Und waren bereit, sehr viel Geld dafür zu zahlen. Wie kam das?

Das Buch von Brian Dolan zeichnet nach, wie ein Junge aus einer eher ärmlichen Familie zu einem hochgeachteten, berühmten und reichen Töpfer werden konnte, der fast 300 Menschen in seinem Werk beschäftigte.

Wer war Josiah Wedgwood?

Josiah Wedgwood (1730 – 1795) war ein englischer Töpfer und Geschäftsmann, Gründer der Wedgwood Company. Er gilt als Erfinder der industriellen Fertigung von Töpferwaren  durch Arbeitsteilung und auf diese Weise stark reduzierten Produktionskosten. Seine Erfindungen weckten Begeisterung bei Kunden und wurden rasend schnell – wo immer möglich – von seinen Konkurrenten kopiert.

Was zeichnte Josiah Wedgwood aus?

Wedgwood glaubte als Mitglied einer reform-protestantischen Minderheit daran, dass die Erforschung der Natur ihre tiefe Würdigung als Gottes Schöpfung darstellt. Er sah unternehmerischen Erfolg als Verantwortung zur Förderung des Gemeinwesens.

Erfindertum

Wegdwood war nicht nur ein hervorragender Töpfer, er war auch ein systematischer, kreativer Erfinder. In den Nächten experimentierte er mit Metallen, um unterschiedliche Glasur-Effekte zu erzielen, mit Brenntemperaturen, Ton-Zusammensetzungen und neuen Formen. Seine Experimente hielt er in seinen Notizbüchern in Code fest.

Marketing-Geschick

Fast scheint Wedgwood geahnt zu haben, was seine Klientel wünschen können müsste. Alle Ansatzpunkte verfolgte er mit Methoden, die sehr modern wirken. Schaufenster-Gestaltung, Produkt-Zyklen und Testimonials bekannter Personen: All dies setzte er ein.

Glück

Wedgwood hatte Glück – und hat dieses am Schopf gepackt: Seine Frau Sarah Wedgwood sah sich als Unternehmer-Frau, er fand in der Lunar Society Freunde, die eine bessere Ausbildung genossen hatten und seine Ideale teilten, er erfüllte die ausgefallenen Wünsche mächtiger Kunden.

Meilensteine

Helles Steingut in der Farbe von Porzellan

Wedgwood erfand eine Glasur, die – bis dahin in einzigartiger Weise – Geschirr fast weiß und ebenmäßig glatt aussehen ließ. Die Keramik wirkte fast wie Porzellan. Hiervon ließ sich auch Königin Charlotte begeistern. Danach die russische Zarin.

Jasper-Ware

 Eine sehr erfolgreiche Erfindung Wedgwoods war ein durchgefärbter, matter Ton. Auf diesen konnte er außerdem hauchdünne weiße Schichten aufbringen. Beliebt waren Kannen, Tassen, Schmuck, aber auch Schuhschnallen aus diesem Material.

Dekorative Vasen

Wedgwood nutzte die Begeisterung der Adligen und akademisch Gebildeten für die Antike, indem er klassizistische Motive verwendete. Außerdem: Als er bemerkte, wie groß die Leidenschaft für antike Vasen wurde und wieviel Geld Sammler für diese ausgaben, hatte er die brilliante Idee, extrem hochwertige dekorative Vasen herzustellen. Sein Coup war die Kopie einer römischen Glasvase, die sogenannte Portland Vase (Foto rechts). Wedgwoods Kopien von dieser waren eine Sensation. Mehr Publicity geht nicht.

Buchbeschreibung: „An intriguing examination of the life and times of Josiah Wedgwood, potter to the Queen, and an Enlightenment pioneer. Brian Dolan combines the remarkable story of Josiah Wedgwood, the English potter whose works are among the finest examples of ceramic art, with the story of the 18th-century world of industry, fashion and connoisseurship.“

Ein tolles Buch!

Triumph der Musik. Tim Blanning

Eine der deutschen Ausgaben hätte einen fast abschrecken können: Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann. Wahrscheinlich kein besonders substanzielles Buch. Eher etwas Leichtes, Schmökeriges. Wie ist denn Tim Blanning an Elke Heidenreich geraten? Und dann auch noch der Titel: „Triumph der Musik“. Hätte fast Rosamunde Pilcher so titulieren können. Oh je. Lieber nicht kaufen.

Aber ich habe diese deutsche Ausgabe erst entdeckt, als ich die englische schon gelesen hatte.

Der deutsche Klappentext trifft den Inhalt gar nicht schlecht: „Wie kommt es, dass Mozart, eines der größten musikalischen Genies, wie ein lästiger Parasit behandelt wurde und völlig verarmt starb, während sich Politiker heute Rat bei U2-Sänger Bono holen und Opernsänger Spitzengagen bekommen? Der renommierte britische Historiker Tim Blanning zeichnet den unglaublichen Aufstieg des Musikers und seiner Kunst vom Barock bis heute nach. Welche gesellschaftlichen, politischen und technischen Neuerungen haben bewirkt, dass die Musik vom kirchlichen und höfischen Beiwerk ins Zentrum einer Massenkultur gerückt ist, deren unangefochtene Protagonisten – weit über den Persönlichkeitsstatus eines Richard Wagner und Franz Liszt hinaus – heute Popstars wie Paul McCartney sind? Reich an Fakten, Anekdoten und verblüffenden Querverweisen ist Blanning eine informative, lehrreiche und höchst unterhaltsame Kultur- und Sozialgeschichte der Musik gelungen.

Also doch ein ausgezeichnetes Buch? Auf demselben hohen Niveau wie Blannings Bücher über Friedrich den Großen und über die Epoche von 1648 bis 1815?
Gut schon, ausgezeichnet eher nicht. Bei aller Brillanz im Einzelnen und auch bei aller umfassenden Belesenheit von Blanning, drei Haken hat das Buch für mich:

  • Blanning beschreibt den Aufstieg der Musik anhand von fünf Elementen: Status, purpose, places and spaces, technology, liberation. Jedem dieser Elemente widmet er ein Kapitel, in dem er dann chronologisch vorgeht, immer von 1700 bis heute. Fünf mal von 1700 bis heute ist aber anstrengend, etwas repetitiv und behindert Blanning darin, die Querbezüge zwischen den fünf Elementen herauszuarbeiten.
  • Vielleicht auch wegen dieses gewählten Buchaufbaus bleibt Blanning oft ungewohnt seicht und hastet gleich wieder weiter. Aspekte werden angerissen, Anekdoten erzählt, aber immer leicht vordergründig.
  • Nicht zuletzt: Die Linie steigt zu ungebrochen, zu triumphalistisch, zu glorios. Von Beethoven bis Bono, von Mozart bis Madonna, von Haydn bis Hip-Hop, von Stradivari bis Stratocaster, die Bedeutung der Musik wächst und wächst, der Triumph wird immer vollkommener, die anderen Künste bleiben mehr und mehr zurück. Sogar die Politik räumt der Musik das Feld.

Auch andere sind nicht durchgehend euphorisch, bei allem verdienten Lob für das Buch, so etwa der Guardian und der Telegraph. Der Telegraph bemerkt aber auch anerkennend: „It may (…) be the only work written by a Cambridge professor to include a comparative description of The Rubadubbers and Bob the Builder“ und  bezeichnet das Buch als „extraordinarily wide-ranging and stimulating“.

In Sachen Anekdoten ein Auszug über die Liedtraditionen der Franzosen während Ludwig XIV.:
„Especially during the glory days of Louis XIV’s reign (1643-1715), there were so many songs celebrating his latest triumphs as to constitute a musical history of his campaigns, as their self-explanatory titles reveal: ‚On the Second Capture of Besançon during the Months of April and May 1674‘ (…). Some songs even criticised the conduct of the war. The duc de Luxembourg cannot have enjoyed hearing ‚On Henry de Montmorency-Luxembourg Who Did Not Hurry Himself Enough to Help Philippsbourg in 1676‘, for example. The most durable proved to be ‚Marlborough Goes to War‘ (Marlborough s’en va-t-en guerre), sung to the tune of ‚For He’s a Jolly Good Fellow‘.
Da kann man als Leser und Leserin gleich mit den Franzosen mitsummen.

In Summe und trotz der genannten Haken: Gut und flott geschrieben, kenntnisreich, ohne gelehrt zu wirken; man lernt viel dazu, erhält ungewohnte Perspektiven, wird zum Denken (und Musik-Hören) angeregt. Ideal als Weihnachtsgeschenk. Passt also schon gar nicht so schlecht: Edition Elke Heidenreich.

 

 

Outsider II. Brian Sewell

Den ersten Teil der Autobiographie von Brian Sewell, einem sehr einflussreichen britischen Kunsthistoriker und -kritiker, hatte ich schon an anderer Stelle besprochen. Damit es nicht bei einem halben Leben bleiben muss, folgt dieses Mal der zweite Teil, von Sewell auch so betitelt: „Outsider II, always almost, never quite“.

Diese Fortsetzung fängt für mein Empfinden etwas schwach, umständlich und langweilig an. Wahrscheinlich hat sich auch Sewell beim Schreiben ziemlich gequält,  bis endlich Kapitel 8 hinter ihm lag, in dem er sich mit der Blunt-Affäre und seiner eigenen Rolle darin beschäftigt. Ein Autobiograph, der sich volle, ungeschönte Wahrhaftigkeit beim Schreiben als Maßstab gesetzt hat, kann an diesem Kapitel nur scheitern. Und das sah Sewell sicherlich kommen. Scheitern tut er und das Kapitel auch, aber nicht kläglich, sondern durchaus anständig.

Blunt, hier im Bild, war ein Miglied der sogenannten „Cambridge Five“, die als Mitglieder des britischen Geheimdienstes und auch der CIA bis in die 50er Jahre die Sowjetunion mit Informationen versorgten und als erfolgreichste Agenten in westlichen Nachrichtendiensten gelten. Der Roman „Dame, König, As, Spion“ von John le Carré, den wahrscheinlich viele gelesen haben,  befasst sich ebenfalls mit der Affäre.

Sewell war ein Student von Blunt am Courtauld-Institut und danach ein Freund, der auch nach Blunts Enttarnung auf beträchtliches eigenes Risiko weiter zu ihm hielt, ohne mit der Sowjetunion und Blunts Spionage-Tätigkeit zu sympathisieren. Sewells eigene Karriere als Kunsthändler war anschließend irreparabel beschädigt.

Gerne gelesen habe ich die Biographie allerdings erst nach diesem Kapitel, wenn er über seine Zeit als Kunstkritiker schreibt, über sein schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter, über seine Erfahrungen mit dem Fernsehen und auch über seinen zunehmend klapperigen und kranken Körper, dessen Herz nach und nach seinen Dienst verweigert. Dies sind die Kapitel, in dem die ungeschönte Offenheit Sewells am Besten zur Wirkung kommt.

Wie immer hält Sewell seine Garantie für gute Zitate und Anekdoten. Als Kunstkritiker des London Evening Standard machte sich Sewell wenig Freunde, hatte aber eine Zeit lang einen Herausgeber, der ihm den Rücken freihielt. Dieser Herausgeber schrieb, als sich der Stabschef des Erzbischofs von Canterbury beschwerte:
„Brian Sewell is indeed intemperate … In recent months I have dealt with outraged correspondences about his column from assorted Zionists, art dealers, Scots, Jews and so on. If there is any section of society he has so far failed to take on, I am sure that he will soon remedy the deficiency. It is probably fair to say that dogs are the only people for whom he feels unqualified enthusiasm … I am sure the Archbishop is quite grown-up enough to take the view that if the likes of Brian Sewell are capable of stoking up fires too hot for him to bear, then he is likely to find the going very tough in the afterlife.“

Sylvia Plath und Ted Hughes: Du sagst es. Connie Palmen

Eine Frau beißt einen Mann in die Wange bis das Blut läuft.

Ist das Liebe?

So jedenfalls lernt sich im Buch von Connie Palmen eines der berühmtesten Liebespaare der modernen Literatur kennen.

Das Buch ist der fiktive Bericht einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, einer Ehe, einer Selbsttötung: aus der Sicht des männlichen Protagonisten, Ted Hughes. Hughes selbst hat in der Realität zur Beziehung zwischen Plath und ihm  geschwiegen. Im Archiv befindet sich allerdings eine versiegelte Kiste, die laut Testament erst 2023 geöffnet werden kann…

Warum ist diese Konstellation interessant?

Nach Plath’s Suizid im Jahr 1963 galt sie als Märtyrerin, Hughes als Verräter. Ihre Beziehung wurde in den Medien und von ihren Freunden immer wieder thematisiert, dabei mit großem Detailreichtum an die Öffentlichkeit gebracht.

Funktioniert die Fiktion?

Das Buch ist auf den ersten Blick eines: verblüffend überzeugend. Man nimmt Palmen die Stimme ab, die sie Hughes in den Mund legt.

„Es dauerte nicht lange, bis sie mir so vertraute, dass ich allmählich Risse in der Rüstung ihrer trügerischen Aufgeregtheit anbringen konnte. Weil sie auf meine Stimme reagierte wie ein neugeborenes Lamm auf das Blöken des Mutterschafs, konnte ich sie nach zwei missglückten Versuchen vollständig in Hypnose versetzen. Verdauung, Blutkreislauf, Atmung und schließlich ihre Träume – ich konnte sie mit meiner Stimme lenken.“

Dann, während des Weiterlesens, kommt die Frage auf, ob denn wirklich Sylvia Plath derart kindlich, so verängstigt, so hysterisch gewesen sein kann.

Noch später überzeugt mich dann der subtile Weg, auf welchem Palmen thematisiert, wie wenig Hughes seine Affairen infrage stellt und seine Rolle als Vaterfigur und Gottvater. Palmen läßt ihn fest davon ausgehen, dass dies seine Rollen in der Beziehung zu seiner Frau waren, ebenso selbstverständlich, dass seine Verhältnisse zu anderen Frauen notwendig waren.

Wer war Sylvia Plath?

Sie war eine amerikanische Schriftstellerin, geboren 1932, gestorben 1963. Als Plaths Hauptwerk gilt ihre Lyrik, insbesondere der nachgelassene Band „Ariel“ sowie ihr Roman „Die Glasglocke“. Ihre Werke werden zumeist im Kontext ihrer Lebensgeschichte gesehen und gelten als Bekenntnisliteratur. Ihr literarischer Erfolg setzte nach ihrem Suizid mit der Veröffentlichung nachgelassener Gedichte sowie der US-Publikation ihres Romans in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren ein. Plath wurde zu einer Symbolfigur der Frauenbewegung stilisiert und ihre Lebensgeschichte als Spiegelbild der Rolle der Frau in der Gesellschaft verstanden.

Tot geboren

Diese Gedichte leben nicht: eine traurige Diagnose.
Ihre Zehen und Finger sind richtig ausgebildet,
ihre kleinen Stirnen vor Konzentration gewölbt.
Sie haben es nie geschafft, umherzugehen wie Leute,
doch nicht etwa aus Mangel an Mutterliebe.

Ich begreife nicht, was aus ihnen geworden ist!
In Form und Zahl und allen Teilen sind sie gelungen.
Sie liegen so lieb in der Pökelflüssigkeit!
Sie lächeln und lächeln und lächeln mich an.
Und trotzdem füllen sich die Lungen nicht,
fangen die Herzen nicht an zu schlagen.

Sie sind keine Schweine, nicht einmal Fische,
obwohl sie etwas Schweinisches und Fischiges an sich haben –
es wäre besser, sie wären am Leben und wären diese Tiere.
Doch sie sind tot, und ihre Mutter ist halb tot vor Qual,
und sie starren nur dumm und sprechen nicht von ihr.

(Sylvia Plath, Stillborn, in der Übersetzung von Johannes Beilharz)

… und wer Ted Hughes?

Ted Hughes, 1930 bis 1998 war ein englischer Dichter und Schriftsteller. Er veröffentlichte angesehene Gedichtbände – der bedeutendste war „Crow“. Von 1984 bis zu seinem Tod war Hughes der von der britischen Königin berufene Nationaldichter Englands.

Last Letter

What happened that night, inside your hours
Is as unknown as if it never happened.
What accumulation of your whole life,
Like effort unconscious, like birth
Pushing through the membrane of each slow second
Into the next, happened
Only as if it could not happen
As if it was not Happening.

(Ted, Hughes, Strophe aus Last Letter, Informationen und Video zur Entdeckung des Gedichts auf dieser Seite…)

 

Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung des niederländischen Originals. Mehr zur Autorin Connie Palmen hier…

Der Junge im gestreiften Pyjama. John Boyne

Die Frage muss zunächst einmal offen bleiben, ob es sich bei diesem Werk von John Boyne um ein Jugendbuch handelt – immerhin hat es Preise als ein solches bekommen – oder doch zumindest auch um ein Buch für Erwachsene. In jedem Fall hat mich, sicherlich nicht mehr ganz jugendlich, dieses Buch sehr beeindruckt. Darüber hinaus: Ein weiterer Beitrag aus der informellen Reihe dieses Blogs „Literatur aus Irland“.

Über den Inhalt möchte ich nicht mehr sagen, als der Klappentext verrät (keinesfalls eine Inhaltsangabe vorher lesen!):
„The story of The Boy in the Striped Pyjamas is very difficult to describe. Usually we give some clues about the book on the jacket, but in this case we think that would spoil the reading of the book. We think it is important that you start to read without knowing what it is about.
If you do start to read this book, you will go on a journey with a nine-year-old boy called Bruno (though this isn’t a book for nine-year-olds.) And sooner or later you will arrive with Bruno at a fence.
Fences like this exist all over the world. We hope you never have to cross such a fence.

John Boyne, geboren 1971 in Dublin, hat zwischenzeitlich 14 Romane veröffentlicht, die in 48 (!) Sprachen übersetzt sind. Sicherlich also kein unbekannter Stern am Literaturhimmel. Die 5 Millionen verkauften Exemplare des „Jungen im gestreiften Pyjama“, die für ihn den Durchbruch als Schriftsteller bedeutet haben, sind gut nachvollziehbar, denn Boyne versteht auf sehr unprätentiöse, leise-tönende Weise sein Handwerk. Die Beschreibung „a small wonder of a book“ des Guardian passt da durchaus.

Das Buch ist in keiner Weise brutal, im Gegenteil. Verstörend schon.

Zitieren möchte ich die letzten Zeilen auf Englisch:
„And that’s the end of the story about Bruno and his family. Of course all this happened a long time ago and nothing like this could ever happen again.
Not in this day and age.“
Und schon fragt man sich, ob das wohl stimmt….