Elizabeth Bowen – Portrait of a Writer, Victoria Glendinning

Elizabeth Bowen, eine der bekanntesten anglo-irischen Schriftstellerinnen, ist heute außerhalb Großbritanniens kaum bekannt. Auch heute noch interessant ist ihr familiärer Hintergrund: geboren 1899 in eine Familie des irischen Landadels, die ihre Wurzeln in England hatte und von dort unter Cromwell ausgewandert war.

Bowen selbst sagte über sich selbst, sie sei die letzte Vertreterin der Anglo-Iren, die noch authentisch vom Leben zwischen den beiden Kulturen berichten können.

Als Schriftstellerin war Bowen sehr erfolgreich. Ihre Romane und Erzählungen werden mit der Literatur Virginia Woolfs und Jane Austens verglichen.

Wie gestaltet Victoria Glendinning die Biografie? Sie erzählt linear, das Innenleben Bowens kommt kaum vor, ihre Bedeutung als Schriftstellerin – trotz des Untertitels – ebenfalls eher am Rande. Dennoch wird die ungewöhnliche Persönlichkeit Bowens deutlich. Dies gelingt Glendinning durch Anekdoten aus dem Alltag der Schriftstellerin. Glendinning veröffentlichte außerdem Biographien über  Edith Sitwell, Vita Sackville-West, Rebecca West, Leonard Woolf, Anthony Trollope, Stamford Raffles und Jonathan Swift. Die vorliegende ist bestimmt nicht ihre beste.

Leser und Leserinnen, die sich für irische Geschichte interessieren, wird der Roman Bowens „The Last September“ gefallen. Hier beschreibt Bowen das Leben der anglo-irischen Oberschicht in Irland, ihre Feste zusammen mit den Offizieren der englischen Truppen, ihr Zusammenleben mit irischen Nachbarn und Bediensteten. Erzählte Zeit ist der Sommer von 1920, in dem der irische Unabhängigkeitskrieg  eskalierte. An seinem Ende waren viele der repräsentativen Herrenhäuser von protestantischen anglo-irischen Familien ausgebrannte Ruinen.

Mein persönliches Lieblingsbuch von Bowen ist „The Little Girls“, eines des letzten Bücher Bowens. Hierin versuchen drei Frauen, alle haben die 50 überschritten, an ihre Kindheit anzuknüpfen. Ein Buch, das „Identität“ und „Erinnerung“ auf ihre Bedeutung abklopft. Als Mädchen haben die drei Hauptfiguren jede einen Gegenstand in eine Kiste gelegt. Nur das Mädchen selbst wußte, was für ein gegenstand dies war. gemeinsam haben sie dann die Kiste vergraben. Was ist mit ihr passiert? Die Klärung dieser Frage treibt die Handlung voran.

Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Thukydides

Neben aller Sekundärliteratur macht es immer wieder Spaß, einige Quellen unmittelbar zu lesen. Für historisch Interessierte setzt die Geschichte des Peloponnesischen Krieges von Thukydides (460-397 v.Chr.) dabei einen Maßstab der Geschichtsschreibung, der vorher nie und auch später nicht oft erreicht wurde. Für alle ist er ein Geschichtsschreiber, der mit aller methodischen Akribie immer wieder höchst spannend und fesselnd, mit ausgezeichnetem Gespür für die relevanten Machtfaktoren einen Konflikt nachzeichnet, zu dem sich leicht Parallelen in der heutigen Zeit finden lassen.

Thukydides geht es in seiner Beschreibung des Kriegs zwischen Athen (in Koalition mit dem Attischen Seebund) und Sparta (ebenfalls mit zahlreichen Verbündeten) neben der eigentlichen historischen Arbeit am von ihm selbst miterlebten Krieg vor allem um zwei Ziele. Zum Einen distanziert er sich von seinem berühmten Vorfahren Herodot, den er für naiv, subjektiv, zu wenig interessiert an der historischen Wahrheit hält. Zum Anderen versucht er nachzuweisen, dass der Peloponnesische Krieg größer und bedeutender war als alle Vorhergehenden, insbesondere die vom genannten Herodot beschriebenen Perserkriege. Diese Ziele verfolgt er so konsequent, dass zumindest beim Nachweis der Bedeutung des Kriegs auch die Wahrheit ein wenig leidet. Denn zumindest die Perserkriege waren in ihrer Dimension wahrscheinlich größer. Otto Lendle, ein Althistoriker, schrieb zur Situation, in der Thukydides seine Arbeit begann: „damals waren nämlich plötzlich die Perserkriege in aller Munde – dank Herodot, dessen Werk sich inzwischen verbreitete und die glorreiche Erinnerung an den heroischen Abwehrkampf der Griechen gegen die persische Invasion wieder hatte lebendig werden lassen. Gemessen an den dramatischen Vorgängen ein Menschenalter früher, als das Schicksal Griechenlands wahrhaftig auf Messers Schneide stand, konnte der (peloponnesische) Krieg (…) in der Tat als ein Ereignis zweiten Ranges erscheinen. Diese allgemeine Einschätzung bedeutete für Thukydides natürlich eine schwere Belastung. Es blieb ihm al Schriftsteller gar keine andere Möglichkeit, als im Interesse seines Gegenstandes gegen Herodot, den Mann der Stunde, und sein alles überstrahlendes Hauptthema, die Perserkriege, anzutreten (…).“

Sollte dieser Abgrenzungsversuch gegen Herodot die völlig neuartige, geradezu modernen methodische Qualität von Thukydides mit ihrem Fokus auf der historischen Wahrheit und auf den Beweggründen der Akteure hervorgebracht haben, so hat er sich gelohnt. Ein Zitat aus dem sogenannten Methodenkapitel: „Καὶ ὅσα μὲν λόγῳ εἶπον ἕκαστοι ἢ μέλλοντες πολεμήσειν ἢ ἐν αὐτῷ ἤδη ὄντες, χαλεπὸν τὴν ἀκρίβειαν αὐτὴν τῶν λεχθέντων διαμνημονεῦσαι ἦν ἐμοί τε ὧν αὐτὸς ἤκουσα καὶ τοῖς ἄλλοθέν ποθεν ἐμοὶ ἀπαγγέλλουσιν· ὡς δ‘ ἂν ἐδόκουν ἐμοὶ ἕκαστοι περὶ τῶν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ‘ εἰπεῖν, ἐχομένῳ ὅτι ἐγγύτατα τῆς ξυμπάσης γνώμης τῶν ἀληθῶς λεχθέντων, οὕτως εἴρηται. τὰ δ‘ ἔργα τῶν πραχθέντων ἐν τῷ πολέμῳ οὐκ ἐκ τοῦ παρατυχόντος πυνθανόμενος ἠξίωσα γράφειν, οὐδ‘ ὡς ἐμοὶ ἐδόκει, ἀλλ‘ οἷς τε αὐτὸς παρῆν καὶ παρὰ τῶν ἄλλων ὅσον δυνατὸν ἀκριβείᾳ περὶ ἑκάστου ἐπεξελθών. ἐπιπόνως δὲ ηὑρίσκετο, διότι οἱ παρόντες τοῖς ἔργοις ἑκάστοις οὐ ταὐτὰ περὶ τῶν αὐτῶν ἔλεγον, ἀλλ‘ ὡς ἑκατέρων τις εὐνοίας ἢ μνήμης ἔχοι. καὶ ἐς μὲν ἀκρόασιν ἴσως τὸ μὴ μυθῶδες αὐτῶν ἀτερπέστερον φανεῖται· ὅσοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει. κτῆμά τε ἐς αἰεὶ μᾶλλον ἢ ἀγώνισμα ἐς τὸ παραχρῆμα ἀκούειν ξύγκειται.“
Auf deutsch in der Übersetzung von Landmann:
„Was nun in Reden hüben und drüben vorgebracht wurde, während sie sich zum Krieg anschickten, und als sie schon drin waren, davon die wörtliche Genauigkeit wiederzugeben war schwierig sowohl für mich, wo ich selber zuhörte, wie auch für meine Gewährsleute von anderwärts; nur wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage etwa sprechen mußte, so stehn die Reden da, in möglichst engem Anschluß an den Gesamtsinn des in Wirklichkeit Gesagten. Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften der ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ’nach meinem Dafürhalten‘, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis. Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist sie verfaßt.“

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Gelesen habe ich in der Ausgabe von Duker, die 1731 bei Wetsten und Smith erschienen ist. Neuere Ausgaben sind natürlich zu haben.

A history of Christianity: The first three thousand years. Diarmaid MacCulloch

Sollte irgendjemand sich gefragt haben, warum es in der letzten Zeit so wenige Beiträge von mir gibt, hier ist die Antwort: Ich habe mir etwas Monumentales gegönnt und mich an die Geschichte des Christentums gewagt – immerhin deutlich mehr als 1000 Seiten.

Damit ist auch bereits Wesentliches über das Buch gesagt: Rechnerisch entfallen mehr als drei Jahre auf jede Seite für die weltweite Geschichte des Christentums. Alles ist recht dicht gedrängt, auch der Schriftsatz…. Allerdings muss man auch gleich hinzufügen, nichts Vergleichbares und schon gar nichts vergleichbar Gutes gibt es aktuell in nur einem einzigen Band, weder in englischer noch in deutscher Sprache.

Mit dem kürzlich von mir besprochenen Tim Blanning, der sich ebenfalls nicht scheut, unübersehbare Themen anzugehen, kann Diarmaid MacCulloch allerdings nicht ganz mithalten. MacCulloch, Kirchenhistoriker an der Universität Oxford, beherrscht das Thema. Er schreibt gut, auch mitunter bissig-humorvoll. Vor allem bewahrt er bei aller Expertise eine sehr gesunde Distanz zu seinem Thema (er bezeichnet sich selbst lediglich als wohlwollenden Unterstützer des Christentums, obwohl oder weil er aus einer englischen Pastorenfamilie stammt). Allerdings ist er nicht ganz so elegant im Herausarbeiten der großen Linien bei gleichzeitigem Herausgreifen einschlägiger Details, nicht so homogen wie Blanning. Vielleicht ist damit die Latte aber auch wirklich extrem, also unangemessen hoch gelegt. Auch ist die Geschichte des Christentum schon ein wenig unhandlich….

Empfehlenswert ist das Buch jedenfalls für jeden, dem dieses Thema wichtig ist. Dies allein schon deshalb, weil MacCulloch sehr gut die vielen verschiedenen Gesteinsformationen und Schichten, die zahllosen Brüche und Verwerfungen darstellt, die die Entwicklung des Christentums ausmachen und dazu beitragen, dass es wahrlich kein Monolith ist – vielleicht noch nicht einmal damals, als Christus seine Kirche auf den Fels Petrus gebaut hat. Ein weiterer Grund zum Lesen: MacCulloch fokussiert nicht nur auf die westliche christliche Kirche, sondern gibt auch den anderen Kirchen recht ausbalanciert ihren Raum.

Eine Leseprobe über Säulenheilige in Syrien:
„Over the next seven centuries, around 120 people imitated Simeon’s initiative in Syria and Asia Minor. They were like living ladders to Heaven, and even if hermits, they were far from remote. St Simeon himself had chosen one of the most elevated sites in his portion of northern Syria next to a major raod, dominating the view for scores of miles, and preaching twice a day. Stylites often became Major players in Church politics, shouting down their theological pronouncements from their little elevated balconies to the expectant crowds below, or giving personalized advice to those favoured enough to climb the ladder and join them on their platform. There was little love lost between some rival pillars of different theological persuasions. Simeon the younger Stylite (521-97) is rather implausibly said to have insisted on spending his infancy on a junior pillar, but there is no doubt that he eventually graduated to a full-scale pillar near Antioch (…).“

Solche pointierten Passagen finden sich immer wieder. Wer zum Beispiel wissen möchte, wie es gekommen ist, dass aus Buddha ein christlicher Heiliger wurde, sollte nicht zögern, es nachzulesen!

Bisher bis zur Hälfte gelesen (ich werde weiterlesen!) habe ich die englische Taschenbuchausgabe bei Penguin von 2009. Auch zu empfehlen ist die DVD-Reihe zur Geschichte des Christentums, die parallel zum Buch erschienen ist.
Wenn ich es durchgelesen habe, schreibe ich den Folgebeitrag!

 

 

 

 

Japanische Gärten: Kyoto Gardens. Judith Clancy

Das Buch ist der Glücksfall für Reisende auf dem Weg nach Japan, die sich für Tee-Gärten und Zen-Gärten oder generell für japanische Gärten interessieren: klein, handlich, mit Stadtplan, Fotos und Kurzbeschreibungen. Und festem Einband. Dieses Buch „Kyoto Gardens – Masterworks of the Japanese Gardener´s Art“ von , Judith Clancy und Ben Simmons, passt in jeden Koffer.

Zum Inhalt: Die wichtigsten Gärten in Kyoto werden einzeln beschrieben. Die Unterschiede in der Gartengestaltung durch die Jahrhunderte werden von der Autorin verdeutlicht, ebenso auch die wesentlichen Garten-Typen wie: Tee-Gärten und Zen-Gärten (häufig Trockengärten), Kaiser-Gärten, Paradies-Gärten und Wandelgärten.

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Zur Form: Die Kombination von beschreibendem Text und sehr schönen Fotos gibt einen guten Eindruck von den Gärten. Den einzelnen Beschreibungen der Gärten ist eine kurze knappe Einführung in das Thema „Japanische Gärten“ vorangestellt.  Aufgeteilt ist die Fülle der Gärten in vier geografische Teile des Stadtgebiets. Für jeden dieser Teile erleichtert ein Stadtplan, in den die Gärten eingezeichnet sind, einen guten Überblick.

Kyoto hat als alte Hauptstadt  von Japan (von 794 bis 1868 Sitz des kaiserlichen Hofes) eine sehr große Anzahl von Gärten. Viele von ihnen liegen in weitläufigen Kloster-Komplexen und sind dort Teil eines Untertempels. So kann man durchaus zwei Wochen lang Gärten in Kyoto besichtigen, ohne danach alle Gärten gesehen zu haben.

Das Buch ist meine dringende Empfehlung für kulturell interessierte Reisende nach Kyoto. Eine Entschuldigung, das Buch nicht im Gepäck zu haben, gibt es eigentlich nicht.

Cleopatra’s needles: The lost obelisks of Egypt. Bob Brier

Für jeden etwas dabei in diesem Buch über die bewegte Geschichte der ägyptischen Obelisken: Das alte Ägypten und Kleopatra, das alte Rom mit Cäsar und Augustus, die Kirche mit ihren Päpsten, Bernini und Elefanten, Napoleon und seine Abenteuer im Orient, die Ingenieursmeisterleistungen und -Katastrophen der Italiener, Franzosen, Engländer und Amerikaner, die bürokratischen Freuden Ägyptens. Alles umrahmt, beschattet, gestützt von Obelisken und illustriert mit vielen guten Bildern.

Bob Brier ist Ägyptologe in den Vereinigten Staaten und ein echter Vielschreiber. Er schreibt gut lesbar, spannend, journalistisch. Vor allem hat er immer den Blick auf Stoffe, die sich gut verkaufen: Pyramiden, Mumien, Tutankhamun. Ab und zu – wie in seinem Buch über Tutankhamun – triumphiert die Liebe zur Sensationsgeschichte dann auch einmal über die wissenschaftliche Seriosität.

Die Geschichte der Obelisken erzählt Brier mit vielen interessanten Anekdoten und – nachvollziehbar – einem starken Fokus auf die Ingenieurskunst, die über die Jahrtausende eingesetzt wurde, um die riesigen, mehrere Hundert Tonnen schweren Obelisken zu meißeln, bewegen, transportieren und aufzurichten. Dabei ist es sehr faszinierend zu lesen, dass die Ägypter ihre Obelisken einfach vertikal auf Podeste gesetzt haben, ohne Mörtel, ohne alles, mit Stabilität über Tausende von Jahren. Danach hat sich das keiner mehr getraut. Auch beeindruckend: In der frühen Neuzeit sind die Ingenieure um Haaresbreite an dem gescheitert, was die Ägypter und Römer per Routine geschafft haben…

Etwas dünn wird Brier, wenn es darum geht zu erklären, was denn eigentlich die Bedeutung der Obelisken ausmachte – eigentlich erstaunlich bei einem Ägyptologen. Bei diesem Thema kann beispielsweise „Landscape and Memory“ von Simon Schama im Kapitel „Streams of Consciousness“ aushelfen (überhaupt ein erheblich substanzielleres und mindestens genauso gut geschriebenes Buch wie das von Brier…): „(…) that the obelisks were objects of religious adoration for the Egyptians, rays of the sun symbolized by pointed columns of stone.“

Als Leseprobe eine Passage über den Obelisken vom Luxor-Tempel, den die Franzosen nach Paris zur Place de la Concorde gebracht haben: „When the obelisk reached the center of gravity of the pivot point the restraining system was activated to slow ist descent. (…). Fifteen minutes later, it was safely resting on a platform built to receive it. With the obelisk down, Lebas, for the first time, could see the top of the pedestal and made a wonderful discovery. Pharaohs frequently chiseled out the names of previous owners on monuments they wanted to claim as their own, and Ramses was one of the most enthusiastic practitioners, so he knew it could happen to him. Before he erected his pair of obelisks in front of the Luxor Temple, he carved his name on the tops of the pedestals so that when the obelisks rested on the pedestal they covered the names and no one could get to them. It worked.“

Gelesen habe ich die noch nicht übersetzte Erstausgabe von 2016.

 

Autobiography of a Geisha. Sayo Masuda

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Welche Rolle spielen Geishas in Japan? Welche gesellschaftliche Position haben sie? Der Beruf der Geisha hat seine Ursprünge in den Alleinunterhalterinnen bei Hof, die es seit dem 17. Jahrhundert in Japan gab. Sie waren Trendsetterinnen der Mode und ab dem 19. Jahrhundert zunehmend Bewahrerinnen der traditionellen Künste.

Die Autobiografie einer Geisha berichtet über das Leben am unteren Ende der Skala. Dort, wo Mädchen unter 10 Jahren von ihren Familien an reichere Menschen ausgeliehen werden , um dort als Kindermädchen zu arbeiten. Dort, wo Mädchen an Geisha-Häuser verkauft werden. Dort, wo Hunger und Schläge zum Alltag gehören und eine Geisha eine Prostituierte ist. Aus der ersten Arbeitsstelle des Kindes ist diese Leseprobe: „As for filling my stomach, I was entirely at the mercy of others for my meals. There was a chipped bowl that they left under the sink in the kitchen into which they put their leftover rice and soup. If there were lots of leftovers, then even with just that one bowl I´d be full; but if nothing had been left, then that was that.“

Die Autorin erzählt, wie sie an ein Geisha-Haus verkauft wird, dort als Novizin in Tanz und Musik Unterricht erhält und zu verstehen versucht, worin die Aufgabe von Geishas besteht. Sie berichtet, dass Geishas in der Regel 10 Jahre lang für das Haus, welches sie gekauft hatte, arbeiteten. In den ersten Jahren gingen all ihre Einkünfte dort hin, später konnten sie die Trinkgelder selbst behalten.

Porträt einer Geisha, die traditionell geschminkt ist

„I did my best to live by that creed of resignation, but in the Geisha business it isn´t just to do as you´re told; you have to make a real effort. To make everyone, everywhere in your presence, feel that you´re sexy requires constant care and attention.“

Sayo Masuda wurde 1925 geboren. Sie ging nie zur Schule und konnte deshalb nicht schreiben. Ein Liebhaber hat ihr die einfache japanische Schrift beigebracht, die Kinder als erstes in der Schule lernen. Sie hat sich, um Geld zu verdienen, bei einem Wettbewerb beteiligt, den ein Hausfrauenmagazin ausgeschrieben hatte. Sie erhielt den zweiten Preis und ihr Text wurde 1957 veröffentlicht. Der im Buch vorliegende Text orientiert sich möglichst eng an dem ursprünglichen japanischen Original-Text, so wie er durch Sayo Masuda formuliert wurde. Die Autobiografie ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt mit der Arbeit des Kindes als Kindermädchen, berichtet von der Ausbildung zur Geisha, der täglichen Arbeit und den Versuchen, auszubrechen und ein anderes Leben aufzubauen.

 

The Dark Box: A Secret History of Confession. John Cornwell

Dieses Buch von John Cornwell beschreibt nicht nur die historische Entwicklung der Beichte, sondern beschäftigt sich auch mit den Risiken und Nebenwirkungen von Beichte und Priesterausbildung in der katholischen Kirche, insbesondere mit den Missbrauchsfällen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.

Cornwell macht von Anfang an deutlich, dass er als ehemaliger Priesteranwärter und Missbrauchsopfer einen potenziellen Interessenkonflikt hat. Seine Argumentation im Buch ist dann aber so klar, fundiert, mit Quellen hinterlegt und auch so unpolemisch, dass seine persönlichen Erfahrungen einen Gewinn für Qualität und Relevanz des Buchs haben.

Cornwell strukturiert das Thema in die Teile:

  • A Brief history of confession
  • The child penitents
  • „Soul murder“.

Gut gelungen ist die historische Darstellung der Beichte im ersten Teil. Cornwell beschreibt sie dabei nicht in jedem Detail mit jeder minutiösen Änderung im Laufe der Jahrhunderte. Vielmehr fokussiert er auf wesentliche Entwicklungsstufen. Dabei gibt es viel Überraschendes vor allem aus der Frühzeit des Christentums zu entdecken, aber auch z.B. die Geschichte der Erfindung des Beichtstuhls als Möbel durch Borromeo.

Besonders wichtig für die genannten Risiken und Nebenwirkungen sind dann die im zweiten Teil ausführlich beschriebenen Reformen von Pius X.

  • Anfang des 20. Jahrhunderts führte er ein, dass eine Beichte täglich abzulegen sei, und legte de facto fest, dass auch Kinder im Alter von 7 Jahren zur Beichte gehen mussten – dies wiederum bedeutete, dass sie mit 5 oder 6 Jahren darin unterrichtet werden mussten, was denn alles in den Sündenkatalog gehört.
  • In seinem Bestreben, modernistischen Tendenzen entgegenzuwirken und Priesteranwärter von schädlichen Einflüssen der Welt fernzuhalten, führte er auch eine Priesterausbildung unter gefängnis-artigen Rahmenbedingungen ein, in der betont konservative moraltheologische Auffassungen unterrichtet wurden, wie zum Beispiel im englischsprachigen Raum basierend auf der „Moral and Pastoral Theology“ von Henry Davis (die man als Reprint noch kaufen kann).

Der dritte Teil, in dem es vor allem um die Missbrauchsfälle geht, ist sensibel und zum Glück nicht reißerisch geschrieben. Er bietet Fakten und Zahlen. Er beleuchtet die Perspektive von Opfern, Tätern und Kirche, ohne immer gleich urteilen zu wollen.

Insgesamt ein gutes und wichtiges Buch, das gut lesbar ist und eher journalistisch als wissenschaftlich geschrieben ist.  Hätte ich mir etwas wünschen können, so wären es vielleicht noch etwas mehr Details und Nuancen zur Geschichte der Beichte gewesen.

Leseprobe:
„His (= Pius X) first priority in bolstering priesthood worthy of its ministries was to transform the seminaries. He was convinced that the Church’s internal problems stemmed, in part, from poor initial training. He ordered a monastic-style regime to ensure life-long holiness and dedication. Seminaries were destined to become highly disciplined hothouses shut off from the world and its corruptions and temptations. Seminarians were obliged to wear cassocks and Roman collars at all times, and their vacations at home were severely curtailed, since they might otherwise breathe a secular, less clerical air.“

Gelesen habe ich die Ausgabe von 2014. Eine deutsche Übersetzung gibt es nicht.

The Pursuit of Glory: Europe 1648-1815. Tim Blanning

The Pursuit of Glory by Tim Blanning

Sollte sich jemand wundern, dass ich in der letzten Zeit eher wenige Beiträge geschrieben habe: Dieses Buch ist der Grund mit seinen 677 recht fein bedruckten Seiten, die man erst einmal lesen muss. Habe ich getan. Fazit: Das mit Abstand beste und lesbarste Buch mit dem Anspruch eines Gesamtüberblicks über die Zeit zwischen Westfälischem Frieden und Wiener Kongress, das ich bisher gelesen habe – mit  Abstand.

Aufmerksam geworden bin ich durch eine neue Biographie über Friedrich den Großen, die ebenfalls Blanning geschrieben hat. Erst war ich skeptisch, da ich ein anderes Buch aus der Serie „The Penguin History of Europe“ – das von Mark Greengrass über die Epoche von 1515 bis 1648 – substanziell, aber ermüdend fand, und diese Art von Türstopper-Buch ja oft nicht die Balance findet zwischen zu oberflächlich und zu detailliert.

Blanning gelingt sie. Das Buch fasziniert und beeindruckt von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist intelligent und durchaus amüsant, gelegentlich auch erfreulich sarkastisch geschrieben. Vor allem aber: Blanning bietet hochkompetent und mit viel Verstand eine sehr umfassende, keinesfalls einseitige Darstellung der Epoche. Dies kann man schon an den Überschriften der Teile des Buchs ablesen. Part One: Life and Death – Part Two: Power – Part Three: Religion an Culture – Part Four: War and Peace. Die zahlreichen Kriege der Epoche werden in nur (aber immerhin) 140 Seiten behandelt, also etwa einem Fünftel des gesamten Umfangs. So hätte ich gerne früher Geschichte gelernt. Und vieles über die Epoche hatte ich ganz anders gelernt, über Preußen, die Habsburger, die Napoleonische Zeit.

Ich empfehle dieses Buch also – wie man unschwer erkannt hat – auf das Wärmste!

Sehr schwierig, eine Leseprobe aus der Fülle zu greifen:
„One final paradox of great importance needs to be stressed. The war which the French revolutionaries unleashed in April 1792 was intended to be the most universal war there had ever been, a war for the liberation of all humanity. (…) By the spring of 1793 the war had ceased to be universal and had become national: as Danton told the National Convention on 13 April, ‚above all things we need to look for French greatness‘. The next stage in this ideological contraction (…): by 1808 the war was being fought for the benefit of one family, the Bonapartes. Yet even that was not the limit of the contraction, for by 1810 Napoleon was concluding that his siblings were not sufficiently obedient and was clawing back what little independence they enjoyed. (…) The war had become a war for one man.“

Gelesen habe ich die englisch-sprachige Taschenbuchausgabe von 2008. Eine deutsche Übersetzung gibt es (noch?) nicht.

Frederick the Great: King of Prussia. Tim Blanning

Friedrich der Große: Ein gelungenes Buch, diese neue Biographie von Tim Blanning, rundum gelungen. Und dieses Lob gehört vollständig dem Autoren, denn das Objekt des Schreibens, den umstrittenen Preußenkönig, haben schon viele andere gewählt und sind damit oft auf tiefer liegenden Stufen des Gelingens oder auf ganz woanders hin führenden Treppen gelandet.

Blanning ist Historiker aus Cambridge, mittlerweile im Teilruhestand, mit dem verdienten Ruf, exzellente Bücher zu schreiben, die neue Perspektiven schaffen. Sehr positiv rezensiert („history writing at its glorious best„, The New York Times) wurde beispielsweise auch „The Pursuit of Glory: Europe 1648-1815“. 2002 erhielt er einen Preis für „the best book in any language  on early modern Europe“. Er hat ein offensichtliches Talent, gut lesbar, spannend, auf hohem intellektuellen Niveau und obendrein amüsant zu schreiben. Darüber hinaus äußert er sich ebenso profund wie ungeschwätzig über Politik wie Militärstrategie, Musik, Literatur, Kultur im breitesten Sinne. Und dies zu können, ist gerade bei Friedrich dem Großen eine entscheidende Voraussetzung.

Beeindruckt hat mich zum Beispiel die Beschreibung der „Rehabilitierung“ Friedrichs nach dem für ihn befreienden Tod seines Vaters. Blannings nennt drei wesentliche Elemente:

  • „Firstly, he deployed the very considerable financial assets inherited from his father to create for himself a comfortable, not to say luxurious, material environment.“ Hierzu gehören der Bau der Oper, die Vergrößerung zweier Paläste, die Anschaffung von Büchern, Bildern, Porzellan…
  • „Secondly, he gathered around him a French-speaking intelligentsia to provide him with intellectual stimulation and to serve as an audience for his wit, philosophical disquisitions, literary creations and musical performances.“
  • Und zuletzt „the third route to repairing the damage inflicted by his father: to do what the latter desired most, but to do it better. (…) It meant the assertion of the rights of the Hohenzollern family against the rival Wettins of Saxony, Wittelsbachs of Bavaria or Habsburgs of Austria, and the elevation of Prussia to great-power status.“

Angenehm ist beim Lesen, dass sich Kapitel über Politik, Kultur, Krieg und Charakter immer wieder abwechseln und wechselseitig beleuchten. Dies verstärkt den Eindruck von Vielschichtigkeit oder Dreidimensionalität. Zugleich vermeidet es Ermüdung.

Eine Leseprobe zur politischen Situation nach dem zweiten Schlesischen Krieg:
„His seizure of Silesia in 1740, and successful defence of his booty in the five years that followed, had alarmed every other major European power.What had been most disturbing? The brutal aggression of the original invasion? The astounding feats of the Prussian army? The speed of decision and execution? The devious diplomacy? The repeated abandoning of allies? The reputation for cynicism and godlessness? Into the staid, slow-moving world of great-power diplomacy (…) there had barged a disruptive intruder, a parvenu upstart with boundless presumption. Louis XV may have thought that the invasion of Silesia was the act of a lunatic, but Frederick had shown that when madness succeeds, it has to be renamed audacity.“

Gelesen habe ich die englischsprachige Erstausgabe von 2015.  Eine deutsche Übersetzung ist noch nicht angekündigt

Als Deutschland noch nicht Deutschland war – Reise in die Goethezeit. Bruno Preisendörfer

Wie haben die Menschen im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert gelebt? Wie sah ihr Alltag aus? Also dasjenige, das oft in der hohen Literatur nicht erzählt wurde? Um es vorweg zu nehmen: Goethe, der Dichterfürst, trug – nach allem, was sich wissen lässt – keine Unterhosen, sondern ein langes Hemd.

Alltag in der Goethezeit

Preisendörfer geht systematisch und gründlich vor. Alle wesentlichen Aspekte des Alltagslebens werden in 10 Kapiteln vorgestellt. So enthält Kapitel 6 „Essen und Trinken“ die folgenden Unterkapitel: Wer isst warum wann was mit wem und womit? – Kurzer Blick in die Küche – Brot und Butter – Die Kartoffel – Fleisch und Geflügel – Gemüse und Obst – Bier, Branntwein, Wein – Etwas über Tabak – Eine Prise Salz – Vom Zucker – Kaffee und Tee – „Colonialwaren“ und ihre Ersatzstoffe – Exkurs über Kochbücher.

In „Vom Zucker“ berichtet uns der Autor, dass Hamburg reich wurde, da dort für die deutschen Kleinstaaten der größte Teil des importierten Zuckerrohrs aus der Karibik in gewaltigen Raffinerien verfeinert wurde. Das habe ich nicht gedacht. Ich bin davon ausgegangen, zumindest Rohzucker wurde an Deutschlands Küste angeliefert.

Medizin in der Goethezeit

„Ein weiteres Ableitungsverfahren war das gezielte Zufügen von Brandwunden. E.T.A. Hoffmann musste die Tortur noch 1822 erleiden (…) „Etwa vier Wochen vor seinem Tode wurde der entsetzliche Versuch gemacht, ob nicht durch das Brennen mit dem glühenden Eisen, an beiden Seiten des Rückgrades herunter, die Lebenskraft wieder zu wecken wäre.““

Das Buch ist eine leicht lesbare Zusammenstellung von wissenswerten Details. Dies ist sein großer Vorteil, wie auch sein Nachteil. Der Stil ist eine Aufzählung des damals vorhandenen, oft kurzweilig und anekdotisch erzählt. Doch neben dem Was wünschte ich mir an vielen Stellen auch eine bessere Einordnung hinsichtlich des Warum und Wodurch.

Goethezeit in Zahlen

Der Anhang verfügt über einen ausgezeichneten Überblick zur Goethezeit in Zahlen: Hier sind Bevölkerungsdaten, Maßeinheiten, Einkommen, Preise usw. detailliert und übersichtlich zusammengestellt.